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Weichmann, Herbert

H.A.M. 0

Herbert Weichmann
Jurist, Journalist, Politiker

Geboren am 23. Februar 1896 in Landsberg/Oberschlesien (heute Polen)
Gestorben am 9. Oktober 1983 in Hamburg


herbert_weichmann.pngBegeistert wie so viele junge Männer meldete sich Herbert Weichmann gleich nach dem Abitur 1914 in Liegnitz (Schlesien) als Freiwilliger zur Armee, um am Ersten Weltkrieg teilzunehmen. Diese Erfahrungen weckten erstmals sein politisches Bewusstsein. Er wurde Mitglied des „Soldatenrates“ in Litauen. Nach dem Krieg studierte er zunächst Medizin in Freiburg/Breisgau,  wechselte aber bereits 1919 zu  den Rechtswissenschaften an den Unis Breslau, Frankfurt und Heidelberg.


1920 starb sein Vater, ein  jüdischer Arzt. Sohn Herbert trat in die Sozialdemokratische Partei Deutschlands ein und wurde erstmals journalistisch  tätig als Korrespondent für die Frankfurter Zeitung und die Vossische Zeitung.
1921 promovierte er zum Dr. jur. an der Universität Breslau und arbeitete anschließend sechs Jahre lang für verschiedene Zeitungen. Nur kurze Zeit, von1926 bis 1927, wirkte Herbert Weichmann als Landrichter am Amtsgericht der Städte Liegnitz und Breslau, um bereits 1927 für ein Jahr die Chefredaktion der Kattowitzer Zeitung zu übernehmen. Von 1928 – er heiratete in diesem Jahr Elsbeth Greisinger, die ihm kongeniale Lebensgefährtin werden sollte – bis 1932 wurde er Persönlicher Referent  des Preußische Ministerpräsidenten Otto Braun, eine entscheidende Erfahrung: „Für meine eigene politische Tätigkeit war Otto Braun ein Lehrmeister auf vielen Gebieten.“ 1930 unternahm er eine Russland-Reise und verarbeitete diese zum seinerzeit viel beachteten Werk Alltag im Sowjetstaat (1931) einem kritischen Resümee über die Sowjetunion. Im April 1933, nur wenige Tage nach Erlass des NS-„Gesetzes zur weichmann_ehepaar.jpgWiederherstellung des Berufsbeamtentums“, wurde der Jude Herbert Weichmann aus dem Staatsdienst entlassen.


Um nicht verhaftet zu werden, waren Herbert Weichmann und seine Frau zur Emigration gezwungen. Im Sommer  1933 flüchteten die Eheleute zu Fuß über das Riesengebirge in die Tschechoslowakei – er kannte die Gegend noch gut aus seinen Jugendjahren.
Über Prag – wohin der gesamte SPD-Vorstand geflohen war – gelangten sie in die schöne alte Stadt Brünn, dem Geburtsort seiner Frau. Dort fanden sie Unterschlupf  bei ihren Eltern, ehe sie versuchten, in Prag eine neue Existenz zu schaffen.  Es sei „eine wenige ermunternde Atmosphäre“ gewesen, sollte er später schreiben, denn vor allem die deutschsprachigen Zeitungen wurden von der auch in diesem Land einflussreichen antisemitischen Propaganda massiv und bösartig angegriffen.


Auf ihrer langen Flucht gelangten die Weichmanns zunächst nach Paris, einem weiteren Zentrum der deutschsprachigen Exilanten. Er schrieb für deutsche und europäische Zeitungen. Herbert Weichmann sprach nur wenig Französisch und fühlte sich in der fremden Millionenstadt nicht heimisch. Seine Frau schrieb darüber in ihren späteren Aufzeichnungen: „[…] uns überfiel, kurz nach unserer Ankunft am Gare de´l Est das Gefühl der Verlorenheit vor dieser fremden und befremdenden Umwelt. Farben, Geräusche, Gerüche, Häuser, Straßenbild, die ganze Dynamik dieser Stadt waren neu, ungewohnt – die Fremde.“
Bis zur ersten eigenen Bleibe (einem möblierten Zimmer) wohnte das Ehepaar in einer Pension. Durch den Kontakt mit dem Schwiegersohn der Vermieterin, einem aktiven Sozialisten, verbesserte sich das Französisch der beiden Eheleute deutlich und zudem wurden Elsbeth und Herbert Weichmann in das politische Leben der Seine-Metropole eingeführt. Kurze Zeit später zogen sie weiter in eine Seitengasse an der Porte de Versailles, der Rue Claude Terrasse 33.
Für die Wirtschaftszeitung „Deutscher Volkswirt“  schrieb Herbert Weichmann unter dem Pseudonym „Ernst Greisinger“, dem Geburts(nach-)namen seiner Frau. Sie unterstützte ihren Mann etwa dadurch, dass sie die aktuellen Medien durcharbeitete und ein Zeitungs-Archiv  anlegte. 1935 wurde er Redakteur der neugegründeten Monatszeitschrift „Le Troc“ einen Redakteur, die auch seine Frau mit anstellte. Es waren die ersten Tätigkeiten bei denen die beiden Eheleute auf Französisch schrieben. Aufgrund der Arbeit für „Le Troc wurde die liberale Wochenzeitschrift „Europe Nouvelle“ auf das Ehepaar aufmerksam; ihre Artikel wurden zu einem festen Bestandteil des Blattes.


