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Küster, Fritz

H.A.M. 0

Fritz Küster
Journalist

Geb. 11.12.1889 in Ober-Einzingen
Gest.13.4.1966 in Hannover


Fritz Küster„Verloren gegangen
sind uns in den letzten Monaten folgende
Gegenstände:
Mehrere Grundrechte des Parlaments
Verschiedene Staatsbürgerliche Rechte
Ein großes Stück Vertrauen
Einige Dutzend Grundsätze (schon vorher ziemlich beschädigt)
Der Geist einer Verfassung (gut erhalten, da wenig gebraucht)
Die ehrlichen Finder werden gebeten, mit den Dingen sorgsam umzugehen und sie gegen entsprechende Belohnung abzugeben.“

(aus „Das Andere Deutschland“, Nr. 35/ 1930 (Hrsg.
Fritz Küster) in einer Notiz zur Regierung Brüning)


Von 1896 bis 1904 besucht Fritz Küster die Volksschule in Dorfmark, Fallingbostel und arbeitet danach für einige Zeit in der Landwirtschaft. Von 1908 bis 1912 absolviert er die Baugewerbeschule Buxtehude und ist nach seinem Tiefbau-Examen als Reichsbahnvermessungstechniker im Gleisanlagen-bau für die Reichsbahndirektion Elberfeld (heute Wuppertal) tätig.

Bis 1920 ist Fritz Küster Mitglied der Deutsch-Hannoverschen Partei, tritt 1920 in die Sozialdemokratische Partei ein und ist bis 1931 Mitglied der SPD.


Das andere Deutschland1919 tritt Küster der Deutschen Friedensgesellschaft (DFG) bei, gründet die DFG-Ortsgruppe in Hagen/ Westfalen und 1921 die Südwestfälische Arbeitsgemeinschaft der DFG. In diesen Jahren gibt der überzeugte Kriegsdienstgegner eben-falls die Monatszeitschrift „Der Pazifist“ heraus, die 1925 in Das Andere Deutschland umbenannt wird. Wie kaum ein anderes Blatt der Weimarer Republik führt das „Das Andere Deutschland“ den Kampf gegen anwachsenden Nationalismus, Rüstungswahn sowie den drohenden Faschismus und engagiert sich für eine entschieden republikanische Politik. Zu den Autoren, die für „Das Andere Deutschland“ schreiben, gehören u.a. Erich Kästner, Heinrich Ströbel, Heinz Kraschutzki, Friedrich W. Foerster und Kurt Tucholsky.


Der Graben

Mutter, wozu hast Du Deinen aufgezogen?
Hast Dich zwanzig Jahr mit ihm gequält?
Wozu ist er Dir in Deinen Arm geflogen,
Und Du hast ihm leise was erzählt?
Bis sie ihn Dir weggenommen haben.
Für den Graben Mutter, für den Graben.
Junge, kannst noch an Vatern denken?
Vater nahm Dich oft auf seinen Arm.
Und er tat Dir einen Groschen schenken,
Und er spielte mit Dir Räuber und Gendarm Bis sie ihn Dir weggenommen haben.
Für den Graben, Junge, für den Graben.

Drüben die französischen Genossen
Lagen dicht bei Englands Arbeitsmann.
Alle haben sie ihr Blut vergossen,
Und zerschossen ruht heut Mann bei Mann.
Alte Leute, Männer, mancher Knabe
In dem einen grossen Massengrabe.

Seid nicht stolz auf Orden und Geklunker!
Seid nicht stolz auf Narben und die Zeit!
In die Gräben schicken Euch die Junker,
Staatswahn und der Fabrikantenneid.
Ihr wart gut genug zum Fraß für Raben,
Für das Grab, Kam’raden, für den Graben!

Werft die Fahnen fort! Die Militärkapellen
Spielen auf zu Euerm Totentanz.
Seid Ihr hin: ein Kranz von Immortellen –
Das ist dann der Dank des Vaterlands.
Denkt an Todesröcheln und Gestöhne.
Drüben stehen Väter, Mütter, Söhne.
Schuften schwer, wie Ihr, ums bißchen Leben.
Wollt Ihr denen nicht die Hände geben?
Reicht die Bruderhand als schönste aller Gaben
Übern Graben, Leute, übern Graben -!

(Theobald Tiger (d.i. Kurt Tucholsky) in
„Das Andere Deutschland“ am 20.11.1926


Von 1927 bis 1929 ist Fritz Küster Vorsitzender der Deutschen Friedensgesellschaft, u.a. gemeinsam mit Ludwig Quidde, und ab 1929-1933 deren alleiniger geschäftsführender Vorsitzen-der. Unter Küsters Führung entwickelt sich die Deutsche Frie-densgesellschaft zu einer volksnahen Bewegung. 1931 tritt Fritz Küster aus der SPD aus und in die Sozialistische Arbei-terpartei Deutschlands (SAPD) ein, deren Parteivorstand er bis 1933 angehört.


