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Nachama, Estrongo

H.A.M. 0

Estrongo (“Eto“) Nachama

Sänger und Kantor

Geb. 04.05. 1918 in Thessaloniki/ Griechenland

Gest. 13.01. 2000 in Berlin

 

“ Hat nichts als Singen im Sinn“ *)

 

Der Sohn eines Getreidehändlers aus Nordgriechenland entstammt einer Familie sephardischer Juden, die 1492 aus Spanien vertrieben und ins damalige Osmanische Reich geflüchtet waren. Zu seinen Vorfahren zählen Rabbiner und Talmudgelehrte, und die Erinnerung an die einstmals verlorengegangene iberische Heimat wird in der Familie Nachama (der Name bedeutet in seiner hebräischen Bedeutung “Trost“) über Jahrhunderte hinweg gepflegt.

 

Nach dem Besuch der jüdischen Elementarschule und des Französischen Gymnasiums tritt Estrongo Nachama in das väterliche Geschäft ein und wird Kantor der Synagoge in Thessaloniki. Der Zweite Weltkrieg setzte seinem Werdegang dann ein vorläufiges Ende: Er wird zur griechischen Armee einberufen, die im Frühjahr 1941 innerhalb weniger Wochen der deutschen Wehrmacht unterliegt. Nachamas makedonische Geburtsstadt Thessaloniki fällt am 9. April in die Hand der faschistischen Okkupanten.

 

“1943 schafften uns die Verbrecher ins Ghetto. Zwei Tage blieben wir da. Dann standen die Züge mit den Viehwaggons auf dem Gleis. Da sperrten sie uns rein. Acht Pferde oder 70 Menschen, das stand draußen dran. Wir nahmen nur Feigen, Rosinen und Brot mit, und dann fuhren wir. Acht Tage. Wohin? Nach Polen, hieß es. Die Endstation war Auschwitz.“ Der Mann schweigt. Dann sagt er, wie oft beim Blick zurück: „Und so war’s.“ (zitiert aus: Wolfgang Kohrt: Der Sänger aus Saloniki (Berliner Zeitung), hier in: {ln:nw:http://www.hagalil.com/archiv/98/04/nachama.htm }

 

Estrango wird die Häftlingsnummer 116 155 auf den linken Unterarm tätowiert. Seine Eltern, die Schwestern Matilde und Signora und seine Braut Regina werden ermordet. Estrongo Nachamas Gesangstalent und die außergewöhnliche Schönheit seiner Baritonstimme fallen nicht nur seinen Mitgefangenen, sondern auch den Wachmannschaften des Konzentrationslagers  auf. Und womöglich ist es eben diese Stimme, die ihn Auschwitz und später den Todesmarsch der Häftlinge des Konzentrationslagers Sachsenhausen überleben lässt. Am 5. Mai 1945 befreit ihn die Rote Armee in der Nähe von Nauen, und es ist dieser Tag, der fortan zu Estrongo Nachamas zweitem Geburtstag werden wird.

 

Er geht ins nahe gelegene Berlin und lernt dort seine spätere Frau Lilli kennen, die die NS-Diktatur im Versteck überlebt hat. Über sie kommt Nachama in Kontakt mit der jüdischen Gemeinde Berlins, die ihrerseits auf das außergewöhnliche Potential des jungen Griechen als Sänger aufmerksam wird. Er singt bei Erich Nehlhans vor, seines Zeichens Mitbegründer, kommissarischer Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und zuständig für Kultusangelegenheiten, und wird angestellt. Die Verheerungen der Shoa haben die Jüdische Gemeinde zu Berlin zwar nahezu vollständig vernichtet, doch bemüht man sich nach Kräften, die Tradition der Stadt als eines der bedeutenden Zentren aschkenasischer Kultur lebendig zu erhalten. Für Estrongo Nachama eine nicht unerhebliche Herausforderung, muss er sich doch als Jude sephardischer Herkunft erst in die ihm fremde Ästhetik der liturgischen Musik in den mitteleuropäischen Synagogen einarbeiten und einfühlen.

