Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

Salomon, Charlotte

H.A.M. 0

Charlotte Salomon
Malerin


Geb. 16.4.1917 in Berlin
Gest. (vermutlich am 10.10.) 1943 im KZ Auschwitz


„Heben Sie das gut auf, c’est toute ma vie! – Das ist mein ganzes Leben!“

Mit diesen Worten übergibt die damals 23jährige Charlotte Salomon kurz vor ihrem Tod im Konzentrationslager Auschwitz ihr Werk „Leben oder Theater?“ einem befreundeten französischen Arzt zur Aufbewahrung. Damit wird ihre in der Geschichte der Kunst einmalige Arbeit gerettet: eine Autobiografie in 769 Gouachen, die mit den dazugehörenden Begleittexten, Vorstudien und nichtverwendeten Kompositionen über 1300 Blätter umfasst.


Ihre erste große Enttäuschung erlebt Charlotte Salomon bereits als Kind: so oft die Neunjährige auch das Fensterbrett absucht – den erhofften Brief ihrer 1926 verstorbenen Mutter findet sie
nicht, und damit auch auch nicht deren Versprechung von einst:
„Im Himmel ist alles viel schöner als auf der Erde, und wenn ich einmal dort bin und mich in einen Engel verwandelt habe, komme ich wieder und berichte dir von allem!“

Erst viele Jahre später, im südfranzösischen Exil, wird Charlotte Salomon von ihrem Großvater erfahren, daß die geliebte Mutter nicht eines natürlichen Todes gestorben ist, sondern sich das Leben genommen hat. So wie sie sterben fünf Mitglieder der Familie durch Selbstmord, und die Tante, von der Charlotte den Namen hat, ertränkt sich 1913 in einem See. Die Erfahrung des Verlustes wird sich wie ein roter Faden durch Charlottes Salomons Leben ziehen. Um zu überleben, malt sie. Im Schatten ihrer Familiengeschichte, fast aussichts- und hoffnungslos, unter dem Druck des Exils und der bereits in der Kindheit erlebten Ausgrenzung.


Charlotte Salomon wächst in einer wohlhabenden jüdischen Familie auf: der Vater, einst Stabsarzt im Ersten Weltkrieg, ist Professor der Medizin, ihre Stiefmutter, Paula Lindberg-Salomon, eine gefeierte Sängerin. 1933 verliert Albert Salomon seine Professur und die Approbation als Arzt, Charlottes Stiefmutter darf nicht mehr auftreten. Wegen ständiger antisemitischer Anfeindungen verläßt Charlotte ein Jahr vor dem Abitur das Gymnasium. Es gelingt ihr zwar, sich mit einer Ausnahmegenehmigung im Wintersemester 1935/36 als Kunststudentin an der Kunsthochschule Berlin einzuschreiben. Als jedoch ihre jüdische Herkunft bekannt wird, muß sie 1938 die Hochschule wieder verlassen.

Nach der „Reichspogromnacht“ im November 1938 wird Prof. Albert Salomon ins KZ Sachsenhausen verrschleppt, kommt jedoch wieder frei. Charlottes Eltern schicken ihre Tochter 1939 zu den Großeltern ins südfranzösische Villefranche bei Nizza, wo sie einige Zeit bleiben soll, um später mit den Eltern über Marseille in die Vereinigten Staaten zu emigrieren.


Aber auch hier holt die junge Frau der Schatten ihrer Familie ein: die Großmutter stürzt sich im März 1940 aus dem Fenster ihres Hauses. Nicht zuletzt dieser Selbstmord veranlasst die junge Kunststudentin, ihr bisheriges Leben in Wort und Bild zu bilanzieren; über anderthalb Jahre, zwischen Juli 1940 und 1942, erschafft Charlotte Salomon in selbstgewählter Klausur wie besessen ein Konvolut von mehr als 1300 Bildern, die mehr sind als nur eine Lebensgeschichte, sondern ein – wie es DER SPIEGEL (Nr.25 vom 14..6.2004) formuliert „Furioses Aufbegehren“:

