Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

Flechtheim, Ossip Karl

H.A.M. 0
Ossip Karl Flechtheim
Politikwissenschaftler, Publizist und Mitbegründer der Futurologie

Geb. am 5. März 1909 in Nikolajew, Ukraine
Gest. am 4. März 1998 in Berlin.

Ossip K.(urt) Flechtheim, der den Begriff der „Futurologie“ geprägt hat, gilt als Begründer einer humanistisch-demokratischen Zukunftsforschung, die er als Gegengewicht zu einer technokratischen Entwicklung begriff. Während der 68er Studentenbewegung war Flechtheim einer der profiliertesten Hochschullehrer. Ohne sich für längere Zeit in eine Partei einbinden zu lassen, stand der politisch engagierte Wissenschaftler immer auf Seiten der „Linken“.

Ossip K. Flechtheim wurde am 5. März 1909 in der Nähe von Odessa auf der Krim geboren. Seine Familie stammte jedoch aus Westfalen, von deren Mitgliedern u. a. der Kunsthändler Alfred Flechtheim bekannt geworden ist.  Deshalb auch wuchs er ab 1910 im westfälischen Münster auf. Sein Vater war als Kaufmann im Getreidehandel tätig. Beide Eltern waren jüdisch, er selbst jedoch war nicht religiös interessiert. Als konfessionsloser Humanist wurde er nach dem Zweiten Weltkrieg in West-Berlin Mitglied im Deutschen Freidenker-Verband e.V. (später Humanistischer Verband Deutschlands).

Nach dem Abitur in Düsseldorf zog es den 18jährigen wie so viele andere junge Intellektuelle in die KPD. Diese „Liebe“ hielt nur wenige Jahre. Der stalinistische Kurs und die ideologische Verbohrtheit der kommunistischen Partei stießen ihn ab. Flechtheim studierte Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten in Freiburg im Breisgau, Paris und Köln bei Edmund Husserl, Alfred Weber, Karl Mannheim und Gustav Radbruch. Von 1931 bis 1933 absolvierte er sein juristisches Referendariat beim Oberlandesgericht Düsseldorf und promovierte noch im Jahr 1934 zum Dr. jur. in Köln.

Schon gleich nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Januar 1933 wurde Flechtheim wegen seines politischen Engagements und seiner jüdischen Herkunft aus dem Staatsdienst entlassen. Bis zu seiner Emigration war er im Untergrund für die linkssozialistische Gruppe „Neu Beginnen“ unter Walter Löwenheim tätig, für die er sich auch im Exil engagierte. 1935 wurde er für knapp drei Wochen verhaftet. Nach seiner glückhaften Entlassung konnte er nach Belgien fliehen. Von Ende 1935 bis zu seiner Weiteremigration in die Vereinigten Staaten im Jahre 1939 lebte Flechtheim in der Schweiz, wo er u. a. am Institut des Hautes Etudes Internationales in Genf studierte. In den USA (1939 – 1945 und 1947 – 1951) wirkte er zunächst als Assistent an Max Horkheimers Institute of Social Research an der Coolumbia-Universität in New York, wo er Erich Fromm, Herbert Marcuse und Isaac Asimov kennen lernte.

Den Begriff „Futurologie“ als systematische und kritische Behandlung von Zukunftsfragen hat Ossip K. Flechtheim bereits 1943 in den USA wissenschaftlich geprägt. Damals lehrte er an der Universität von Atlanta. Als viele seiner schwarzen Studenten zum KriegsdienstBates College (Maine). 1942 heiratete er Lili Therese Faktor, die Tochter des ehemaligen Chefredakteurs des Berliner Börsenkuriers.

Im Sommer 1945 kehrte Flechtheim erstmals wieder nach Deutschland zurück, um an der Universität Heidelberg einen Kurs über Probleme der Regierungslehre abzuhalten. Ein Jahr später kam er als Sektions- und Bürochef beim US-Hauptankläger für Kriegsverbrechen in Nürnberg, Robert M.W. Kempner, wieder nach Deutschland. Im September 1947 wurde er in Heidelberg zum Dr. phil. promoviert. 1952 erhielt er eine Professur an der wiedergegründeten Deutschen Hochschule für Politik in Berlin, 1959 wurde er zunächst außerordentlicher, 1961 ordentlicher Professor für die Wissenschaft von der Politik am Otto-Suhr-Institut der FU Berlin; bis 1974 lehrte er hier Geschichte und Theorie der Parteien.

