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Soyfer, Jura

H.A.M. 0

Jura Soyfer

Schriftsteller

 

Geb. 8.12.1912 in Kharkow, Russisches Kaiserreich, heute Ukraine

Gest. 16.02.1939 im KZ Buchenwald


„Es waren zwei Nazi-Kinder, / die hatten einander so lieb, / sie konnten zusammen nicht kommen, / denn sie war der ostische Typ: / Ihr Schädel nämlich war rundlich, / Ihr Busen hingegen oval, / Statt umgekehrt. Rassenkundlich, / War dieses Weib ein Skandal.“

Von Jura Soyfer stammt nicht nur dieses wenig bekannte Spottgedicht. Im KZ Dachau schrieb er zusammen mit dem Komponisten Herbert Zipper das uner traurigen Umständen berühmt gewordene Dachau-Lied mit dem Refrain: „Doch wir haben die Losung von Dachau gelernt,/ Und wir wurden stahlhart dabei. / Bleib ein Mensch, Kamerad, / Sei ein Mann, Kamerad, / Mach ganze Arbeit, pack an, Kamerad: / Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei, / Denn Arbeit, denn Arbeit macht frei!“


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Soyfer, geboren am 8. Dezember 1912 in Kharkow (auch Charkiv oder Charkow) im russischen Zarenreich, war einer der wichtigsten Schriftsteller des österreichischen Widerstands gegen den „Austrofaschismus“. Seine Eltern erreichen das sichere New York am 9. Februar 1939; der Sohn stirbt sieben Tage später in Buchenwald.  Der Name Soyfer geht im Selbstverständnis auf das hebräische Wort „Sofer“ – Schreiber, Schriftgelehrter, Kundiger der Thora – zurück. Die Familie war laizistisch, aber sie wurde von den antisemitischen Pogromen in Kharkov nach der Erinnerung von Zeitzeugen mehr bedroht denn durch die Revolutionäre, die von einer „gemischten Wirtschaft“ Erholung erwarteten. Gefahr ging für die Familie vielmehr vom Krieg aus, heißt es auf der Homepage der Wiener Jura Soyfer-Gesellschaft. Und weiter: (Jura Soyfers) „Lebendigkeit zeigt sich in Publikationen, Theateraufführungen, Hörspielen, Filmen, Internet-Kunstwerken, Forschungen, einer vielsprachigen eigenen Homepage – einer neuen Öffentlichkeit –, weltweit.“


Für den Wiener Autor und Kabarettisten Josef Hader gewinnt Jura Soyfer, dessen Werke in mehr als 50 Sprachen übersetzt wurden, zunehmend an Aktualität als „einer der größten Kritiker des Kapitalismus. Jemand den die Ungerechtigkeit sehr beschäftigt hat. Und ich glaube, dass dieses System immer weiter … in die Krise hinein läuft, und da ist ja kein Ende abzusehen, desto aktueller wird Jura Soyfer wieder. Das ist für unsere Zeit eine große Inspiration, sich wieder diese Texte herzuholen und zu schauen, was da drinnen steckt.“

Jura Soyfers Texte, darunter Theaterstücke, vor dem Vergessen zu bewahren, wäre eine Aufgabe des Deutschen Zentrums für Verfolgte Künste. Zurzeit können wir jedoch lediglich seine Biografie in diesem virtuellen Zentrum anbieten. Weil es keinerlei staatliche Unterstützung für diese zeitgemäße Form der Erinnerung gibt.


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Es sind tatkräftige Menschen wie Wladimir Soyfer, der als Unternehmer dazu beiträgt, aus der kleinen Provinzstadt  Kharkov im Zuge der Industrialisierung eine Metropole zu machen. Die Mutter, Ljubov, „führt das Haus“, wie es damals hieß und in wohlhabenden Familien üblich war. In der offiziellen Biografie wird sie mit dem eher österreichisch anmutenden Begriff „Salondame“ belegt. Jura, der Sohn, lernt neben seiner Muttersprache Russisch auch Französisch, nämlich vom Kindermädchen.


Trotz dieses großbürgerlichen Elternhauses wird Soyfer glühender Sozialist. Möglicherweise auch deshalb, weil er noch als Schüler die bolschewistische Revolution und ihre Auswirkungen in der jungen Sowjetunion erlebt – die Eltern, Juden, flüchten über Konstantinopel, dem heutigen Istanbul,  1920 nach Österreich. In Wien besucht Jura das Realgymnasium Hagenmüllergasse, wo er später das Matura (Abitur) ablegt.


Mit 15 Jahren beginnt Jura Soyfer sozialistische Theorien zu studieren. Er schreibt Gedichte und wird Mitglied des Verbands der Sozialistischen Mittelschüler. Redewandt entwickelt der dreisprachige Jugendliche  eine Vorliebe für Sprachspiele. Bereits als 17jähriger tritt er im Politischen Kabarett der Sozialdemokraten mit eigenen Texten auf.  Zwei Jahre später, ab Dezember 1931, veröffentlicht er politische Satiren in der Arbeiter-Zeitung und in der sozialdemokratischen Wochenschrift „Der Kuckuck“. In der „Politischen Bühne“ forderte er eine Politisierung des Theaters und das Abschaffen bloßer Ablenkung und Unterhaltung,  ähnlich dem epischen Theater von Bertolt Brecht.


