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Jaksch, Wenzel

H.A.M. 0

Wenzel Jaksch
Journalist und Politiker


Geb. 25.9. 1896 in Langstrobnitz/ Österreich-Ungarn
Gest. 27.11.1966 in Wiesbaden


Wenzel Jaksch verkörpert wie kaum ein anderer Sozialdemokrat seiner Generation und Herkunft die Probleme, Möglichkeiten und Widersprüche des böhmisch-mährischen Raumes und Mitteleuropas. Wie die Sudetendeutschen und ihre tschechischen Nachbarn war auch Jaksch zeitlebens ein Grenzgänger zwischen Tschechen und Deutschen, Ost und West, Sozialdemokratie und anderen politischen Orientierungen.


Wie sein Vater und Bruder vor ihm, musste auch der aus kleinbäuerlichen Verhältnissen stammende Jaksch bereits als Vierzehnjähriger die Heimat verlassen und als Saisonarbeiter auf dem Bau in Wien seinen Unterhalt verdienen. Im Alter von siebzehn Jahren wurde er Mitglied des sozialdemokratischen Verbandes jugendlicher Arbeiter Österreichs. Während des Ersten Weltkrieges musste der frontuntaugliche Jaksch in den Munitionsfabriken von Blumenau-Wöllersdorf bei Wien arbeiten. Die Gründung der ersten Tschechoslowakischen Republik bei Kriegsende war für den jungen Jaksch eine bittere Erfahrung. Sie war Beweis für die Brüchigkeit der von der Sozialdemokratie eigentlich vertretenen internationalen Solidarität und für die Tatsache, dass im gemischtnationalen Raum die soziale Frage immer auch eine nationale Komponente beinhaltet, dass also beispielsweise deutschböhmische Arbeiter nicht nur als Angehörige ihrer sozialen Klasse benachteiligt waren, sondern auch, weil sie nicht der tschechischen Mehrheitsnation angehörten. Jaksch erkannte auch sehr früh in seiner politischen Laufbahn, dass die vor allem vom sozialen Problem der Industriearbeiterschaft bestimmte marxistische Orthodoxie langfristig chancenlos sein würde, wenn sie nicht auch bäuerliche und Mittelschichten politisch anzusprechen vermochte.


Bald nach der Gründung der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiter-Partei in der Tschechslowakischen Republik (DSAP) im Jahre 1919 wurde Jaksch hauptamtlicher Funktionär dieser Nachfolgepartei der altösterreichischen Sozialdemokratie, zunächst in deren Kleinbauernorganisation, später als Redakteur in der Parteipresse. Unter Führung ihres ersten und unorthodoxen Vorsitzenden Josef Seliger wurde die DSAP in den Wahlen von 1920 die stimmenstärkste Partei der deutschen „Minderheit“ in der CSR. Die Sudetendeutschen waren genau genommen keine Minderheit, denn es gab mehr Deutsche als Slowaken in diesem Staat. Durch die Abspaltung der Kommunisten wurde die DSAP zwar geschwächt, sie verlor aber auch zahlreiche linksorientierte Mitglieder und gewann Spielraum für eine Entwicklung hin zur politischen Mitte. Nach dem frühen Tode Seligers (1920) führte dessen austromarxistisch orientierter Stellvertreter Dr. Ludwig Czech die Partei. Obwohl zu den Kritikern Czechs zählend, wurde Jaksch bald einer der bekanntesten Politiker der DSAP, im Jahre 1924 Mitglied des Parteivorstandes, 1929 Abgeordneter im Prager Parlament.


