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Havemann, Robert

H.A.M. 0

Robert Havemann
Chemiker


Geb: 11.3.1910 in München
Gest.: 9.4.1982 in Grünheide, Mark Brandenburg


Was wäre Wolf Biermann, die bekannteste Smybolfigur des Widerstands gegen das kommunistische Regime in der DDR, ohne seinen Freund und Mentor Robert Havemann? Dieser Robert Havemann, Sohn eines Lehrers, war Wissenschaftler, Widerständler, zum Tode Verurteilter. Er war ein Irrender, also sehr menschlich. Havemann war ein Hellsichtiger, etwa als früher Anhänger eines geeinten Europa, lange vor anderen. Und er war Kommunist, vor dem sich die Machthaber in Ostberlin mehr gefürchtet haben als vor politischen Gegnern im Westen. An ihm kann man sich ein Beispiel nehmen. Gäbe es einen Pantheon der Aufrechten und Widerständigen, Robert Havemann gebührte ein Ehrenplatz


Chemie hatte er studiert in München und in Berlin. Mit 22 war er Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands, KPD, und sogleich tätig geworden für die Komintern, die Kommunistische Internationale. Als Stipendiat der Deutschen Forschungsge-meinschaft am Krankenhaus Moabit in Berlin, wo er mit einer
Arbeit über „Ideale und reale Eiweißlösungen“ zum Dr. phil promovierte, wurde Havemann Mitglied der Widerstandsgruppe „Neu-Beginnen“.

Dass seine 1934 mit Antje Hasenclever geschlossene Ehe 1947 geschieden wurde, gehört zum Menschlich all zu Menschlichen. Sein Mut aber ist ebenso beispielhaft wie sein Eingeständnis zu Fehlern und zum Umdenken.

Havemann ist als Mitarbeiter an der Militärärztlichen Akademie Berlin und des Pharmakologischen Instituts der Berliner Univer-sität 1942 Gründungsmitglied und Leiter der Widerstandsgruppe „Europäische Union“. Nach außen aber tarnte er sich mit hervorragenden wissenschaftlichen Leistungen und als scheinbar unpolitischer Bürger, der sich im März 1943 mit einer Arbeit über „Methämoglobinverbindungen“ habilitiert. Ein halbes Jahr später wird der Chemiker mit seiner Widerstandsgruppe verhaftet und im Dezember 1943 durch den berüchtigten Volksgerichtshof wegen „Hochverrats“ zum Tode verurteilt. Doch die Vollstreckung dieses Unrechtsurteils wird immer wieder aufgeschoben, ihm sogar ein Labor im Zuchthaus eingerichtet, denn er soll „kriegswichtige Forschung“ betreiben.


Aus dem Zuchthaus befreit ihn mit anderen wenigen über-lebenden des Naziterrors die Rote Armee der Sowjetunion. Für kurze Zeit wird er Verwaltungschef des Krankenhauses Neukölln und Leiter der Kaiser-Weilhelm-Institute in Dahlem, also in West-Berlin, bevor er 1946 eine Professur am Physikalisch-Chemischen Institut der neu eröffneten Humboldt-Universität im Osten der Stadt erhält: Der Kalte Krieg zwischen West und Ost zeichnet sich ab. Aber Prof. Havemann arbeitet jetzt wissenschaftlich auf den Gebieten der Fotochemie, der Eiweißforschung und bei der Entwicklung physikalisch-chemischer Apparaturen. Nach zwei Jahren wird er als Leiter der Kaiser-Wilhelm-Institute abgelöst, bleibt jedoch noch Abteilungsleiter am Institut für Physikalische Chemie und Elektrotechnik in Dahlem.