An den Tag der nationalsozialistischen Machtergreifung Ende Januar 1933 erinnert sich Küsters spätere Frau Ingeborg:

„Am 30. Januar hatten wir in einer Kneipe am Nollendorfplatz gesessen…Wir sitzen an unserem Tisch und da gucken wir zu dem Kneipenbesitzer hin, der stellte den Lautsprecher an, und da hörten wir dieses Klappern, dieses Klatschen der Beine, der Schaftstiefel, und dann die aufgeregten Kommentare: Und jetzt kommen sie zur Wilhelmstrasse, und jetzt stehen sie alle, alle davor, und dann ein Gekreische und ‚Heil Hitler‘ usw…“

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© Ulrike Müller


Am 3. März 1933 erscheint in Berlin die letzte Ausgabe der pazifistischen Wochenzeitung Das Andere Deutschland unter dem Motto „Keine Stimme den Volksverderbern“ im Vorfeld der Reichstagswahlen am 5. März. Bereits am 4. März 1933 erfolgt das Verbot der Zeitung, die Redaktionsräume in der Berliner Bühlowstrasse werden durchsucht und Fritz Küster, der sich dem Rat von Freunden zur Emigration verweigert hatte, am 6. März 1933 verhaftet.


„Am 6. März sind wir im Büro gewesen, konnten aber nicht arbeiten, weil ja die Akten weg waren. Und da kamen zwei Herren, die sagten, die sagten, sie möchten zu Fritz Küster. Ja, ich habe sie ‚reingeführt, und die kamen zusammen raus und dann sagte Fritz zu mir: die wollen mein Zimmer durchsuchen!“

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© Ulrike Müller


Von 1933 bis 1938 ist Fritz Küster in verschiedenen Konzentrationslagern inhaftiert (Brandenburg, Oranienburg, Lichtenburg/ Torgau, Buchenwald). Im KZ Oranienburg verlobt er sich 1934 mit Ingeborg Andreas, die er nach seiner Entlassung 1938 in Hannover heiratet.

Die Jahre bis Kriegsende verbringt der Pazifist Küster, dem von den Nazis jede journalistische und publizistische Tätigkeit verboten ist, als Ingenieur bei einer Gleisbau-Firma in Hannover- Vinnhorst.


Von 1945 bis 1947 fungiert Fritz Küster wieder als Vorsitzen-der der Deutschen Friedensgesellschaft, gibt 1946 bis 1948 die Publikation Jugend heraus und von 1947 bis 1949 erneut Das Andere Deutschland. Von 1947 bis 1948 ist Küster Mitglied im Bundesvorstand der Deutschen Friedensgesellschaft und von 1949 bis 1951 im DFG-Kuratorium. Das Andere Deutschland wird 1951 – zunächst unter dem Titel Ohne uns – neubegründet.

1951 wird Küster aus der SPD ausgeschlossen. 1954 verläßt er die DFG. Im Juni 1958 erleidet er einen ersten Schlaganfall, leitet Das andere Deutschland jedoch weiter bis zum Jah resende 1962 und übergibt die Redaktionsverantwortung dann an seine Ehefrau Ingeborg. Fritz Küster stirbt im April 1966 in Hannover. Das Andere Deutschland stellt drei Jahre später sein Erscheinen ein.


„Das AD war immer ein Kampfblatt. Die Methoden des Kampfes und seine Nahziele haben im Laufe der Zeiten gewechselt, aber die Gegner blieben immer dieselben: der deutsche Mili-tarismus, die deutsche Rüstungsindustrie, die vor keiner Ge-meinheit zurückschreckende deutsche Reaktion, die schließlich im Hitler-Faschismus ihr wahres Gesicht zeigte. Auch die aktuellen politischen Forderungen und Notwendigkeiten unse-rer Tage müssen gegen dieselben Gegner durchgesetzt wer-den: die Anerkennung der Deutschen Demokratischen Republik, des ersten sozialistischen Staates auf deutschem Boden; die Anerkennung der durch den Hitler-Krieg geschaffenen Grenzen; die Absage an alle Revanchepläne und die zu diesem Zweck betrieben Rüstung, insbesondere die Atomrüstung; die Mobilisierung der westdeutschen Öffentlichkeit gegen den Neofa-schismus und seine Wegbereiter; die radikalen Demokratisie-rung auf allen Ebenen des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Lebens.

