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Levy-Deinhard, Hanna

H.A.M. 0

Hanna Levy-Deinhard

Kunsthistorikerin

Geb. 29.9.1912 in Osnabrück/Deutschland  

Gest. 14.7.1984 in Basel/Schweiz


„Schade, dass ich unter den Deutschen nicht leben kann – der äußere Rahmen wäre so schön!“ (Hanna Deinhard, Reisenotizen 1976)

Hanna Deinhard zum 100. Geburtstag


hanna_deinhard_1964

Foto: Frank Benseler


In Deutschland und in ihrer Heimatstadt Osnabrück ist die Kunsthistorikerin Hanna Deinhard (1912 – 1984) heute nahezu vergessen. Aus Anlass ihres 100. Geburtstags am 28. September soll hier an diese ungewöhnliche Persönlichkeit, an ihren Lebensweg, ihr Schaffen und ihre nachhaltige Wirkung erinnert werden. Nach Exil und Vertreibung trat Hanna Deinhard 1967  in Deutschland mit dem im Luchterhand-Verlag publizierten Buch Bedeutung und Ausdruck. Zur Soziologie die Malerei, wieder ins Blickfeld einer kunstinteressierten Öffentlichkeit. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung hatte sie seit über 10 Jahren eine Professur am renommierten New Yorker Queens College und beschäftigte sich insbesondere mit dem Verhältnis von Kunst und Gesellschaft in der Geschichte der europäischen und der amerikanischen  Kunst.  Kurz darauf konzipierte sie im Jahr 1969 für die evangelische Akademie in Berlin  eine Tagung zum  „Gebrauchswert des Kunstwerks“, hielt den Eröffnungsvortrag und debattierte mit Vertretern des Sozialistischen Deutschen Studentenbunds (SDS) in Berlin über deren Thesen zum Verhältnis von Kunst und Gesellschaft.


Hanna Deinhards Leben und Denken sind bestimmt durch die Erfahrungen von Ausgrenzung, Vertreibung und Exil. Hanna, mit Geburtsnamen Johanna Levy, lebte bis 1932 in Osnabrück  und wuchs in einem wohlhabenden bildungsorientierten jüdischen Elternhaus auf. Ihr Vater war der Fabrikant Leo Levy, bis 1934 Mitinhaber der Osnabrücker Kleider- und Wäschefabrik R. Overmeyer, als „der Zwangsverkauf unseres Anteils …. erfolgte an die Herren Waldmann Vater und Sohn“ (Hanna Deinhard 16.2.1984). Die Familie wohnte neben der Fabrik Kollegienwall10 im selben Haus wie der Bruder des Vaters  Adolf Levy, bis 1934 Prokurist in der FirmaseIben Fabrik.


Hannas hoch gebildete Mutter Zilla gehörte zu den wenigen Frauen, die schon vor dem ersten Weltkrieg Abitur gemacht hatten, weckte in Hanna und ihrem älteren Bruder Siegfried die Liebe zu Kunst und Musik. Hanna besuchte das Osnabrücker Oberlyzeum für Höhere Töchter und blieb ihren Mitschülerinnen als „Klassenbeste“ in Erinnerung. Hanna selbst  berichtete später bitter von der fehlenden Unterstützung durch die Mitschülerinnen angesichts der antisemitische Hetze, die der  Heilpraktiker Schierbaum seit 1929 von dem in seinem  Wochenblatt Stadtwächter verbreitete.


So ist es nicht verwunderlich, dass Hannas Osnabrücker Freundeskreis offenbar vor allem aus jüdischen Altersgenossen bestand. Ein Foto dieses Kreises ist erhalten, auf dem Hanna mit Hans Falk zu sehen ist, dem Bruder der jüngeren Freundin Gretl Falk, in den sie sich mit 13 Jahren verliebte und mit dem sie 4 Jahre befreundet war, bis er Osnabrück wegen seines Studiums verließ.  Mit den Osnabrücker Freundinnen Gretl Falk (in Palästina Lea Levy), der späteren Schwägerin, und  Friedel Katzmann (in Palästina Shlomit Hoek) blieb Hanna zeitlebens eng verbunden. Ihre große Liebe fand Hanna Levy ein Jahr nach dem Ende der Beziehung zu Hans Falk in Fritz Deinhard, einem Cellisten und Konzertmeister am Osnabrücker Orchester, der Frau und 2 Kinder verlassen hatte.


