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Emigration jüdischer Deutscher und Österreicher nach Shanghai als Verfolgte im Nationalsozialismus

Hajo Jahn 0
Autoren: Wiebke Lohfeld und Steve Hochstadt
Abb. 1: Der Bund, die Hafenpromenade von Shanghai. Blick von der gegenüberliegenden Flussseite,
Quelle: http://www.talesofoldchina.com/Shanghai/image.cfm

Einleitung

Wohl kaum ein Ort, zu dem Juden im Laufe der nationalsozialistischen Verfolgung flohen, war derart berüchtigt wie Shanghai. Shanghai, das war ein Ort voller unbekannter Größen, voll von fremden Kulturen, fremden Speisen, fremden Sprachen, Religionen und Gebräuchen. Niemand wollte freiwillig dorthin reisen. Shanghai war für jüdische Flüchtlinge Ende der 1930er Jahre allerdings der letzte Ort, den sie ansteuerten, die letzte Zuflucht.1
Flucht nach Shanghai – Überblickstafeln
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Im folgenden sollen die Zusammenhänge, die dazu führten, dass ca. 17.000 deutschsprachige jüdische Flüchtlinge nach Shanghai gelangten und dort für nahezu 10 Jahre blieben, genauer erläutert werden.2 Der Fokus liegt dabei auf zwei wesentlichen Aspekten: 1) auf der Situation der Juden im Deutschen Reich unter den Nationalsozialisten in den Jahren 1938 bis ca. 1940 und 2)  auf den Voraussetzungen in Shanghai und den Entwicklungen während des Aufenthaltes der jüdischen Flüchtlinge bis zur Errichtung der kommunistischen Republik China im Jahre 1949. 

Wir werden für die Darstellung auf Lebensberichte von jüdischen Emigrantinnen und Emigranten zurückgreifen, um den historischen Stimmen eine Bedeutung zu geben, die uns mehr erfahren lassen, als es bloße Fakten vermögen.

Wir wollen Geschichte über deren Narrative begreifen, stellen, das was sich darin vermittelt in den Kontext der allgemeinen Entwicklungen. Daran schließen sich Fragen an, die man ohne die je individuellen Erlebnisse und Eindrücke eventuell nicht gestellt hätte.

So z.B. Iris Kuritz’ Bericht über ihre Verluste 3:

„Jetzt müssen wir ein neues Leben führen! […] ich bin doch deutsch, ich war so stolz, dass ich Deutsche war. Und dann plötzlich kriegst Du einen auf den Kopf und sagst: ‚Du bist Jude und bist gar nischt, ein Dreck.’“ (Interview mit Steve Hochstadt 1994, Shanghai Jewish Community Oral History Project, Bates College).

Was bedeutete es für deutsche Juden verfolgt zu sein, als Deutsche nicht mehr angesehen zu werden und einen großen Teil ihrer nationalen Identität abgesprochen zu bekommen?

Neben dem Fakt, dass es unter den Nationalsozialisten für Juden keine Anerkennung als Deutsche mehr gab, gesellte sich die Einwirkung auf die Personen, die daraufhin zum Handeln gezwungen waren – und zwar nicht nur, um schlicht ihr Leben zu retten, sondern auch, um ihrer selbst Willen. Iris Kuritz gehört zu den sogenannten Shanghailändern, sie ist im Jahre 1939 von Deutschland nach Shanghai gelangt.

1Dass Shanghai als letzter Zufluchtsort von den deutschen und österreichischen Flüchtlingen angesehen wurde, wird in den vielen publizierten Lebensberichten von jüdischen Emigranten, die nach Shanghai geflohen sind, erwähnt. So z.B. Michael Blumenthal in dem Band ‚Leben im Wartesaal’, der zur gleichnamigen Ausstellung des Jüdischen Museums Berlin im Jahre 1997 erschienen ist. (Schriftenreihe des Jüdischen Museums, Berlin 1997).

2Die Zahl 17.000 ist allgemein umstritten. Die unterschiedlichen Quellen verweisen auf 10.000 bis zu 30.000 Flüchtlinge aus Europa, die in Shanghai Zuflucht fanden. Allgemein hat man sich aber darauf geeinigt eine Zahl zwischen 15 und 18.000 anzunehmen, die mit den vorzufindenen Listen der Hilfsorganisationen, sowie dem Shanghaier-Emigranten-Adressbuch in Einklang kommen (vgl. Freyeisen 2000, S. 400, Hochstadt 1997)

3Pseudonym. Sämtliche Namen in Bezug zu Interviews mit Steve Hochstadts werden im Folgenden anonymisiert präsentiert. Alle Interviews sind im Rahmen des „Shanghai Jewish Community Oral History Projects“ von Steve Hochstadt durchgeführt, transkribiert und archiviert worden: Edmund S. Muskie Archives and Special Collection Library, Bates College/USA.


Historische Daten zur jüdischen Emigration nach Shanghai

1935 Nürnberger Gesetze
1937 Verbot der Ausfuhr von mehr als 10 RM, Einführung der Reichsfluchtsteuer, zunehmende Plünderung jüdischer Vermögen
1938 Besetzung Österreichs, antisemitsche Ausschreitungen in Österreich, Flucht aus Österreich nach Shanghai beginnt
Juni 1938 Evian-Konferenz, 32 Nationen verschließen sich weiterer Emigrantenzuströme
9. November 1938 Pogrome gegen Juden im ganzen Land, Synagogen und jüdische Geschäfte zerstört, jüdische Männer verhaftet, Flucht der als jüdisch verfolgten Bürger aus Deutschland beginnt
Dezember 1938 Fünf Minister Konferenz in Tokyo. Japan verfolgt keine antisemitische Haltung und gibt Visa für jüdische Emigranten aus
September 1939 Besetzung der Westerplatte vor Danzig und damit Kriegsbeginn Deutschlands mit Polen
Juni 1940 Eintritt Italiens in den Krieg an der Seite Deutschlands. Damit war die Seeroute nach Shanghai von Italien aus nicht mehr möglich
Dezember 1941 Eintritt Japans in den Krieg, Übernahme der bis dahin noch freien Teile der Stadt Shanghai durch die Japaner
Februar 1943 Proklamation der Designated Area durch die Japaner: Einrichtung des Ghettos in Hongkew.
Mai 1945 Kriegsende in Europa
17. Juli 1945 Ein amerikanischer Bombenangriff auf Shanghai trifft auch das Ghetto: 31 Emigranten sterben, etliche andere sowie chinesische Bewohner werden verletzt.
6. August 1945 1. Atombombe trifft Hiroshima in Japan
9. August 1945 2. Atombome trifft Nagasaki in Japan
15. August1945 Japan ergibt sich und der Pazifikkrieg ist damit zu Ende
22. August 1945 Das Hongkewer Ghetto wird von den Japanern geräumt, Amerikaner besetzen Shanghai
1. Oktober 1949 Ausruf der Volksrepublik China

Die Redaktion des Exil-Archivs dankt den beiden Autor*Innen für die Erarbeitung der autobiografischen Erinnerungen und historischen Fakten zum Thema Exil in Shanghai. Klicken Sie bitte hier, um die komplette Abhandlung (PDF) zu lesen…

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