Das AD hat im Kampf um diese Forderungen an vorderster Front gestanden. Darüberhinaus sahen wir eine unserer vor-nehmsten Aufgaben darin, den Befreiungskmapf der unter-drückten Völker der Dritten Welt als den bedeutsamsten historischen Prozeß unserer Zeit begreiflich zu machen und, soweit es in unseren Kräften stand, solidarisch zu unterstüt-zen. Und wenn in der Bundesrepublik allmählich doch, aller Manipulation durch die Herrschenden zum Trotz, gewisse Fortschritte in der öffentlichen Meinungs- und Willensbildung erzielt worden sind, wenn die DDR kein Tabu mehr ist, wenn der US-Aggressionskrieg in Vietnam von vielen unserer Mitbüger als ein abscheuliches Verbrechen erkannt worden ist und wenn über Israels kaum weniger verbrecherische Okkupationspolitik wenigstens schon diskutiert werden kann, dann hat das AD zu diesen Wandlungen gewiß nicht unwesentlich beigetragen.

Es mag unseren Lesern absurd und unbegreiflich erscheinen, daß diese Zeitung gerade jetzt, da die demokratische Opposition in unserem Lande stärker denn je ist, ihr Erscheinen einstellen muß. Absurd auch deswegen, weil – wie uns in vielen Zuschriften aus dem Leserkreis gesagt wurde – kein vollwertiger Ersatz vorhanden ist. Wer aber den Mechanismus kennt, durch den in der kapitalistischen Gesellschaft die Pressefreiheit ‚reguliert‘ wird, kann nicht überrascht sein, wenn das AD zu den Opfern gehört. Zur Resignation besteht dennoch kein Grund. Das andere Deutschland, die demokrati-sche Opposition, ist stark genug, um den Verlust einer Zeitung zu verschmerzen.

Unsere Hoffnung für die Zukunft ist die Jugend, die heute überall – in Fabriken und Universitäten, in Parteien und Ver-bänden – gegen eine ‚Ordnung‘ aufbegehrt, zu deren Merkmalen Hunger und Krieg, Unterdrückung und Terror gehören. Mag die Rebellion der Studenten, Schüler und Jungarbeiter auch mitunter chaotisch sein und das Ziel verfehlen: Die Rebellen werden hinzulernen. Ihnen dabei ein wenig zu helfen, weniger durch Belehrung als durch sachliche Information, war dem AD in jüngster Zeit ein wichtiges Anliegen. Seit dem vergangenen Jahr sind zahlreiche junge Menschen als Leser und Mitarbeiter zu uns gestoßen. Ihretwegen bedauern wir die Einstellung der Zeitung besonders. Aber wir sind sicher, daß diese Jugend auf dem richtigen Weg lernend voranschreiten wird: dem Weg zielbewußten Kampfes gegen eine längst zum Untergang verur-teilte Gesellschaftsordnung, für eine Welt ohne Krieg und Unterdrückung.

Das ‚Andere Deutschland‘ ist tot. Das andere Deutschland lebt.
Der Kampf geht weiter.“

Heinz J. Furian in: Das Andere Deutschland, Nr. 12/1969, Zweite Juni-Ausgabe 1969, Verlagsort Hannover


Fritz Küster-Archiv c/o
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
Institut für Politikwissenschaft
D – 26111 Oldenburg


Literatur:

1. Helmut Donat und Lothar Wieland (Hrsg.): „“Das Andere Deutschland – Unabhängige Zeitung für eine ent-schiedene republikanische Politik“ Eine Auswahl (1925-1933), hrsgg. und eingeleitet von Helmut Donat und Lothar Wieland, Verlag AutorenEdition 1980, ISBN 3-7610-0562-8 (kart.) ISBN 3-7610-0565-2 (geb.)

2. Fritz Küster: „Der Frieden muß erkämpft werden – Aufsätze eines deutschen Pazifisten“, hrsgg. und mit einem Vorwort von Stefan Appelius, Bibliotheks- und Informationszentrum der Universität Oldenburg 1989, ISBN 3-8142-0335-6

3. Ingeborg Küster: Politik – haben Sie das denn nötig? Autobiografie einer Pazifistin“, Buntbuch-Verlag Hamburg 1983
ISBN 3-88653-058-2 (vergriffen)

4. dies.: „Es ist genug! Überlebens-Erinnerungen einer Pa-zifistin, Buntbuch- Verlag Hamburg 1986,
ISBN 3-88653-087-65.

5. dies.: „Auf dem Prüfstand – Die Frau eines Widerstandskämp-fers gibt Auskunft“, Frieling-Verlag Berlin 1993, ISBN 3-89009-470-8


Links (deutsch):

http://www.uni-oldenburg.de/politik/forschung

http://www.dfg-vk.de/info/geschichte.htm

http://www.ppu.org.uk/century/century3.html

http://docserver.bis.uni-oldenburg.de/publikationen/bisverlag/unireden/ur26/kap1.pdf

http://docserver.bis.uni-oldenburg.de/publikationen/bisverlag/unireden/ur26/kap2.pdf

http://www.appelius.de/publikationen_appelius.htm

 

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