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Hrabal, Bohumil

H.A.M. 0

Bohumil Hrabal
Schriftsteller


Geb. 28.3. 1914 in Brno (b. Brünn)/Österreich-Ungarn
Gest. 3.2.1997 in Prag/ Tschechoslowakei


„Meine Literatur und folglich meine Texte sind nichts anderes als die Suche nach meiner verlorenen Zeit, ich bin verblüfft darüber, zugleich aber amüsiert es mich, deshalb hebe ich das Vergnügliche an meinen Texten derart hervor, ich amüsiere mich selbst an der Schwierigkeit einer solchen Suche.“

(Bohumil Hrabal)


Bohumil Hrabal ist der originellste tschechische Prosaiker der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Daran besteht seit seinem späten Debüt vor vier Jahrzehnten kein Zweifel.
Er wurde im heutigen Brno als unehelicher Sohn der Marie (Maryška) Kilianová geboren. Er blieb bei den Großeltern bis 1917, als die Mutter Francin Hrabal heiratete, der Bohumil adoptierte. Die Familie ließ sich in Polná nieder, wo der Vater in der Brauerei arbeitete. Geburt des Bruders Slávek.
1920 zog die Familie nach Nymburk/Nimburg an der Elbe, wo der Vater Brauereiverwalter wurde und Bohumil in die Grundschule kam. 1924 besuchte sie Francins Bruder Josef (Onkel Pepin), er blieb sein Leben lang bei der Familie.
1925 bis 1926 war Bohumil auf dem Gymnasium in Brünn, von 1926 bis zum Abitur 1934 auf der Realschule in Nymburk.
1935 begann er ein Jurastudium an der Karlsuniversität in Prag, hörte Vorlesungen über Literatur, Kunst und Philosophie, befreundete sich mit dem Dichter und Musiker Karel Marysko. Seit Mitte der dreißiger Jahre schrieb er Gedichte.


Als die nazideutsche Besatzungsmacht 1939 sämtliche tschechischen Hochschulen schloss, kehrte er nach Nymburg zurück, arbeitete als Notariatsgehilfe und Lagerverwalter der Konsumgenossenschaft, bis er sich zum Besuch einer Handelsschule in Prag entschloss. Von 1941 bis 1945 arbeitete er bei der Staatlichen Eisenbahn als Telegrafist und Zugabfertiger in Kostomlaty.
1945 verfasste er zusammen mit Karel Marysko ein Manifest des Neo-Poetismus (verschollen).
1946 schloss er das Jurastudium ab und wurde zum Doktor der Rechte promoviert, verzichtete aber auf eine Karriere als Jurist. Bis 1947 war er bei der Prager Gewerbeversicherung als Vertreter tätig. Im selben Jahr zog er nach Prag-Liben, Na Hrázi 24, an den Damm zur Ewigkeit, sein Domizil bis 1973. Zeitweise wohnte er dort mit Karel Marysko und dem Graphiker Vladimír Boudník (der sanfte Barbar).


Nach der kommunistischen Machtergreifung 1948 verlor der Vater seine Anstellung. Bohumil Hrabals erster Gedichtband Ztracená ulicka (Verlorenes Gässchen) durfte nicht gedruckt werden.
Von 1947 bis zur Verstaatlichung 1948 war er Handelsreisender der Drogeriewarenfirma K. H. Klofanda. In der Zeit schrieb er Legenda o Kainovi (Legende von Kain), eine der Vorlagen für Ostre sledované vlaky (Reise nach Sondervorschrift, Zuglauf überwacht), Utrpení starého Werthera (Die Leiden des alten Werther), die erste Fassung von Tanecní hodiny pro starší a pokrocilé (Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene).
Von 1949 bis 1952, als er einen schweren Arbeitsunfall erlitt, arbeitete er im Stahlwerk Kladno. Dort lernte er Vladimír Boudník kennen und befreundete sich mit dem Philosophen und Schriftsteller Egon Bondy. In diese Zeit fällt auch seine Bekanntschaft mit dem Schriftsteller und bildenden Künstler Jirí Kolár und mit den Schriftstellern Jirí Weil und Josef Hiršal.


Von 1954 bis 1958 war er Altpapierpacker in einer Rohstoff-Sammelstelle in der Spálená-Gasse, Prager Neustadt. Von Jirí Kolár veranlasst, erschien 1956 als bibliophile Ausgabe Hovory lidí (Gespräche von Leuten).
1956 heiratete er Eliška Plevová.
Von 1959 bis 1962 war er Kulissenschieber und Statist im S.-K.-Neumann-Theater Prag-Liben. Wiederum auf Betreiben Jirí Kolárs sollte der Erzählungsband Skrivánek na niti (Eine Lerche am Faden) erscheinen, aber nach dem politischen Skandal um Josef Škvoreckýs Roman Zbabelci (Feiglinge) wurde das verboten.


