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Schwartz, Philipp

H.A.M. 0

Philipp Schwartz

Pathologe

Geb. 19.07. 1894 in Versec/ Österreich-Ungarn

Gest. 01.12. 1977 in Fort Lauderdale/ USA

 

Sein Geburtsort Werschetz (Vrsac) in der damaligen österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie gehört heute zu Serbien. Schwartz‘ Vater, ein Kaufmann, gehört dem Reformjudentum an. Der Sohn nimmt 1912 das Medizinstudium in Budapest auf, dient während des Ersten Weltkrieges in der ungarischen Infanterie, promoviert 1919 und geht danach als Assistent ans Pathologische Institut der Frankfurter Universität. 1923 habilitiert er sich über die “Traumatische Schädigung des Neugeborenengehirns bei der Geburt“. “Sein Nachweis, in welch ungeahntem Ausmaß Totgeburten oder postnatale Behinderungen durch Komplikationen während des Geburtsvorgangs selbst bedingt sind, machte ihn zu einem Wegbereiter der modernen Schwangerschaftsvorsorge.“ (Hier zitiert aus: {ln:nw:https://www.uni-frankfurt.de/54105892/schwartz}). 1927 erhält er eine außerordentliche Professor für Pathologie. Sechs Jahre später erfolgt die “Machtübergabe“ an die Nationalsozialisten, was auch und vor allem für die Bürger jüdischen Glaubens erhebliche Konsequenzen nach sich zieht. Auch Professor Philipp Schwartz wird aufgrund des am 7. April 1933 erlassenen NS-Gesetzes “zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ fristlos entlassen.

 

Er verlässt Nazi-Deutschland und zieht zu seinen Schwiegereltern in die Schweiz. Vor dem Hintergrund der für viele jüdische Wissenschaftler ausweglosen Situation gründet Schwartz in Zürich im selben Jahr noch eine “Zentralberatungsstelle für deutsche Gelehrte“ (später: “Notgemeinschaft deutscher Wissenschaftler im Ausland“). Sehr bald schon knüpft der Pathologe Kontakte mit der Türkei, hat er doch erfahren, dass hier seit 1932 der Genfer Pädagogikprofessor Albert Malche im Auftrag des türkischen Staatspräsidenten Kemal Atatürk und seines Erziehungsministers Reşit Galip mit der Aufgabe befasst ist, das türkische Hochschulwesen nach westlichem Vorbild zu reformieren. Und dafür sind ausländische Hochschullehrer gefragt. Bei zwei Besuchen in Ankara kann Schwartz seine Gesprächspartner davon überzeugen, dass er genug qualifizierte Kandidaten habe, so dass über die “Notgemeinschaft“ schließlich dreißig ordentliche Professuren besetzt werden können. Im akademischen Jahr 1933/ 34 nehmen an der Universität Istanbul bereits zweiundvierzig deutsche Professoren ihre Arbeit auf. Eine türkische Quelle beziffert die Gesamtzahl ausländischer Professoren von 1933 bis 1953 auf 220, darunter 166 Deutsche, bei denen die Emigranten überwiegen (unter ihnen der Literaturwissenschaftler {ln:Auerbach, Erich ‚Erich Auerbach}, die Mathematikerin {ln:Geiringer, Hilda ‚Hilda Geiringer}, der Finanzwissenschaftler {ln:Neumark, Fritz ‚Fritz Neumark} die Informatikerin {ln:Laqueur, Marianne ‚Marianne Laqueur}, der Musikhistoriker {ln:Praetorius, Ernst ‚Ernst Praetorius}, der Indologe {ln:Ruben, Walter ‚Walter Ruben} und der Architekt {ln:Taut, Bruno ‚Bruno Taut}). Philipp Schwartz übernimmt im Oktober 1933 das Institut für Pathologie an der Universität Istanbul.

 

Im Jahr 1951 wird dem einstmals verfemten Wissenschaftler im Zuge der Wiedergutmachung der Titel eines ordentlichen Professors an der Goethe-Universität in Frankfurt zuerkannt, allerdings ohne entsprechende Anstellung. Er geht in die Vereinigten Staaten, ist ab 1953 als Pathologe am Warren State Hospital in Pennsylvania tätig und bemüht sich 1957 vergeblich um eine Rückkehr an die Goethe-Universität. Dazu Professor Dr. med. Otto Winkelmann/ Frankfurt/Main, in seinem Beitrag: “Schon aus Gründen des Alters ablehnen“ – Der Pathologe Philipp Schwartz (1894-1977) und die Frankfurter Medizinische Fakultät“ im Hessischen Ärzteblatt 12/ 2005: “Die  Frankfurter  Medizinische  Gesellschaft hat am 8. Mai 2002 eine Gedenksitzung  unter  der  Überschrift „Philipp Schwartz (1894-1977) und die Emigration. Die   Frankfurter   Medizinische Fakultät  während  und  nach  der  NS-Zeit“ veranstaltet.  Als  das  Senckenbergische Institut für Geschichte der Medizin  auf  diese  Sitzung  in  dem  klinikinternen    Nachrichtenblatt    hinweisen wollte,  ist  dies  vom  damaligen  Dekan ohne  Angabe  von  Gründen  abgelehnt worden.  Am  Ende  der  Veranstaltung hat   der   Vorstand   des   Instituts   für Geschichte der Medizin der Universität Istanbul,  Professor  Dr.  Dr.  Arslan  TerziôgIu,  die  Philipp  Schwartz  posthum verliehene Avicenna-Plakette der Medizinischen Fakultät der Universität Istanbul   an   Frau   Dr.   Susanne   Ferenz-Schwartz, Zürich, übergeben. An  der  Universität  Istanbul  ist  das  Andenken an Philipp Schwartz noch sehr lebendig. An  der  Johann  Wolfgang  Goethe-Universität   Frankfurt,   die   Schwartz   als seine  wissenschaftliche  Heimat  empfand, war, als er 20 Jahre nach der Vertreibung  zurückkommen  wollte,  keine Stelle für ihn frei. Schon aus Gründen des Alters.“ (Hier zitiert aus: O. Winkelmann/ in: Hess. Ärzteblatt, 12/ 2005, S. 862f./ {ln:nw:http://www.laekh.de/images/Hessisches_Aerzteblatt/2005/HAEBL_12_2005.pdf }

