Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

Nicolai, Georg Friedrich

H.A.M. 0

Georg Friedrich Nicolai (eigtl. Georg Friedrich Lewinstein)

Arzt, Physiologe  und Philosoph

Geb. 06.02. 1874 in Berlin

Gest. 08.10. 1964 in Santiago de Chile/ Chile


Der Sohn eines Chemikers und Urgroßneffe des Opern-Komponisten und Begründers der Wiener Philharmoniker, Otto Nicolai (aus dessen Feder u.a. die Shakespeare-Adaption der “lustigen Weiber von Windsor“ stammt), besucht die Internate in Wulkow und Schwedt, später das Ernestinum in Gotha, studiert ab 1894 an den Universitäten Königsberg, Berlin, Paris und Heidelberg und nimmt 1897 in Paris den Nachnamen seines berühmten Urgroßonkels an. 1901 beendet Georg Friedrich Nicolai seine zoologische Dissertation am Universitätsklinikum Leipzig, bereist danach als Schiffsarzt Ostasien, arbeitet später in Halle, Leiden, Berlin und im russischen St. Petersburg und kann 1907 schließlich seine Habilitation abschließen.


Ab 1909 wirkt der Mediziner im Rang eines Oberarztes an der II. Medizinischen Klinik der Berliner Charité, arbeitet dort er u.a. mit dem Leiter der Klinik Friedrich Kraus, publiziert 1910 mit ihm gemeinsam ein Grundlagenbuch zur Elektrokardiographie und wird als Herzspezialist zum ärztlichen Berater von Auguste Victoria, der Ehefrau von Kaiser Wilhelm II, berufen. 1912 ist Nicolai einer der Initiatoren des ersten Zusammenschlusses deutscher Sportärzte.


Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 gehört der damals knapp 40Jährige zu den Wenigen, die nicht euphorisch und vom Nationalstolz beseelt das Völkerschlachten begleiten, im Gegenteil: Nicolai schaut kritisch hinter die Kulissen der Kriegspropaganda. Als im Oktober 1914 deutsche Intellektuelle ihr ‘Manifest der Dreiundneunzig‘ veröffentlichen, in dem sie die Welt der Lüge über die deutsche Kriegsführung bezichtigten, verfasst Nicolai kurz darauf  seinen “Aufruf an die Europäer“, in dem er den Ersten Weltkrieg als Quelle künftiger Kriege brandmarkt. Im Taumel der Kriegsbegeisterung findet der Warnruf des Pazifisten allerdings nur wenig Widerhall: Lediglich Albert Einstein, Otto Buek und Wilhelm Foerster unterzeichnen ihn, und veröffentlicht wird er erst drei Jahre später und im Ausland.


Nicolais politische Aktivitäten, nicht zuletzt seine Vorlesungsreihe über den  “Krieg als biologischer Faktor in der Entwicklung der Menschheit“ mit Schwerpunkten zur Kriegsführung und Wirklichkeit des Krieges, die Verluste von Menschenleben, Energie und Geld für die Gesellschaft, bleiben den Mächtigen nicht verborgen – und haben entsprechende Konsequenzen: Georg Friedrich Nicolai wird zum Kriegsdienst einberufen, verweigert aber vorerst den Dienst in Uniform und wird daraufhin im Sommer des Jahres 1915 in die Festung Graudenz ins Seuchenlazarett versetzt. Hier, und später im Festungslazarett in Danzig, führt er als Militärarzt seine Vorlesungsreihe fort, und es entsteht das erste Manuskript zu “Die Biologie des Krieges“. Mit der Folge, dass ‘Der Fall Nicolai‘ zum Thema der 41. Sitzung des deutschen Reichstages im April 1916 wird und 1917 ein kriegsgerichtlicher Prozess wegen des Vergehens gegen das Pressegesetz folgt.