1963 erschien der Erzählungsband Perlicka na dne (Perlchen auf dem Grund), Hrabals spätes, überaus erfolgreiches Debüt. Seitdem war er freier Schriftsteller. In den folgenden fünf Jahren konnte er mehrere Bände mit Erzählungen veröffentlichen, darunter, zum Teil stark umgearbeitet, viele der Texte, die er seit den späten vierziger Jahren geschrieben hatte. Es erschienen: Pábitelé (Die Bafler), Tanecní hodiny pro starší a pokrocilé (Tanzstunden für Erwachsene und Fortgeschrittene), Ostre sledované vlaky (Reise nach Sondervorschrift, Zuglauf überwacht), Inzerát na dum, ve kterém u?ª nechci bydlet (Inserat. Verkaufe Haus, in dem ich nicht mehr wohnen will), Automat svet (Stehimbiss Welt. Mit Collagen von Jirí Kolár), Bohumil Hrabal uvádí (Bohumil Hrabals Lesebuch), Toto mesto je ve spolecné péci obyvatel (Diese Stadt steht in der gemeinsamen Obhut ihrer Bewohner. Mit Fotos von Miroslav Peterka), Morytáty a legendy (Moritaten und Legenden). Mehrere Werke wurden für das Theater bearbeitet, verfilmt wurden Reise nach Sondervorschrift. Zuglauf überwacht (Jirí Menzel), Perlchen auf dem Grund (Jirí Menzel, Jan Nemec, Evald Schorm, Vera Chytilová), Ein fader Nachmittag (Ivan Passer), Gesammelte Roheiten (Juraj Herz).


1966 starb der Vater, 1967 Onkel Pepin, 1968 Vladimír Boudník, 1970 die Muter.

1968 wurde Hrabal mit dem Tschechoslowakischen Staatspreis für Literatur ausgezeichnet. Nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch Truppen des Warschauer Paktes bekam er Publikationsverbot, Filme nach seinen Werken wurden zurückgezogen, in Druck gegangene Werke eingestampft. Für lange Zeit blieb nur die Möglichkeit, im Ausland zu publizieren, unter anderem im Exilverlag des nach Toronto emigrierten Josef Škvorecký sowie in den Zeitschriften Svedectví und Listy. Dass er die Werke später für die Veröffentlichung in der Tschechoslowakei bearbeitete, geschah nicht nur im Hinblick auf die Zensur – es entsprach Hrabals Lust zum Variieren, zum Spiel mit den Texten.
1970 kaufte Hrabal ein kleines Haus in der Waldsiedlung Kersko bei Nymburk. Seitdem lebte er überwiegend dort. Die Wohnung Prag-Liben gaben Hrabal und seine Frau 1973 auf und bezogen eine Neubauwohnung in Prag-Kobylisy.
Unbeachtet des Publikationsverbots entstanden weitere Werke: Postri?ªiny (Die Schur), Obsluhoval jsem anglického krále (Ich habe den englischen König bedient), Mestecko, kde se zastavil cas (Das Städtchen, in dem die Zeit stehen blieb), Ne?ªný barbar (Der sanfte Barbar), schließlich 1979 Príliš hlucná samota (Allzu laute Einsamkeit).


Nach dem Hrabal 1975 der Wochenzeitung Tvorba ein Interview gegeben hatte, wurde das Publikationsverbot gelockert. Als erster Text seit 1968 wurde Postri?ªiny (Die Schur) gedruckt. In den folgenden Jahren erschienen: Slavnosti sne?ªenek (1978, Schneeglöckchenfeste), Krasosmutnení (1979, Schöntrauer), Ka?ªdý den zázrak (1979, Jeden Tag ein Wunder, Auswahlband), Harlekýnovy milióny (1981, Harlekins Millionen), Kluby poezie (1981, Poesieklubs), Mestecko u vody (1982, Die kleine Stadt am Wasser, d.i. Nymburker Trilogie: Die Schur, Schöntrauer, Harlekins Millionen), Domácí úkoly z pilnosti (1982, Fleißaufgaben), Obsluhoval jsem anglického krále (1982, Ich habe den englischen König bedient), Hovory lidí (1984, Gespräche von Leuten, Auswahlband), ?©ivot bez smokingu (1986, Ein Leben ohne Smoking), Muj svet (1989, Meine Welt, Auswahlband), Príliš hlucná samota (1989, Allzu laute Einsamkeit).


