(Werner) Michael Blumenthal
Politiker, Ökonom, Manager, Museumsdirektor und Autor
Geb. 03.01. 1926 in Oranienburg (b. Berlin)
“Als sich die Kunde vom Grauen der Vernichtungslager 1945 verbreitete, stand Michael Blumenthal im Shanghaier Ghetto fassungslos vor einer Mauer. Gegenüber seines Hauses im Stadtteil Hongkou waren an einer Fassade lange Listen angeschlagen. Blumenthal las und las, Namen von Überlebenden, die der Mordmaschinerie der Nazis entgangen waren. Kein Einziger seiner Berliner Kindheitsfreunde fand sich darunter. Blumenthal war damals 18 Jahre alt – mit seiner Schwester und seinen Eltern hatte er in Shanghai gehungert, wurde gedemütigt, geschlagen. Aber die Familie war am Leben.“ *)
Der Sohn des Bankiers und späteren Textilkaufmanns Ewald Blumenthal besucht die Private Jüdische Waldschule Kaliski in Berlin-Dahlem. An seine Kindheit erinnert er sich 2014 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk wie folgt: “Mein Elternhaus war ziemlich deutsche Mittelklasse, wollen wir mal sagen, die waren nicht sehr intellektuell. Sie waren stolz auf ihren intellektuellen, mein Vater war stolz auf seinen intellektuellen Onkel und auf den Vorfahren Giacomo Meyerbeer und so was, das hat er mit Stolz erzählt, aber er selbst war nicht besonders kultiviert, meine Mutter auch nicht, normal. Einmal im Jahr sind sie vielleicht in die Oper gegangen und so, zu Hause, wir haben keinen Flügel, kein Klavier im Haus gehabt und so weiter. Und ich kann mich auch nicht erinnern, dass meine Eltern schwere Bücher gelesen haben und so weiter, sie haben sich gefreut, aber … Doch, ich bin, solange ich noch erzogen wurde zu Hause, als Deutscher erzogen worden.“ (Hier zitiert aus: {ln:nw:http://www.deutschlandfunk.de/w-michael-blumenthal-berlin-ist-doch-noch-eine-zweite-heimat.1295.de.html?dram:article_id=279162} )
Sechs Jahre nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten und ein Jahr nach den Novemberpogromen 1938 (in deren Gefolge Blumenthals Vater vorübergehend im KZ Buchenwald interniert wird) fliehen die Eltern mit Michael und seiner Schwester im Frühjahr 1939 aus Nazi-Deutschland nach Shanghai, der einzigen Stadt in jenen Tagen, wo man kein Visum verlangt und letzte Zuflucht für diejenigen, die nirgendwo anders ein Exil finden können. “Anders als in den klassischen Exilländern finden sich unter ihnen kaum große Namen aus Kunst, Politik oder Wissenschaft. Nach Shanghai retteten sich vor allem die kleinen Leute.“ (Quelle: {ln:nw:http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/4264}) 18.000 Tausend deutsche Juden fliehen bis 1945 nach Shanghai. Dort überlebt die Familie im späteren Ghetto (wie auch andere Exilanten, unter ihnen der Maler {ln:Bloch, David Ludwig David ‚Ludwig Bloch}). Nach dem Sieg über die japanischen Besatzer wird W. Michael Blumenthal der erste Zivilangestellte der amerikanischen Befreiungstruppen in Shanghai. Zwei Jahre später erhält die zuvor staatenlose Familie das Visum für die Vereinigten Staaten und 1952 wird der ehemalige Exilant (zu dessen Sprachschatz neben dem Chinesischen auch Englisch, Französisch und Spanisch gehört) US-amerikanischer Staatsbürger.