Als einer der ersten in seiner Partei erkannte Jaksch, dass ein langfristig gedeihliches Zusammenwirken von Tschechen und Deutschen nur dann möglich sein würde, wenn der deutschen Minderheit im Staate nicht nur individuelle, sondern auch Gruppenrechte (Autonomie) eingeräumt würden. Die Annäherung der sudetendeutschen und tschechoslowakischen Sozialdemokratie (gemeinsamer Parteitag in Prag-Smíchov, 1928) wurde unterbrochen durch die nach 1929 einsetzende Weltwirtschaftskrise, welche die deutschen Gebiete der CSR viel intensiver traf als die tschechischen. Der Staat fand kein Rezept gegen die wieder zum Teil erschreckend zunehmende Polarisierung zwischen Tschechen und Deutschen. Der DSAP-Vorsitzende Ludwig Czech tat als Minister für Soziale Fürsorge sein Möglichstens, um die Not der Arbeitslosen zu mildern; dennoch entstand der Eindruck, als ob die sudetendeutsche Sozialdemokratie durch ihre Teilnahme an der Regierung zur Erfüllungsgehilfin des antideutschen Tschecho-slowakismus geworden war. In den Erdrutschwahlen von 1935 gewann die antistaatliche und hitlerfreundliche Sudetendeutsche Partei (SdP) Konrad Henleins auf Anhieb zwei Drittel der sudetendeutschen Stimmen, zu einem erheblichen Teil auf Kosten der Sozialdemokraten.


Auf einem Parteitag nach der Wahlniederlage wurde Jaksch zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt, seine Partei aber war fortan gespalten zwischen Anhängern Czechs, die einen Verbleib der DSAP in der Regierung befürworteten, und Parteigängern Jakschs, die eine weitere Mitarbeit von nationalpolitischen Konzessionen abhängig machen wollten. Jaksch hatte sich inzwischen sehr weit vom Austromarxismus seiner Partei entfernt. Er war der Meinung, dass die DSAP nur durch Einbeziehung der bisher von der Sozialdemokratie vernachlässigten bäuerlichen und Mittelschichten erfolgreich sein könnte. Jaksch verdankte hierbei wesentliche Impulse dem mit ihm eng befreundeten ehemaligen Nationalsozialisten Dr. Otto Strasser, aber auch dem habsburgfreundlichen außenpolitischen Redakteur des DSAP-Organs Sozialdemokrat, Dr. Emil Franzel. Nachdem Jaksch diese als Volkssozialismus bekannt gewordenen unorthodoxen Vorstellungen im Jahre 1936 in dem Buch „Volk und Arbeiter“ veröffentlicht hatte, kam es zum Bruch zwischen ihm und der Mehrheit des in der CSR versammelten Vorstandes der Exil-SPD. Jaksch bemühte sich bis zum Ende des ersten tschechoslowakischen Staates unermüdlich um eine Verbesserung des sudetendeutsch-tschechischen Verhältnisses auf der Grundlage eines fairen nationalpolitischen Ausgleichs, er scheiterte jedoch an der Verweigerungshaltung der tschechoslowakischen Politik, die auch aufgrund der von der Henlein-Partei betriebenen Radikalisierung der sudetendeutschen Bevölkerung nationalpolitische Konzessionen ablehnen musste. Jaksch wurde schließlich im April des Jahres 1938, wenige Monate vor dem Münchner Abkommen und der Zerschlagung der CSR, unter aktiver Mithilfe von Präsident Benes zum Vorsitzenden der DSAP gewählt – viel zu spät für eine Verständigung zwischen Tschechen und Sudetendeutschen.


Mit Jaksch mussten etwa dreitausend sudetendeutsche Sozialdemokraten nach „München“ das Land verlassen; eine mehrfache Zahl wurde vom Hitlerregime in Konzentrationslagern eingekerkert. Jaksch floh nach Großbritannien (London) und versuchte zunächst, mit der Exilregierung Beness über eine Nachkriegslösung auf der Grundlage der Münchner Grenzen zu verhandeln. Diese Bemühungen scheiterten ebenso wie Jakschs anschließender, verzweifelter Kampf gegen die Vertreibungspolitik des tschechoslowakischen Exils. Die Spaltung seiner Exilorganisation durch Anhänger des abgewählten Vorsitzenden Czech, die von der Auslandsregierung unterstützt wurden, machte Jaksch schwer zu schaffen. Im Jahre 1944 versuchte Jaksch mit Hilfe britischer Organe, Fallschirmagenten in Nordböhmen abzusetzen, welche Genossen in der Heimat auf die drohende Vertreibung hinweisen und möglicherweise einen Volksaufstand herbeiführen sollten. Diese Aktion bezahlten mehrere Menschen mit dem Leben.