Hrabals Texte durften in dieser Zeit auch wieder an Theatern gespielt werden. Jirí Menzel verfilmte 1980 Die Schur und 1983 Schneeglöckchenfeste.
1982 bis 1985 schrieb Hrabal die autobiographische Trilogie Svatby v dome (Hochzeiten im Haus, 1986/1987 in Toronto).
1987 starben Hrabals Frau Eliška und sein Bruder Slávek, 1988 sein Freund Karel Marysko. In dem Jahr wurde die Gasse Na Hrázi und das Haus Nr. 24 abgerissen, in dem Hrabal ein Vierteljahrhundert gelebt hatte.
1988 wurde er in Italien für Allzu laute Einsamkeit ausgezeichnet. 1996 verlieh ihm die Universität Padua die Ehrendoktorwürde.

Am 3. Februar 1997 starb Bohumil Hrabal in Prag während eines Krankenhausaufenthalts. Durch einen Fenstersturz beim Taubenfüttern, so die offizielle Version. Vieles spricht dafür, dass es ein selbstgewähltes Ende war.


Autor:

Eckhard Thiele


Tschechische Bibliothek

Dieser Beitrag wurde dem Exil-Archiv freundlicherweise von der Initiative „Tschechische Bibliothek“ zur Verfügung gestellt. Die „Tschechische Bibliothek“ ist eine Initiative der Robert Bosch-Stiftung, einer der großen unternehmensverbundenen Stiftungen in Deutschland, die sich unter anderem der Völkerverständigung widmet. Mit der „Tschechischen Bibliothek“ möchte die Stiftung einen Beitrag zur deutsch-tschechischen Verständigung leisten. Zusätzlich zur Bibliothek wird eine Reihe begleitender Veranstaltungen gefördert wie eine Konferenz der Literatur-Übersetzer aus dem Tschechischen im Januar 2002, die deutsch-tschechische Übersetzerwerkstatt in Straelen im November 2003 oder die „Prager Nacht“, eine Entdeckungsfahrt durch die tschechische Literatur in zahlreichen deutschen Städten 2002-2005.

 

 

 

 

 


Die Tschechische Bibliothek in 33 Bänden
Herausgegeben von:
Hans Dieter Zimmermann, Eckhard Thiele,
Peter Demetz, Jiri Grusa und Peter Kosta.

Bohumil Hrabal
Allzu laute Einsamkeit
und andere Texte
Übersetzung: Peter Sacher
Mit Beiträgen von Peter Demetz
und Susanna Roth
Auswahl und Nachwort:
Eckhard Thiele
DVA, Stuttgart/ München 2003
ISBN: 3-421-05247-6


Leseprobe:

Fünfunddreißig Jahre lang habe ich Altpapier an der mechanischen Presse gepreßt, fünfunddreißig Jahre lang hab ich mir gedacht, daß ich so, wie ich bisher gearbeitet hätte, ewig weiterarbeiten würde, daß diese Presse mit mir in Pension gehen würde, aber schon drei Tage nachdem ich die gigantische Presse in Bubny gesehen hatte, wurde genau das Gegenteil meiner Träume wahr. Ich kam zur Arbeit, und dort standen zwei junge Männer, ich erkannte sie sofort, es waren Mitglieder jener Brigade der sozialistischen Arbeit, sie waren gekleidet, als wollten sie Baseball spielen, orange Handschuhe und orange amerikanische Schirmmützen und blaue Overalls bis an die Brustwarzen, und unter den Hosenträgern hatten sie grüne Pullis an.

Zum Weiterlesen klicken Sie bitte hier (PDF-Dokument)

Diese Leseprobe wurde dem Exil-Archiv freundlicherweise von der DVA zur Verfügung gestellt.


Links (deutsch):


International:

http://art-bin.com/art/ahrabaleng.html

http://www.kirjasto.sci.fi/hrabal.htm

http://www.britannica.com/eb/article?tocId=9114734

http://www.pastis.org/jade/cgi-bin/reframe.pl?http://www.pastis.org/jade/nov02/solitude/english/toloudasolitude1.htm

http://www.geocities.com/Hollywood/Hills/2765/hrabal.html

http://hrabal.eunet.cz/hrabal/bh.htm

http://www.etcetera.com.mx/1998/272/fdf0272.htm

http://bohemica.free.fr/auteurs/hrabal/portraits.htm

http://www.humanite.presse.fr/journal/2004-02-26/2004-02-26-388900

http://www.gilles-jobin.org/citations/?au=407

http://www.radio.cz/es/articulo/52558

http://www.odaha.com/bohumilhrabal.php

http://www.tsjechisch.nl/portret19.htm

http://www.bibliografi.dk/forfatter.asp?nr=875

 

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