Nach dem Abitur begann Hanna im Sommersemester 1932 in München mit dem Studium der Kunstgeschichte, Germanistik und Philosophie  und setzte es nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Paris fort. Dort machte sie 1934 ihr Diplom in Kunstgeschichte, 1936 ihren Doktor mit einer auf Französisch verfassten wissenschaftstheoretischen Arbeit über den Kunsthistoriker Heinrich Wölfflin, seine Theorie und seine Vorläufer – ein kühner Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte und kritischen Methodenreflexion aus marxistischer Perspektive. Der Ruf der herausragenden jungen Doktorin hatte sich so verbreitet, dass sie eingeladen wurde, auf dem 2. Internationalen Kongreß für Ästhetik und Kunstwissenschaft in Paris einen Vortrag über ihr schon Lebensthema  – Sur la nécessité d’une sociologie de l’art.


Kurz darauf wanderten Hanna Levy und Fritz Deinhard, der ihr nach Paris gefolgt war, Brasilien aus – der zweiten Station ihres Exils, das sie Ende des Jahres 1947 nach New York, 1956 nach Israel und ein Jahr später wieder nach New York führte. Während Fritz Deinhard, der in Rio de Janeiro eine Tätigkeit als Musiker in Aussicht hatte, beruflich wenig Glück hatte, lernte Hanna in Rio de Janeiro rasch Portugiesisch und konnte bald wieder als Kunsthistorikerin tätig sein. Sie wurde Mitbegründerin der staatlichen Denkmalpflege, war dort für die Ausbildung der Beamten und für Forschungsvorhaben zuständig, schrieb als erste fundierte Artikel über koloniale Kunst und Architektur des Barock in Brasilien und wurde ab 1946 Professorin für Moderne Kunst und Kunstkritik am Forschungsinstitut Getulio Vargas. Kurz vor Kriegsausbruch gelang noch die Übersiedlung ihrer Eltern nach Brasilien.


In den USA fand sie 1948 wie viele aus Europa vertriebene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre erste Stelle als Dozentin an der New School for Social Research, an der unter anderen auch Hannah Ahrendt lehrte. Hanna war dort  fast zwanzig Jahre tätig, daneben machte unterrichtete sie an New Yorker Museen und  Colleges und publizierte – nun unter dem Namen Hanna Deinhard. Mit der Lebenszeitprofessur 1965 am Queens College begann noch einmal ein neuer Lebensabschnitt, in dem die Kunstwissenschaftlerin die gebührende Anerkennung fand und zunehmend auch ins europäische Ausland zu Vorträgen und Gastprofessuren eingeladen wurde.


1978 entschloss sich Hanna Deinhard (vorzeitig) in den Ruhestand zu gehen: „Da sie sich nie in Amerika  zuhause fühlen konnte, suchte (sie) sich einen Wohnort in der Schweiz, nah an einer Universität mit einer Bibliothek u. großer slides Sammlung“ (Lea Levy 1994). Die Wahl fiel auf Basel, wo sie an der Volkshochschule Kurse und Exkursionen veranstaltete und am 14. Juli 1984 starb. Eine Rückkehr nach Deutschland, aus dem sie, ihre Familie und ihre Freundinnen und Freunde durch die Nationalsozialisten vertrieben worden waren, kam für sie nicht mehr infrage, wie sie 1976 bedauernd notierte : „Schade, dass ich unter den Deutschen nicht leben kann – der äußere Rahmen wäre so schön!“ Osnabrück hat nicht mehr wiedergesehen.


Hanna Levy ist in Brasilien in den letzten Jahren als Begründerin einer nationalen Kunstgeschichtsschreibung wiederentdeckt worden, in Deutschland haben bisher weder ihre Beiträge zur Wissenschaftstheorie und Kunstsoziologie noch ihre  Leistungen als Vordenkerin in der Auseinandersetzung mit kolonialer Kunstgeschichte eine breitere Resonanz gefunden.