1948 erschien sein Werk über „Die KPD in der Weimarer Republik“ – auch eine Art persönliches  Resümee. Der Querdenker verließ auch die SPD (1962), der er ein Jahrzehnt angehört hatte. 1967 gründete er mit Hans Magnus Enzensberger und anderen den „Republikanischen Club“ in Berlin, der ein Forum der „heimatlosen Linken“ wurde. Am 4. März 1998 ist Ossip K. Flechtheim in Kleinmachnow bei Berlin verstorben. 2003 hat der Humanistische Verband Deutschlands zu seinen Ehren den Ossip K. Flechtheim-Preis gestiftet, der alle zwei Jahre für herausragendes Engagement zur „Förderung von Aufklärung, Toleranz und Selbstbestimmung“ verliehen wird, dotiert mit 2.500 Euro.

Zu Flechtheims zahlreichen Veröffentlichungen zählen die Dissertation „Hegels Strafrechtstheorie“ (Brünn 1936), „Die KPD in der Weimarer Republik“ (Offenbach 1948), „Fundamentals of Political Science“ (New York 1952; deutsch 1958), „Von Hegel zu Kelsen“ (Berlin 1963), „Futurologie. Der Kampf um die Zukunft“ (Köln 1970), „Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland“ (Hamburg 1973) und die biografische Arbeit „Ausschau halten nach einer besseren Welt“ (Berlin 1991). Der umfangreiche Nachlass, der dem Deutschen Exilarchiv, Frankfurt/Main, von Flechtheims Tochter Marion Ruth Thimm übergeben wurde, dokumentiert die Biografie ausführlich mit Korrespondenzen, Manuskripten der Veröffentlichungen und Vorlesungen sowie mit Lebensdokumenten wie Pässen, Urkunden, Mitgliedsausweisen und Fotografien. Hinzu kommen Unterlagen zu Flechtheims Engagement in der Internationalen Liga für Menschenrechte, der Humanistischen Union und am Institut für Zukunftsforschung.

Redaktionelle Überarbeitung:

Hajo Jahn


Literatur:
– Ausschau halten nach einer besseren Welt. Biographie, Interview, Artikel. Berlin 1991, ISBN 3-320-01622-9
– Marx heute: pro und contra. Hoffmann und Campe, Hamburg 1983, ISBN 3-455-08728-0
– Ist die Zukunft noch zu retten?, Hoffmann und Campe, Hamburg 1987, ISBN 3-455-08627-6
– Ossip K. Flechtheim / Wolfgang Rudzio / Fritz Vilmar / Manfred Wilke: Der Marsch der DKP durch die Institutionen. Sowjetmarxistische Einflußstrategien und Ideologien. Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag, 1980, 272 S., ISBN 3-596-24223-1 (Fischer-Taschenbücher; 4223: Informationen zur Zeit)
– Futurologie – Der Kampf um die Zukunft. Bonn 1980, ISBN 3-8012-0046-9
– Zeitgeschichte und Zukunftspolitik. Hoffmann und Campe, Hamburg 1974, ISBN 3-455-09108-3
– Bolschewismus 1917 bis 1967. Von der Weltrevolution zum Sowjetimperium. Europa Verlag, Wien 1967
– Weltkommunismus im Wandel. Verlag Wissenschaft & Politik, Köln 1965
– Eine Welt oder keine?: Beiträge zur Politik, Politologie und Philosophie. Europäische Verl.-Anst., Frankfurt am Main 1964
– Von Hegel zu Kelsen: rechtstheoretische Aufsätze. Duncker & Humblot, Berlin 1963
– Die KPD in der Weimarer Republik. Bollwerk-Verlag, Offenbach am Main 1948

Sekundärliteratur:
– Christian Fenner (Hrsg.): Systemwandel und Demokratisierung. Festschrift für Ossip K. Flechtheim. Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1975. ISBN 3-434-00257-X
– John H. Herz u.a.: Ossip K. Flechtheim zum 80. Geburtstag. Arani-Verlag, Berlin 1989
– Wolfram Beyer (Hrsg.): Zur Theorie und Praxis des Humanismus – Kriegsdienste verweigern, Pazifismus heute (Hommage an Ossip K. Flechtheim). November 2000, – Herausgegeben im Auftrag der IDK (Internationale der Kriegsdienstgegner/innen) und des HVD (Humanistischer Verband Deutschlands, LV Berlin)
– Mario Keßler: Ossip K. Flechtheim. Politischer Wissenschaftler und Zukunftsdenker (1909-1998). Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2007.

Die Kommentare sind deaktiviert.