„Entstanden ist (…) ein rauschhaftes, von kraftvoller Malerei dominiertes Werk: die bebilderte Autobiografie eines gehetzten Menschen, der getrieben wurde auch von der Angst, nicht einmal mehr für den Rückblick auf sein vergleichsweise kurzes Dasein genügend Zeit zu haben.“

In ihrer Farblichkeit und Intensität erinnern Salomons Bilder an van Gogh, in ihrer Figürlichkeit an Chagall. In einer Text-Bildmontage von eigenwilliger Kraft setzt Charlotte Salomon die Lebensgeschichte einer jungen Frau im Berlin der Zwanziger und Dreissiger Jahre in Szene, erzählt vom zunehmenden Antisemitismus, verdichtet Liebes- und Familiengeschichten, vermischt unterschiedliche Genres und findet so eine visuelle Sprache, mit der sie ihrem Leben zwischen verschiedenen Identitäten und Orten auf einzigartige Weise Ausdruck zu geben versteht.


„Leben oder Theater?“ beginnt 1913 – drei Jahre vor der Hochzeit von Charlottes Eltern und vier Jahre vor ihrer eigenen Geburt. Eine durchkomponierte Familiengeschichte, in der alle Protagonisten anders heißen: da wird aus Salomon der Name Kann, die Großeltern werden zu Knarre, aus Paula Salomon-Lindberg wird Paulinka Bimbam, und ihre erste große Liebe Alfred Wolfsohn erhält den Namen Amadeus Daberlohn.
Charlotte Salomon erzählt die Geschichte ihrer Kindheit, von der erlöschenden Liebe ihrer Eltern und dem Selbstmord der Mutter,
durchwebt Text mit Malerei, über die ersten 220 Bilder legt sie transparentes Papier, malt, um zu verarbeiten und denkt erst einmal nicht konkret an eine Veröffentlichung.


Kurz vor ihrer Deportation vertraut Charlotte Salomon – seit einigen Monaten verheiratet mit dem österreichischen Emigranten Alexander Nagler und von ihm schwanger – dem Dorfarzt von Villefranche ihr Werk an. Dr. Moridis bewahrt es während des Krieges auf und gibt es danach an Ottilie Moore weiter, eine reiche Amerikanerin, die Charlotte Salomon eine Zeitlang Wohnung und Unterstützung gewährt hat und der „Leben oder Theater?“ gewidmet ist.

Charlotte Salomons Eltern, die die nationalsozialistischen Gräuel
und die Wirren des Krieges überlebt haben, reisen 1947 nach
Frankreich und erhalten von Ottilie Moore ein Selbstporträt und auf 1325 Blättern die gemalte Lebensgeschichte ihrer ermordeten Tochter.

1971 schenkt die Familie das gesamte Werk dem Jüdischen Museum Amsterdam.


Literatur:

Charlotte Salomon
Leben? Oder Theater?
Hrsgg.von: Edward van Voolen
Prestel-Verlag 2004
432 Seiten, 835 farbige Abbildungen,
SBN: 3-7913-3166-3

Paula Lindberg-Salomon
„‚Mein C’est la vie-Leben‘ in einer bewegten Zeit.
Der Lebensweg der jüdischen Künstlerin, Berlin 1992

Astrid Schmetterling:
Charlotte Salomon
1917-1943
Bilder eines Lebens

Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag 2001.
ISBN 3-6338-54168-3


Links (deutsch):

http://www.zeit.de/archiv/2001/31/200131_l-schmetterling.xml

http://www.br-online.de/kultur-szene/hoerspiel/kalender/hoerstueck/01450/index.shtml

http://www.charlotte-salomon-grundschule.de

http://www.cine-holocaust.de/cgi-bin/gdq?efw00fbw002601.gd


International:

http://www.jhm.nl/cs-cdrom/uk/csstarter.html


Die Kommentare sind deaktiviert.