 

Ab 1948 wird seine Stimme zunehmend einem größeren (auch nicht-jüdischen) Radio-Zuhörerkreis bekannt: Mindestens einmal wöchentlich ist er im RIAS (dem “Rundfunk im amerikanischen Sektor“) zu hören, wenn dort am Freitag die Sabbatfeier mit dem RIAS Kammerchor übertragen wird. Neben seiner Arbeit im Rundfunk betreut Nachama den Gottesdienst der jüdischen Angehörigen der Streitkräfte der Vereinigten Staaten in der Synagoge am Hüttenweg. Bedingt durch seine griechische Staatsangehörigkeit kann er auch noch nach dem Mauerbau im August 1961 ungehindert in den Ostteil Berlins  einreisen und den dortigen Teil der Gemeinde, vor allem in der Synagoge in der Rykestraße im Prenzlauer Berg, besuchen (seit 1957 unterstützt von dem aus Österreich stammende Kantor Leo Roth). 1972 steht Nachama sogar vor der Filmkamera: Im US-amerikanischen und Oscar-prämierten Film “Cabaret“ (an der Seite von Liza Minelli, Michael York und {ln:Neumann-Viertel, Elisabeth ‚Elisabeth Neumann-Viertel}) spielt er die Rolle seines Lebens: einen Kantor. Mit “Malou“ (1981) und “Auf der Suche nach Herrn Moses“ (1990) folgen noch zwei weitere Filmprojekte.

 

Durch etliche Platteneinspielungen (unter anderem auch mit dem RIAS-Kammerchor) sowie Auftritte in Europa, Israel und den USA erlangt Estrongo Nachama internationale Beachtung. Diese für einen Kantor ungewöhnliche Popularität nutzt er häufig für sein Engagement im Sinne der Verständigung und Zusammenarbeit zwischen Juden und Christen. Einer seiner letzten großen Gesangsauftritte hat er im April 1998 im Berliner Dom. Im Alter von fast 82 Jahren verstirbt Estrongo Nachama, “Brückenbauer“ zwischen den Religionen, Sänger und Oberkantor der jüdischen Gemeinde zu Berlin, und findet auf dem Jüdischen Friedhof Heerstraße im Bezirk Charlottendorf seine letzte Ruhe.

 

Seit 2013 wird jährlich am 4. Mai – dem Geburtstag des Namensgebers – in Berlin der von der Stiftung Meridian ausgelobte und mit 10 Tausend Euro dotierte “Estrongo Nachama Preis für Toleranz und Zivilcourage“ verliehen. Erster Preisträger ist Kenan Kolat, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland.

 

Quellen:

*) Das Eingangszitat (Ein Vermerk in Nachamas Stasi-Akte) wurde entnommen aus: {ln:nw:http://www.tagesspiegel.de/berlin/zivilgesellschaft-preis-fuer-zivilcourage-und-toleranz-erinnert-an-kantor-estrongo-nachama/6592672.html }

{ln:nw:http://www.berliner-zeitung.de/trauerfeier-fuer-oberkantor-der-juedischen-gemeinde-am-sonntag—politiker-wuerdigen-verstorbenen-die-stimme-von-estrongo-nachama-wird-bleiben-16028948 }

{ln:nw:https:/ /de.wikipedia.org/wiki/Estrongo_Nachama }

{ln:nw:http://www.hagalil.com/archiv/98/04/nachama.htm }

 

Links (deutsch):

{ln:nw:https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=134470036 }

{ln:nw:http://www.tgd.de/2013/05/08/pressespiegel-zur-estrongo-nachama-preisverleihung/ }

{ln:nw:http://www.meridian-stiftung.de/estrongo-nachama-preis/auftaktveranstaltung/ }

{ln:nw:https://www.welt.de/print-welt/article503645/Juedische-Gemeinde-ehrte-Estrongo-Nachama.html }

{ln:nw:http://www.deutschlandfunk.de/der-letzte-ort-des-alten-liberalen-ritus.886.de.html?dram:article_id=233659 }

{ln:nw:http://www.deutschlandradiokultur.de/in-der-tradition-der-vaeter.1079.de.html?dram:article_id=226843 }

 

International:

{ln:nw:http://www.imdb.com/name/nm0618658/ }

film{ln:nw:https://www.youtube.com/watch?v=jcp1RF50A8c }

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