Gerta von Ubisch (auch: Gertrud von Ubisch)
Physikerin, Botanikerin und Pflanzengenetikerin
Geb. 03.10. 1882 in Metz/ Deutsches Reich
Gest. 31.03. 1965 in Heidelberg
“Wozu die Mädchen ermutigen, sich Kenntnisse anzueignen, wenn man ihnen dann plötzlich ‚Halt’ zuruft?” *)
Für die Tochter aus einer deutschen Kaufmannsfamilie mit adligen Wurzeln steht schon mit 16 Jahren fest: Sie will Physik studieren – fügt sich aber den Konventionen jener Zeit und absolviert zunächst eine Haushaltslehre in einem Pfarrhaus. Ab 1900 absolviert sie sogenannte “Realkurse“, legt 1904 das Abitur ab und geht danach für ein Semester an die Universität Heidelberg, anschließend nach Freiburg im Breisgau und kommt nach Berlin, wo sie die Bekanntschaft von {ln:Meitner, Lise ‚Lise Meitner} macht. In Straßburg promoviert von Ubisch mit einer Arbeit über “Schwingungszahl und Dämpfung im leuchtenden und nichtleuchtenden Natrium-Dampfe“.
Neben der Physik gilt ihr Interesse der Botanik, und diese Leidenschaft vertieft sie anschließend auch wissenschaftlich, geht 1911 zum Pflanzengenetiker Erwin Baur an die Landwirtschaftliche Hochschule nach Berlin-Friedrichshagen und 1914 nach Münster zum Botaniker, Genetiker, Wiederentdecker der Mendel’schen Regeln und Leiter des Botanischen Gartens, Prof. Carl Correns. Während des Ersten Weltkrieges verdiente sich Gerta von Ubisch ihren Lebensunterhalt als Saatzuchtleiterin, geht 1918 wieder für einige Jahre nach Berlin ans Pflanzenphysiologische Institut und anschließend nach Heidelberg, wo sie 1921 wissenschaftliche Assistentin des Pflanzenphysiologen Ludwig Jost ist und sich zwei Jahre später als erste Frau überhaupt bei ihm zum Thema Vererbungslehre habilitiert (“Versuche über Vererbung und Fertilität bei Heterostylie und Blütenfüllung“). Die erste Habilitation einer Frau in Baden (als eine von fünfzehn in Deutschland überhaupt) ist eine für spätere Generationen wegweisende Tatsache, öffnet sich doch damit auch Frauen der Weg zu Lehre und Forschung an der dortigen Universität. 1924 erhält die junge Wissenschaftlerin einen Lehrauftrag in Heidelberg und 1929 ihre Ernennung zur außerordentlichen Professorin für Botanik.
Aufgrund ihrer jüdischen Vorfahren wird von Ubisch 1933 der Lehrauftrag von den Nationalsozialisten entzogen und ihr die Stelle gekündigt. Dank der Intervention von namhaften Wissenschaftlern wie Jost und Baur darf sie allerdings noch bis 1934 lehren, wenn auch unter zum Teil erheblichen Problemen. Auf Einladung des Akademikerinnen-Verbandes emigriert sie schließlich ins niederländische Utrecht, folgt sehr bald dann einem Ruf an das brasilianische “Instituto Butantan“ in São Paulo und tritt 1935 die Stelle am dortigen Schlangeninstitut an. Ihre Forschungsarbeit in São Paulo (u.a. zur Gewinnung von Immunserum gegen Schlangengift) ist jedoch nicht von langer Dauer. Bereits 1938 erhält sie, wie alle anderen ausländischen Mitarbeiterinnen des Instituts, die Kündigung und wird entlassen. 1939 tritt sie eine neue Stelle am Zentrum für landwirtschaftliche Forschung in Rio de Janeiro an und übersiedelt 1940 nach Rolândia, einer Kleinstadt im brasilianischen Bundesstaat Paraná, zur damaligen Zeit Zufluchtsort für viele jüdische Flüchtlinge aus Deutschland, unter ihnen der Jurist und Politiker {ln:Koch-Weser, Erich Friedrich Ludwig ‚Erich Koch-Weser}.