Auch das Privatleben hatte sich stabilisiert: Herbert und Elsbeth Weichmann trafen sich im „Les Deux Magots“ und in anderen Cafés der Stadt mit deutschen Emigranten. Zu Freunden wurden dabei u. a. Ernst Hamburger, Albert Grzesinski und Victor Schiff. Zum ehemaligen preußischen Ministerpräsidenten Otto Braun entstand eine sehr enge „fast familiäre intime Freundschaft“. Die Weichmanns veranlassten Otto Braun seine Memoiren zu schreiben, lasen sogar Korrektur seiner Manuskripte. Eine weitere engere Freundschaft entstand zu Max Brauer, den späteren Bürgermeister der Hansestadt Hamburg kannten sie noch aus Berliner Zeiten. Nach dem Stellungsbefehl der französischen Armee für Herbert Weichmann (militärische Hilfsdienste) ab Kriegsbeginn 1939 schrieb seine Frau die angefangenen Artikel für die „Europe Nouvelle“ zu Ende.


Im März 1939 wurde das Ehepaar vom Deutschen Reich offiziell „ausgebürgert“ und 1940, nach der Okkupation Frankreichs, kurzzeitig  interniert. Nach der Entlassung aus den unterschiedlichen Internierungslagern und abenteuerlichem Zusammenfinden  stehen die Weichmanns auf der Liste der in Frankreich besonders gefährdeten Personen. Für solche Menschen beantragt der US-amerikanische Gewerkschaftsbund AFL sogenannte Not-Visen außerhalb der normalen amerikanischen Einreisequoten. Über den Umweg eines Besuchervisums für Bangkok, Siam,. Erhält das junge Ehepaar Transitvisen für Spanien und Portugal. Im September gelingt die illegale Flucht über die Pyrenäen. Zunächst nach Spanien, wo Elsbeth Weichmann ihren Pass verliert. Es folgen dramatische Zeiten, doch schließlich können sich die Eheleute in der portugiesischen Hauptstadt endlich umarmen.


Lissabon war zu dem Zeitpunkt eine Flüchtlingsstadt ähnlich wie Prag und Paris. Aber im Gegensatz zu diesen und  anderen Städten, in denen Flüchtlinge sich sammelte, hatten hier die meisten vohn ihnen Papiere zur Ausschiffung nach England oder die USA. Die Weichmanns mussten jedoch mehrere Wochen auf eine Gelegenheit warten. In dieser Zeit trafen sie sich regelmäßig mit Erich Ollenhauer, dem späteren SPD-Vorsitzenden und Oppositionsführer in der Bundesrepublik. Nach acht Wochen in Lissabon wurde am 12. November 1940 mit dem portugiesischen Küstendampfer Guiné die Fahrt Richtung New York angegangen. Elsbeth Weichmann beschreibt niedergeschlagen diesen letzten Teil der Flucht: „Die Mehrzahl der Passagiere stand am Bug des Schiffes und schaute einer neuen Heimat und einer neuen Zukunft entgegen. Wir blickten zurück auf unsere verlorene Heimat Europa und auf unsere zerstörte Zukunft dort, die sich immer weiter von uns entfernte.“


Herbert Weichmann und seine Frau wurden von Freunden wie  Albert Grzesinski und Hedwig Wachenheim schon im Hafen begrüßt. Durch sie und andere Bekannte  aus deutscher und französischer Zeit und der frühzeitig emigrierten Verwandtschaft Herbert Weichmanns konnten sie schnell in New York Fuß fassen. Durch seine ersten Anstellungen konnten sie auch schnell eine eigene Existenzgrundlage aufbauen. Zwar wurden nach dem Eintritt der USA in den Krieg die Deutschen im Land als enemy aliens (feindliche Ausländer) registriert, aber in dem Fall von Herbert und Elsbeth Weichmann entstanden dadurch aber keine Nachteile.


In New York wurde die Freundschaft mit Max Brauer vertieft. Begegnungsstätte für Exilanten wie die Weichmanns  waren die Veranstaltungen der German Labour Delegation, bei denen sie Freunde wie Agnes und Rudolf Katz, Marie Juchacz und Emil Kirschmann trafen.  Nach Beendigung des Krieges und der Rückkehr von Max Brauer und Rudolf Katz nach Deutschland waren diese eine wichtige Verbindung für Herbert Weichmann zur alten Heimat.
1948 holte Bürgermeister Brauer Herbert Weichmann zurück, der in Hamburg zunächst Präsident des Rechnungshofes, ab 1957 Senator der Finanzen in der Hamburgischen Bürgerschaft  wurde. 1964 erhielt der Remigrant eine Honorarprofessur an der Universität Hamburg, 1965 wurde er Erster Bürgermeister, 1971 Ehrenbürger.


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1989  wurde in Hamburg die Herbert-und-Elsbeth-Weichmann-Stiftung gegründet, die sich der Unterstützung wissenschaftlicher Arbeiten zum demokratischen Exil während der Naziherrschaft widmet.


Quelle:

Wikipedia  und Herbert und Elsbeth-Weichmann-Stiftung, überarbeitet von Hajo Jahn

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