Für kurze Zeit ist er kurz nach dem Krieg wieder in Deutschland: An der Universität Münster studiert Blumenthal Volkswirtschaft und geht danach wieder zurück in die USA. 1951 folgt der Bachelor of Science in Internationaler Wirtschaft von der University of California/ Berkeley sowie 1953 der Master of Arts in Wirtschaftswissenschaften, der Master of Public Affairs an der Princeton University und drei Jahre die Promotion im Fach Ökonomie. Von 1953 bis 1956 unterrichtet Blumenthal Volkswirtschaftslehre und arbeitet vorübergehend in leitenden Positionen der Wirtschaft. Mehrmals wechselt er von nun an die Seiten, ist in den Jahren 1961 bis 1967 Mitarbeiter im US-Außenministerium und zugleich wirtschaftspolitischer Berater der Präsidenten Kennedy und Johnson, geht 1967 erneut in die Wirtschaft und gehört 1973 zu den Gründungsmitgliedern der Trilateralen Kommission, eines privaten Think Tanks, der die Politik berät, zu der Blumenthal dann auch wieder wechselt. Von 1977 bis 1979 amtiert er als Finanzminister im Kabinett von US-Präsident Jimmy Carter, wird 1980 Vizepräsident und 1981 Vorstandsvorsitzender eines Computerkonzerns und von 1990 bis 1996 Partner einer großen US-amerikanischen Investmentbank.
1997 folgt Blumenthal einem Ruf als Gründungsdirektor des Jüdischen Museums in Berlin und wird das Haus in den folgenden 17 Jahren zum mithin größten jüdischen Museum Europas ausbauen. Im September 1997 übernimmt er die Schirmherrschaft des V. Else Lasker-Schüler-Forums “Zwischen Theben und Shanghai“ in Wuppertal und veröffentlicht 1998 seine Familienchronik unter dem Titel “Die unsichtbare Mauer. Die dreihundertjährige Geschichte einer deutsch-jüdischen Familie“ zu deren Vorfahren, neben dem bereits erwähnten Giacomo Meyerbeer, auch die Schriftstellerin Rahel Varnhagen zählt.
Am 1. 2014 legt Michael Blumenthal, Mitglied im Advisory Board der Investment Bank Evercore Partners, des American Jewish Committee in Berlin und des International Rescue Committee, Kuratoriumsmitglied der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und Mitglied im Council on Foreign Relations, sowie dem Princeton und Century Club, sein Amt als Museumsdirektor nieder. Im selben Jahr erhält der bereits vielfach ausgezeichnete und spätere Ehrenbürger der Stadt Berlin (2015) den „{ln:Nachama, Estrongo ‚Estrongo Nachama} Preis für Toleranz und Zivilcourage“ der Berliner Stiftung Meridian.
Quellen:
*) entnommen aus: {ln:nw:http://www.zeit.de/reisen/2012-01/shanghai-juden }
{ln:nw:http://www.deutschlandfunk.de/w-michael-blumenthal-berlin-ist-doch-noch-eine-zweite-heimat.1295.de.html?dram:article_id=279162 }
{ln:nw:https://de.wikipedia.org/wiki/W._Michael_Blumenthal }
{ln:nw:http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/4264 }
{ln:nw:http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/24273 }
Hajo Jahn (Hrsg.): “Zwischen Theben und Shanghai“. Jüdische Exilanten in China – Chinesische Exilanten in Europa. Almanach zum V. Else-Lasker-Schüler-Forum “Flucht in die Freiheit“, Oberbaum-Verlag 1998
{ln:nw:http://www1.wdr.de/radio/wdr5/michael-blumenthal-politiker-104.html }
Links (deutsch):
{ln:nw:https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=120973391 }
Fluchtwege und Exilstationen. Exilstation Shanghai in: https://www.exilarchiv.de/grafik/themen/exilstationen/shanghai.pdf }
{ln:nw:http://www.hagalil.com/2013/12/shanghai-2/ }
{ln:nw:http://www.tagesspiegel.de/kultur/michael-blumenthal-verlaesst-das-juedische-museum-berlin-in-besten-haenden/10071130.html }
{ln:nw:http://www.zeit.de/2002/20/Exil_am_Whangpu/komplettansicht }
{ln:nw:http://www.deutschlandfunk.de/w-michael-blumenthal-berlin-ist-doch-noch-eine-zweite-heimat.1295.de.html?dram:article_id=279162 }
{ln:nw:http://www.presseportal.de/pm/80292/3219490 }
{ln:nw:http://www.fr.de/kultur/interview-das-kommt-von-meinem-kinderfraeulein-a-904407 }
{ln:nw:http://www.meridian-stiftung.de/estrongo-nachama-preis/preistraeger-2014/ }
International:
{ln:nw:https://www.treasury.gov/about/history/Pages/wmblumenthal.aspx }
{ln:nw:http://biography.yourdictionary.com/werner-michael-blumenthal }
{ln:nw:http://www.princetonmagazine.com/michael-blumenthals-search-for-answers-takes-him-full-circle-back-to-berlin/ }
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