“Die Biologie des Krieges“, als Manuskript in die Schweiz geschmuggelt, erscheint 1917 in Zürich als erste unautorisierte Ausgabe und wird noch während des Krieges zum Gesprächsthema in Europa. Auch der Komponist Viktor Ullmann liest das Buch während seiner Militärdienstzeit im Februar 1918 im Triester Vorort Barcola. Seine (später in Theresienstadt komponierte) Oper “Der Kaiser von Atlantis“ trägt deutliche Spuren sowohl von Nicolais Buch als auch von den Vorlesungen Wilhelm Jerusalems an der Wiener Universität im Jahr 1918.


Nachdem die oberste Deutsche Heeresleitung versucht hat, Nicolai vor ein Militärgericht bringen, gelingt dem unbequemen Kriegsgegner im Frühjahr 1918 schließlich die spektakuläre Flucht mit einem deutschen Militärflugzeug ins dänische Kopenhagen, und er notiert im August desselben Jahres: “Jetzt kenne ich den Krieg; jetzt weiß ich, welche furchtbare Macht die Dämonen der Vergangenheit auch über uns neuzeitliche Menschen besitzen und jetzt hasse ich den Krieg – wenigstens den Krieg des zwanzigsten Jahrhunderts“. Nach Kriegsende kehrt er am 25. Dezember 1918 nach Deutschland zurück. Ein Jahr später wird seine “Die Biologie des Krieges“ in einer von Nicolai autorisierten Ausgabe vom Schweizer Verlag Orell Füssli in Zürich publiziert. Wenig später erscheint die englische Ausgabe in New York, 1926 eine russische Version.


1920 versucht Nicolai, seine medizinischen Vorlesungen an der Berliner Charité wiederaufzunehmen, scheitert jedoch am gewalttätigen Widerstand von nationalistischen Studenten, für die Nicolai ein Verräter an Deutschland ist, und verliert schließlich, nicht zuletzt durch Intervention von Rektorat und akademischem Senat der Universität, seine Lehrberechtigung, die er auch in einem nachfolgenden Prozess nicht mehr wiedererlangen kann.


1922 folgt er einem Angebot der Universidad Nacional de Córdoba in Argentinien als Professor für Physiologie, unterrichtet von 1928 bis 1929  Soziologie an der Universität von Rosario und hält bis 1931 Vorlesungen am Colegio Libre d Estudios Superiores in Buenos Aires.


1933 übersiedelt Georg Friedrich Nicolai nach Santiago de Chile, wo er drei Jahre später eine Professor für Physiologie an der Tierärztlichen Hochschule der Universität Chile in Santiago erhält. 1938 besucht er in kultureller Mission Bolivien, gründet 1939 das Institut für Psychogenese und reist in die USA. Die Zeit des Zweiten Weltkrieges verbringt der Arzt, Pazifist und strikte Gegner des Sozialdarwinismus in Chile.


1954 folgt er einer Einladung nach Hamburg zum Kongress für kulturelle Freiheit und ist 1960 Ehrengast des Internationalen Soziologenkongresses in Mexico. Im Alter von 90 Jahren stirbt Nicolai in seiner südamerikanischen Wahlheimat am Pazifik.


Quellen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Georg_Friedrich_Nicolai

http://daten.digitale-sammlungen.de/0001/bsb00016337/images/index.html?seite=219

Links (deutsch):

https://portal.dnb.de/opac.htm?query=Woe%3D118587676&method=simpleSearch

http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=10430

http://www.philoscience.unibe.ch/documents/kursarchiv/WS99/Aufruf_Europaer.pdf

International:

http://en.wikipedia.org/wiki/Georg_Friedrich_Nicolai

http://es.wikipedia.org/wiki/Georg_Friedrich_Nicolai

http://www.inst.at/trans/15Nr/10_5/gantschacher_2_15.htm

https://archive.org/details/biologyofwar00nicouoft

http://www.inst.at/trans/15Nr/10_5/10_5inhalt15.htm

http://press.princeton.edu/chapters/s8359.html

http://www.scielo.cl/scielo.php?pid=S0034-98872013000400017&script=sci_arttext

Die Kommentare sind deaktiviert.