1949 heiratet Havemann erneut. Diese Ehe mit Karin von Trotha wird nach 17 Jahren geschieden. Im Jahr dieser zweiten Heirat wählt „man“ Havemann in den dritten „deutschen Volkskongreß“, den Vorläufer der Volkskammer der DDR. Dort darf er als Abgeordneter des „Kulturbundes“ bis 1963 bleiben. Der Westberliner Senat hat ihn inzwischen (1950) fristlos seiner Funktion bei den Kaiser-Wilhelm-Instituten enthoben. Postwendend erhält er in der DDR entsprechende Leitungs-aufgaben bis hin zum Studentendekan und Direktor des Instituts für angewandte physikalische Chemie an der Humboldt-Universität.

In West-Berlin wird Havemann 1950 als Vorsitzender des „Berliner Friedenskomitees“ kurzzeitig verhaftet, ein Jahr später zum Mitglied der DDR-Staatspartei SED, der „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ gekürt.


Aber Havemann lässt sich nicht vereinnahmen, wird mehr und mehr zum Politiktheoretiker. Seit 1956 vertritt er zunehmend in Aufsätzen, Vorlesungen und Diskussionen Ansichten, die der vorgegebenen Parteilinie widersprechen. Die SED-Parteizeitung „Neues Deutschland“ kritisiert ihn erstmals heftig. Auslöser ist ein Havemann-Aufsatz über ein Thema, das schon im späten Mittelalter die katholische Kirche zur Weißglut reizte: Meinungs-streit fördert die Wissenschaften“.


Doch noch versucht ihn das Regime zu umgarnen: Er erhält weitere wissenschaftliche Berufungen, wird gar mit dem Nationalpreis II. Klasse der DDR ausgezeichnet. Doch wegen seiner Thesen über „Philosophische Probleme bei natur-wissenschaftlichen Aspekten“ wird er öffentlich angegriffen und beim 5. Zentralkomitee-Plenum der SED im Februar 1964 vehement kritisiert; in Berlin ist inzwischen die Mauer gebaut worden.
Im März 1964 erfolgt, was absehbar war: Die SED schließt ihn aus der Partei aus. Der Widerstandskämpfer gegen die Nazis wird aus seinem Beruf nach Manier des amerikanischen Klassenfeindes gefeuert. Verschärfend erhält er Hausverbot für die Humboldt-Universität.

Zwar verfährt das Regime noch einmal gnädig durch eine Berufung auf eine Arbeitsstelle für Photochemie. Aber nur für ein knappes Jahr. Dann wird er wieder fristlos entlassen, ebenfalls verbunden mit Hausverbot. Grund: In der Zeitung „Die Zeit“, einem westdeutschen Wochenblatt, hatte Robert Havemann einen Artikel veröffentlicht, der ihn spätestens in diesem Augenblick für kritische junge Westdeutsche und ehemalige DDR-Flüchtlinge zu einer Vorbild- und Symbolfigur machen sollte: „Ja ich hatte Unrecht. Warum ich Stalinist war und Antistalinist wurde“.


In der Bundesrepublik, wo man nur allzu gern Gegner der SED zu Wort kommen ließ, erschien 1970 Havemanns Bericht „Fragen, Antworten, Fragen – aus der Biographie eines deutschen Marxisten“. 1973 folgte die dritte Heirat mit Annedore „Katja“ Grafe. Sie wurde beim Treffen der Dissidenten, unter ihnen der junge Autor Jürgen Fuchs, zur warmherzigen Gastgeberin.


1975 beschließt die SED eine Ungeheuerlichkeit: Sie lässt den Namen Robert Havemann von der Liste der antifaschistischen Widerstandskämpfer streichen – ein Beispiel für Geschichts-klitterung wie es typischer für Diktaturen nicht sein kann.
Als der Liedermacher Wolf Biermann nach einem Konzert in der Bundesrepublik nicht mehr zurückkehren darf und ausgebürgert wird, protestiert Havemann 1976 öffentlich, was sich, transportiert über die westlichen Medien, bei den „normalen“ DDR-Bürgern wie das sprichwörtliche Lauffeuer verbreitet. Die Folge ist, dass das Regime erneut zurückschlägt: Über Havemann und seine gesamte Familie wird Hausarrest verhängt. Die Staatssicherheit sorgt für Überwachung rund um die Uhr. Erst zwei Jahre später wird der Hausarrest aufgehoben, zugleich veröffentlicht der streitbare Havemann in West-deutschland 1978 sein Bekenntnis „Ein deutscher Kommunist. Rückblicke und Perspektiven aus der Isolation“. Daraufhin wird ihm 1979 kurzer Prozess gemacht: Wegen „Verstoßes gegen das Devisengesetz der DDR“ erhält Havemann eine Geldstrafe von 10.000 Mark.