Nach dem Krieg verhinderte die tschechoslowakische Regierung bis 1949 die Übersiedelung Jakschs in die Bundesrepublik. Er wurde schließlich Ministerialdirektor und Leiter des Hessischen Landesamtes für Vertriebene, Flüchtlinge und Evakuierte. Im Jahre 1953 kandidierte Jaksch erfolgreich für den Bundestag, dem er bis zu seinem Tode angehörte. Er hatte bald große politische Schwierigkeiten mit dem linken Flügel der hessischen SPD, wodurch er schließlich gezwungen wurde, auf der Landesliste in Nordrhein-Westphalen zu kandidieren. Diese Auseinandersetzungen gingen teilweise zurück auf Jakschs volkssozialistischen Kurs in der dreißiger Jahren, ungeachtet des Umstandes, dass er den Weg seiner Partei nach Godesberg lange vorher antizipiert und später begleitet hatte.


Auch stand ein Teil der damaligen SPD Jakschs schnellem Aufstieg in der Sudetendeutschen Landsmannschaft und im Bund der Vertriebenen eher kritisch gegenüber. Diese Konflikte führten dazu, dass Jaksch in den späten fünfziger und frühen sechziger Jahren wiederholt den Plan verfolgte, die SPD zu verlassen und aus Resten des Bundes der Heimatvertriebenen und anderen politisch heimatlosen Konservativen eine neue politische Partei mit der Bezeichnung Bund Patriotische Mitte zu gründen. Diese Probleme konnten schließlich größtenteils ausgeräumt werden. Im Jahre 1963 ehrte das Park College in Parkville, Missouri, Wenzel Jaksch für sein in mehrere Sprachen übersetztes Buch „Europas Weg nach Potsdam“ mit der Würde eines Ehrendoktors.


Bei seinem Tode durch einen Verkehrsunfall war Jaksch u.a. Inhaber des Großen Verdienstkreuzes mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, Mitglied des Deutschen Bundestages, Präsident des Bundes der Vertriebenen, Präsident der Bundeversammlung der Sudetendeutschen Landsmannschaft, Stellvertretenden Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft, Bundesvorsitzender der Seliger-Gemeinde sudetendeutscher Sozialdemokraten und Mitglied des Sudetendeutschen Rates.


Autor:

Martin K. Bachstein


Dokumente:

Im Archiv der sozialen Demokratie sind Publikationen von Wenzel Jaksch dokumentiert: Korrespondenz, Reden und Aufsätze (Manuskripte), Materialien zur Person und Tatigkeit Jakschs, Deutsche sozialdemokratische Arbeiterpartei in der Tschechoslowakischen Republik (DSAP), Besetzung der CSR, Emigration, Kontroverse Beneš-Jaksch, Protokolle des Exilvorstandes der sudetendeutschen Sozialdemokratie (Kopien), Treuegemeinschaften im Ausland, Situation in der Tschechoslowakei vor und nach 1945, Vertriebenenangelegenheiten, Seliger-Gemeinde (Gesinnungsgemeinschaft sudetendeutscher Sozialdemokraten), Sudetendeutsche Landsmanschaft, SPD, Europapolitik, Deutschlandpolitik und Ostpolitik, Mitglied des Deutschen Bundestages, Petentenpost, Zeitungsausschnitte betr. Wenzel Jaksch.


Literatur:

Martin K. Bachstein: Wenzel Jaksch und die sudetendeutsche Sozialdemokratie, Verlag Oldenbourg, München Wien 1974,  ISBN: 3486440810


Links (deutsch): 

http://www.fes.de/archiv/1abt/jaksch-w.htm

http://de.wikipedia.org/wiki/Wenzel_Jaksch

http://www.antiquario.de/a_autoren/j/Jaksch_Wenzel.html

http://www.perlentaucher.de/buch/6443.html

http://www.dasrotewien.at/online/page.php?P=11804

http://www.bohemistik.de/jaksch1main.html

http://www.sudetendeutsches-archiv.de/web/de/e_bi_ver/index.htm


International:

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