 

Philipp Schwartz, wissenschaftlicher Wegweiser mit seinen Forschungen über das zerebrale Geburtstrauma, Schlaganfall, Tumorpathologie, Tuberkulose, Geriatrie und Alzheimer, verstirbt im Alter von 83 Jahren in Florida. Seine Tochter, die Psychiaterin Susan Ferenz-Schwartz, lässt nach dem Tod von Schwartz‘ Ehefrau die Urne ihres Vaters nach Zürich überführen und in einem gemeinsamen Grab  auf dem Stadtzürcher Friedhof Fluntern beisetzen. “Ein schlichter Grabstein mit Inschrift erinnert an die Verstorbenen: Er befindet sich ganz in der Nähe zu den Gräbern von James Joyce und {ln:Canetti, Elias ‚Elias Canetti}. Im Gegensatz zu den beiden Weltliteraten ist die Ruhestätte des initiativen Fluchthelfers und renommierten Pathologen jedoch kaum auffindbar: Sein Name figuriert nicht auf der Friedhofsliste der prominenten Verstorbenen, und kein Schild weist den Weg zum Ehepaar Schwartz-Tschulok.“ (Hier zitiert aus:  Brigitte Hürlimann “Eine Aktion von welthistorischer Bedeutung. Das Vermächtnis des Philipp Schwartz“, in Neue Zürcher Zeitung v. 22.2. 2013/  {ln:nw:https://www.nzz.ch/zuerich/das-vermaechtnis-des-philipp-schwartz-1.18017126}). Nach Intervention von Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland  wird die Grabstätte dann später allerdings nicht, wie ursprünglich geplant, aufgehoben, sondern in ein Ehrengrab der Stadt Zürich überführt. Des Weiteren erinnert “In ihrem Jubiläumsjahr 2014 (…) die Frankfurter Universität mit der Errichtung einer Stele auf dem Campus Niederrad an diesen großen Retter der Idee der Wissenschaft.“ (Hier zitiert aus: {ln:nw:https://www.uni-frankfurt.de/54105892/schwartz}). 2017 wird am ehemaligen Wohnhaus    des Pathologen in der Frankfurter Haardtwaldstraße 2 eine Plakette im Gedenken an  Philipp Schwartz installiert.

 

Eine nach ihm Pathologen benannte Initiative der Alexander von Humboldt-Stiftung mit Unterstützung des Auswärtigen Amtes ermöglicht es Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Deutschland, gefährdete Forschende im Rahmen eines Vollstipendiums für 24 Monate aufzunehmen. Zu den Stipendiaten gehört unter anderem die türkische Soziologin und Genderforscherin {ln:Mutluer, Nil ‚Nil Mutluer}, die seit Sommer 2016 für zwei Jahre an der Berliner Humboldt-Universität wissenschaftlich tätig sein kann.

 

Quellen:

{ln:nw:https://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_Schwartz }

{ln:nw:https://www.uni-frankfurt.de/54105892/schwartz }

{ln:nw:http://www.laekh.de/images/Hessisches_Aerzteblatt/2005/HAEBL_12_2005.pdf }

Brigitte Hürlimann “Eine Aktion von welthistorischer Bedeutung. Das Vermächtnis des Philipp Schwartz“, in Neue Zürcher Zeitung v. 22.2. 2013/  {ln:nw:https://www.nzz.ch/zuerich/das-vermaechtnis-des-philipp-schwartz-1.18017126 }

Dies.: Späte Würdigung. Ein Ehrengrab für den Fluchthelfer Philipp Schwartz, in Neue Zürcher Zeitung v. 1.11. 2013/ {ln:nw:https://www.nzz.ch/zuerich/ein-ehrengrab-fuer-den-fluchthelfer-philipp-schwartz-1.18177325 }

{ln:nw:http://www.fr.de/frankfurt/stadtteile/frankfurt-sued/niederrad-plakette-fuer-mediziner-im-exil-a-1263091 }

 

Links (deutsch):

{ln:nw:https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=121222403 }

{ln:nw:http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/20856 }

{ln:nw:http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.wissenschaftsfluechtlinge-forschung-im-ausnahmezustand-page1.0f8ef795-2787-4bbb-a407-c38503b0cc6d.html }

{ln:nw:https://www.weltexpresso.de/index.php/kino/9691-haymatloz-am-beispiel-von-philipp-schwartz }

 

International:

{ln:nw:https://en.wikipedia.org/wiki/Philipp_Schwartz }

{ln:nw:http://www.weloveist.com/from-nazi-germany-to-istanbul-university }

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