Unbeirrt davon bekundet Robert Havemann seine abweichenden Meinungen. Er engagiert sich ab 1980 zunehmend für die polnische Freiheitsgewerkschaft Solidarnosc, für die Friedens- und Ökologiebewegung in der DDR, die von der westdeutschen Regierung kaum beachtet und offiziell nicht unterstützt wurde. In der Bundesrepublik erscheint seine programmatische Schrift „Morgen. Industriegesellschaft am Scheideweg“. Folgerichtig unterzeichnet er kurz vor seinem Tod 1982 den sogenannten Berliner Appell „Frieden schaffen ohne Waffen“ von Pastor Rainer Eppelmann, der später für die CDU in den Bundestag gewählt werden wird. Aber das erlebt Havemann nicht mehr, auch nicht den Fall der Mauer und die deutsche Vereinigung. Er stirbt am 9. April in Grünheide, wo man ihn so lange im eigenen Haus eingesperrt hatte. Die dafür Mitverantwortlichen rehabilitieren ihn scheinheilig sieben Jahre später. Im Beschluss der Zentralen Parteikontrollkommission der SED lautet, Havemann habe „zum damaligen Zeitpunkt politisch richtige Einschätzungen und Wertungen der Politik der Partei vorgenommen“.

Die Formulierung ist wie der ausgestreckte Zeigefinger einer Hand, bei der vier Finger zurückweisen. Die Einheitsgenossen wollten sich reinwaschen. Nur konnte er sich dagegen nicht mehr wehren.


Autor:

Hajo Jahn


Literatur-Tipp:

Robert Havemann: „Morgen – Die Industrie-
gesellschaft am Scheideweg. Kritik und reale Utopie“
Piper-Verlag, München 1980
ISBN: 3-49202-617-6
ders.: „Dialektik ohne Dogma“, (1957)
ders.: „Fragen, Antworten, Fragen – Aus der
Biographie enes deutschen Marxisten“, (1970)
ders.: „Berliner Schriften“, (1977)
ders.: „Ein deutscher Kommunist“ (1978)
ders.: „Rückantworten an die Hauptverwaltung Ewige
Wahrheiten“, ISBN: 3-49200-308-7
ders.: „Fragen, Antworten, Fragen. Aus der
Biografie eines deutschen Marxisten“, ISBN: 3-49201-860-2

Dirk Draheim/ Hartmut Hecht/ Dieter Hoffmann
Klaus P. Richter/ Manfred Wilke:
„Robert Havemann. Dokumente eines Lebens“
Ch.Links-Verlag, Berlin
Reihe: Biographien/Porträts
ISBN: 3-86153-022-8

Simone Hannemann: „Robert Havemann und
die Widerstandsgruppe ‚Europäische Union'“
Eine Darstellung der Ereignisse und deren Interpretation
nach 1945, Schriftenreihe des Robert-Havemann-
Archivs, Band 6, Robert Havemann Gesellschaft,
Berlin 2001, ISBN 3-98049-205-2

Katja Havemann, Joachim Widmann: „Robert Havemann
oder Wie sich die DDR erledigte“, Ullstein, Berlin 2003,
ISBN 3-55007-570-7

Clemens Vollnhals: „Der Fall Havemann – Ein Lehrstück
politischer Justiz“, Ch. Links-Verlag, Berlin
Reihe: Wiss. Reihe des Bundesbeauftragten
ISBN: 3-86153-215-8


Links (deutsch):


International: 

http://www.history.ucsb.edu/faculty/marcuse/classes/133c/133cproj/CariniHavemann72-042.htm

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