Hier beginnt sie mit Forschungen an Süßkartoffeln mit dem Ziel einer nichtsüßen Varietät und beschäftigt sich mit dem Tung-Baum, dessen Nuss-Öl Grundlage hochwertiger Lacke ist. Da ihr das subtropische Klima in Rolândia jedoch zunehmend große Probleme bereitet, kehrt sie 1941 nach São Paulo zurück. Die Suche nach einer entsprechenden Stelle bleibt allerdings erfolglos, und Gerta von Ubisch ist fortan gezwungen, von ihren Ersparnissen und privat erteiltem Biologie-Unterricht zu leben. Die Zeit der Entbehrung hinterlässt ihre Spuren: Nach drei Jahren wird sie ernstlich krank und muss sich mehreren Augenoperationen unterziehen. 1946 erhält sie die Erlaubnis, nach Norwegen einzureisen, wo bereits ihr Bruder Leopold von Ubisch, Professor für Entwicklungspsychologie am Meeresbiologischen Institut in Bergen, mit seiner Familie lebt. Sechs Jahre später kehrt die Wissenschaftlerin nach Heidelberg zurück. Bei der dortigen Professorenschaft in der Neckarstadt stoßen ihre Forschungen aber nur auf sehr zurückhaltendes Interesse. Sie klagt in langwierigen Verfahren auf Schadenersatz und Wiedergutmachung. 1956 schließlich wird ihr die Rechtsstellung einer beamteten Dozentin a. D. und damit ein Ruhegehalt zugestanden, mit dem sie nun in gesicherten finanziellen Verhältnissen leben kann. Allerdings entscheidet sich die naturwissenschaftliche Fakultät der Universität dagegen, die renommierte Wissenschaftlerin in ihr Personalverzeichnis aufzunehmen. Im Eingangsbereich der Universität Heidelberg findet sich heute ein Hinweis auf Hochschullehrer, die nach der “Machtübergabe“ an die Nationalsozialisten 1933 verfolgt worden sind, darunter auch zwei Frauen: Neben der Chemikerin {ln:Baum, Marie ‚Maria Baum} auch die Pflanzengenetikerin Gerta von Ubisch. Ihr zu Ehren werden seit 1963 kleine mikroskopische Merkmale auf der Pollenoberfläche von Pflanzen “Ubisch-Körper“ genannt.
Quellen:
*) entnommen aus: {ln:nw:http://www.ub.uni-heidelberg.de/ausstellungen/625jahre2011/sektion2/ubisch.html }
{ln:nw:https://de.wikipedia.org/wiki/Gerta_von_Ubisch }
{ln:nw:https://www.leo-bw.de/web/guest/detail/-/Detail/details/PERSON/kgl_biographien/119367793/Ubisch+von+Gerta }
{ln:nw:https://de.wikipedia.org/wiki/Leopold_von_Ubisch }
{ln:nw:http://www.flurgespraeche.de/wp-content/uploads/2016/08/Gedenkblatt_von-Ubisch-Leopold.pdf }
{ln:nw:https://www.heidelberg.de/site/Heidelberg_ROOT/get/documents_E880088065/heidelberg/PB5Documents/pdf/16_pdf_07_Frauen an der Uni.pdf }
Links (deutsch):
{ln:nw:https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=119367793 }
{ln:nw:http://www.ub.uni-heidelberg.de/ausstellungen/625jahre2011/exponate/sektion2/04_01.html }
{ln:nw:http://scienceblogs.de/zeittaucher/2010/08/22/als-aus-dem-lebendigen-der-deutsche-geist-wurde/ }
{ln:nw:http://www.thorbecke.de/pdf/978-3-7995-0890-2.pdf }
{ln:nw:http://www.meta-katalog.eu/Record/39026fmt/HierarchyTree?hierarchy=38269fmt&recordID=39026fmt }
International:
{ln:nw:https://www.medicinalplantsarchive.us/pollen-grains-2/sperm-cell-male-gamete.html }
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