Autorin:

Dr. Irene Below


Quellen:

  • Erschienen im Mitgliederbrief der Guernica-Gesellschaft, Oktober 2012
  • Irene Below: Unbekannte Kunsthistorikerinnen – Hanna Deinhard wiedergelesen, in: Frauen Kunst Wissenschaft 16 1993, 6-21.
  • Dies.: „Jene widersinnige Leichtigkeit der Innovation“ Hanna Deinhards, Wissenschaftskritik, Kunstsoziologie und Kunstvermittlung. In: Ursula Hudson-Wiedenmann, Beate Schmeichel-Falkenberg (Hg.): Grenzen Überschreiten. Frauen,Kunst und Exil,Würzburg 2005, S. 151-179.
  • Dies.: Kontexte der Erinnerung – Zur Wahrnehmung exilierter Kunsthistorikerinnen seit den 1960er Jahren in Deutschland und Österreich. In: Inge Hansen-Schaberg/Hiltrud Häntzschel (Hrsg.), Alma Maters Töchter im Exil. Zur Vertreibung von Wissenschaftlerinnen und Akademikerinnen in der NS-Zeit. Reihe Frauen und Exil 4, München 2011, S. 248 – 278.
  • Irene Below: Unbekannte Kunsthistorikerinnen – Hanna Deinhard wiedergelesen, in: Frauen Kunst Wissenschaft 16 1993, 6-21.
  • Dies.: „Jene widersinnige Leichtigkeit der Innovation“ Hanna Deinhards Wissenschaftskritik, Kunstsoziologie und Kunstvermittlung. In: Ursula Hudson-Wiedenmann, Beate Schmeichel-Falkenberg (Hg.): Grenzen Überschreiten. Frauen,Kunst und Exil,Würzburg 2005, S. 151-179.
  • Dies.: Kontexte der Erinnerung – Zur Wahrnehmung exilierter Kunsthistorikerinnen seit den 1960er Jahren in Deutschland und Österreich. In: Inge Hansen-Schaberg/Hiltrud Häntzschel (Hrsg.), Alma Maters Töchter im Exil. Zur Vertreibung von Wissenschaftlerinnen und Akademikerinnen in der NS-Zeit. Reihe Frauen und Exil 4, München 2011, S. 248 – 278.
  • Claudia Kapsner: Hanna Deinhard (2010) URL http://www.kunstgeschichte.uni-muenchen.de/forschung/ausstellungsprojekte/einblicke_ausblicke/biografien/deinhard/index.html
  • Irene Below: Unbekannte Kunsthistorikerinnen – Hanna Deinhard wiedergelesen, in: Frauen Kunst Wissenschaft 16 1993, 6-21.
  • Dies.: „Jene widersinnige Leichtigkeit der Innovation“ Hanna Deinhards Wissenschaftskritik, Kunstsoziologie und Kunstvermittlung. In: Ursula Hudson-Wiedenmann, Beate Schmeichel-Falkenberg (Hg.): Grenzen Überschreiten. Frauen,Kunst und Exil,Würzburg 2005, S. 151-179.
  • Dies.: Kontexte der Erinnerung – Zur Wahrnehmung exilierter Kunsthistorikerinnen seit den 1960er Jahren in Deutschland und Österreich. In: Inge Hansen-Schaberg/Hiltrud Häntzschel (Hrsg.), Alma Maters Töchter im Exil. Zur Vertreibung von Wissenschaftlerinnen und Akademikerinnen in der NS-Zeit. Reihe Frauen und Exil 4, München 2011, S. 248 – 278.
  • Adriana Sanajotti Nakamuta: Hanna Levy no SPHAN (1946 – 1948). In: Nos Arquivos do IPHAN (2009), Revista Eletrǒnica de Pesquisa e Documentaḉᾶo URL portal.iphan.gov.br/portal/baixaFcdAnexo.do?id=1541
  • Claudia Kapsner: Hanna Deinhard (2010) URL http://www.kunstgeschichte.uni-muenchen.de/forschung/ausstellungsprojekte/einblicke_ausblicke/biografien/deinhard/index.html
  • Claudia Kapsner: Hanna Deinhard (2010) URL http://www.kunstgeschichte.uni-muenchen.de/forschung/ausstellungsprojekte/einblicke_ausblicke/biografien/deinhard/index.html

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