1934: Im Zuge der „Machtergreifung“ von 1933 im benachbarten Deutschland gibt es in Österreich heftige Auseinanderersetzungen zwischen Braun und Rot. Da heißt es Farbe bekennen: Jura Soyfer tritt der illegalen KPÖ bei, schult seine Genossen, verfasst Flugblätter und beginnt seinen Roman „So starb eine Partei“: eine (nur noch fragmentarisch erhaltene) flammende Abrechnung mit der österreichischen Sozialdemokratie, deren Politik für ihn in die Niederlage des Februar 1934 geführt hat.


Am Wiener Theater ABC werden bald danach Jura Soyfers Stücke aufgeführt. Eine Verwechslung mit einem führenden Funktionär der Kommunistischen Partei führt zu Soyferts Festnahme. Als sich die Verwechslung herausstellt, bleibt Soyfer dennoch drei Monate in Haft. Grund sind seine kritische Theateraufführungen und Publikationen. Noch einmal kommt er am 17. Februar 1938 im Zuge einer Amnestie für „Politische“ frei. Diese Freiheit aber währt keinen ganzen Monat lang:  Am 13. März 1938 – am Tag nach dem „Anschluss“ an Deutschland  – wird Jura beim Versuch, mit Skiern in die neutrale Schweiz zu flüchten, von der österreichischen Grenzpolizei erwischt und verhaftet. Die anschließende Gerichtsverhandlung – die Richter sind noch nicht einmal auf den Diktator Hitler vereidigt – ist eine Farce mit tödlichen Folgen: Am 23. Juni 1938 wird Jura Soyfer zuerst ins KZ Dachau und im Herbst ins KZ Buchenwald transportiert. Er stirbt am 16. Februar 1939 an Typhus.


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„Der Weltuntergang oder Die Welt steht auf kein‘ Fall mehr lang“ war das erste Theaterstück von Jura Soyfer. Es wurde nach nur wenigen Aufführungen am 11. Juli 1936  abgesetzt. Dargestellt wird die Menschheit vor der Apokalypse, der Zerstörung der Welt durch einen Kometen – die gewaltsame Unterdrückung revoltierender Massen und die Verblendung, in der die Menschen auf den Weltuntergang warten. Der Komet verschont die Erde, so dass Unverbesserlichkeit und Dummheit der Menschheit bleiben. In seinen weiteren Stücken wird Soyfer immer politischer. Da geht es im um einen Arbeitslosen, der mittels einer Zeitmaschine in der Vergangenheit nach den Schuldigen an seinem Elend  suchen lässt. Oder im „Astoria“  – da behandelt der Autor den in Österreich besonders problematischen Begriff des Vaterlands.


Fern von allen volkstümlichen Traditionen schrieb Soyfer 1937  „Vineta“, bei dem dem die Protagonisten  dem Abgrund und der Vernichtung entgegen taumeln als Warnung vor Krieg und Illusionen, die erzeugt werden, um Menschen zu unterdrücken. Und mit „Broadway Melodie 1492“ adaptiert Soyfer – ebenfalls 1937 –  Kurt Tucholskys und Walter Hasenclevers „Kolumbus“, eine Satire auf den Klerus und die Hofgesellschaft. Soyferts Gesellschaftskritik fällt allerdings weitaus radikaler aus als die der deutschen Kollegen: ein klassisches Volksstück aus der Sicht des Prekariats, in dem deutlich wird, dass die unteren Gesellschaftsschichten der herrschenden Klasse überlegen sind oder zumindest sein sollten. Während seiner Inhaftierung 1937/38 begann Soyfer ein weiteres Stück zu schreiben, das von der Person Adolf Hitler handeln sollte. Von diesen Entwürfen blieb nichts erhalten. Freunde und die 1988 gegründete Jura Soyfer-Gesellschaft versuchten vergeblich, verschollene Manuskripte aufzufinden. Verloren sind u.a.  „Kasperl sucht ein Stück“, „Auf dem Goldblocksberg“, „Dreigroschenoper angewandt“, „Aber die Mumien schweigen“ sowie „Sketche aus dem KZ Buchenwald“ , frei nach dem Motto Lachen als Über-Lebesmittel.


Jura Soyfer war einer der erfolgreichsten österreichischen Autoren des 20. Jahrhunderts. In seinen Theaterstücken und Publikationen fordert er die Zuschauer und Leser auf, für Änderungen der realen Lebensumstände zu sorgen. Damit ist er modern noch immer. Er wurde nur 26 Jahre alt.


Bearbeitet von:

Hajo Jahn


Quellen:

Jura Soyfer-Gesellschaft, Wien

Wikipedia


Hier ein Link zur neuesten Edition und deren Programmatik:

http://www.soyfer.at/deutsch/werkausgabe.htm

http://www.wienerzeitung.at/themen_channel/literatur/autoren/505091_Alte-Texte-in-neuem-Kontext.html

 

 

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