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Sarfatti, Margherita

H.A.M. 0

Margherita Sarfatti (geborene Grassini)

Geb: 8. April 1880 in Venedig
Gest: 30. Oktober 1961 in Cavallasca


vsarfatti330906.jpgEine Frau, hochintelligent, eitel, kunstbesessen. Sie mehr will, als man den Frauen ihrer Zeit zugesteht. Keine brave, anschmiegsame Person, sondern eine Kämpferin, die mit gestaltet, schreibt, eine ganze Nation verändern will. Den Sinn für Farbe und Form schärft sie sich in ihrer Geburtsstadt Venedig. Dort nennt man sie respektvoll die Rote Jungfrau. Sie schämt sich für den Reichtum ihrer Familie, setzt sich für die Armen und Elenden ein. Frauen an die Wahlurne!, Kunst für alle! – so lauten ihre Forderungen in der sozialistischen Wochenzeitung Venedigs. Gemeinsam mit ihrem Ehemann Cesare Sarfatti streitet sie für ein neues, glorreiches Italien. In Mailand avanciert sie zur Förderin der Futuristen, zur ersten bedeutenden Kunstkritikerin Italiens. Marinetti, Boccioni, Bontempelli, Toscanini – alles, was Rang und Namen hat, trifft sich in ihrem Salon. Einer der Besucher wird von ihr besonders geschätzt, ein aufbrausender Rebell mit ausgebeulten Hosen und rollenden Augen: Benito Mussolini. Sein Ungestüm, seine Kompromisslosigkeit, das Sanfte und Unsichere hinter seinem aggressiven Gebaren wecken ihre Neugier und Sympathie. Der zukünftige Duce, Chefredakteur des sozialistischen Avanti!, macht ihr den Hof. Eine Liebelei wie viele andere. Später, nach dem Schock des 1. Weltkrieges und dem Tod ihres Sohnes an der Front, wandelt sie sich in eine alles überbietende Leidenschaft.


Margherita Sarfatti sieht in Mussolini den Retter der Nation. Sie ist es, die ihn an einflussreiche Intellektuelle vermittelt, ihm Bücher zur vsarfatti360424.jpgGeschichte und Philosophie zu lesen gibt, ihm bessere Manieren beibringt. In unzähligen Artikeln verhilft sie dem Faschismus zu breiter Akzeptanz und hohem Ansehen, auch im Ausland. Der Marsch auf Rom wird von ihr mit initiiert und finanziert. Fast zeitgleich gelingt es ihr, den Novecento Italiano zu gründen, eine Gruppe von auserwählten Malern, Sarfattis Hoffnungsträger einer italienischen Moderne.


Alma Mahler-Werfel nennt sie die ungekrönte Königin Italiens, Franklin D. Roosevelt empfängt sie im Weißen Haus, Einstein spielte für sie Geige. Ihr Einfluss scheint unermesslich – bis Mussolini sie nicht mehr braucht und ihrer überdrüssig wird. Vergeblich versucht sie eine Allianz zwischen Italien und Deutschland zu verhindern. Eine alternde Frau mit Machtanspruch – Mussolini wendet sich von ihr ab, vernichtet ihre Spuren.


1938, nach Einführung der Rassengesetze in Italien, muss Margherita Sarfatti fliehen. Sie geht über Paris nach Südamerika ins Exil. Neun Jahre später kehrt sie in ihre Heimat zurück.


Literatur:

vsarfatti360610.jpgMarianne Brentzel – Uta Ruscher:
»Ich habe mich geirrt. Was soll`s.«
Margherita Sarfatti.
Jüdin. Mäzenin. Faschistin.
Atrium Verlag Zürich.  2008.
ISBN 978-3-85535-042-1
22.90 €


Warum wir uns entschieden haben, die Biographie von Margherita Sarfatti ins virtuelle Zentrum der verfolgten Künste zu stellen, hat mehrere Gründe: Sie ist gründlich geheilt worden vom Faschismus, der in Italien anfangs nicht antisemitisch geprägt war und wo Juden auch danach nicht mit der gleichen mörderischen Intensität verfolgt wurden wie im deutschen Nationalsozialismus. Aber diese ungewöhnliche Frau war auch befreundet mit Else Lasker-Schüler; mindestens der Briefwechsel der Muse zur Dichterin ist in drei Postkarten erhalten geblieben. Zudem war Frau Sarfatti mit Künstlern und anderen Intellektuellen befreundet, die Gegner und Opfer der Faschisten und Nazis waren. Hinzu kommt, dass sie ins Exil flüchten mußte. (Anmerkung der Redaktion).

Else Lasker-Schüler und Margherita Sarfatti.


Else Lasker-Schüler wurde, wie bekannt, von den Nazis aus Deutschland vertrieben. Am 19. April  1933 reiste sie in die Schweiz. Drei Tage schlief sie unter einem Baum am Zürichsee. Sie hatte kein Geld und musste sich ständig bei der Fremdenpolizei melden. Das Dokument der Fremdenpolizei besagt, dass ihr als Dichterin
„jede Erwerbstätigkeit bis auf weiteres verboten bleiben.“
1934 reist sie nach Palästina, im Juli kehrt sie in die Schweiz zurück.
Sei dieser Zeit gibt es einen Kontakt mit Margherita Sarfatti.


Die prominenteste Nennung von Margherita Sarfatti findet sich bei Else Lasker-Schüler in „Das Hebräerland“. Else Lasker-Schüler berichtet dort u. a. über ihren Aufenthalt in Genua: „In Meilenwasserstiefeln überschritt ich ja so oft schon als Kind sehnsüchtig die Meereshorizonte von Europa nach Afrika, von Afrika nach Asien. Und ich verdanke die Erfüllung meines besten Wunsches einem griechischen Halbgott und seiner Frau. Am Schalter des Triestiner Lloyds ]erfuhr ich| gerade habe sich die berühmte italienische Dichterin Margarita Fassaty ein Billett nach Amerika gelöst. Ich suchte sie, die meine Verse liebt und es mir so oft auf bunten Ansichtspostkarten versicherte. Und fand die Poetessa nicht, in der ganzen Stadt Genua nirgends.“ (Else Lasker-Schüler: Werke und Briefe. Kritische Ausgabe. Frankfurt am Main 1996 ff. Bd. 5. S. 53).
„Das Hebräerland“ (1934, Verlag Oprecht, Zürich), ihr heiteres, verträumtes Buch über die Reise,  wird teilweise kritisiert, besonders, weil es  unpolitisch sei. „Besonders hart wurde natürlich die Duce-Schwärmerei Else Lasker-Schülers verurteilt. Auf dem italienischen Schiff, mit dem sie reiste, gab es nämlich regelmäßig Filmvorführungen, zu denen die begeisterte Kinonitierin, wie sie sich selbst nannte, immer ging, um einen Clark Gable-Liebesfilm und den jugendlichen Duce in der Revue zu sehen. Hans Bolliger gegenüber hat Else Lasker-Schüler behauptet, bei ihrer ersten Reise nach Palästina sei sie von Mussolini in Rom empfangen worden und sie hätte auf seinem Arbeitstisch ihre gesammelten Werke gesehen. Auch Heinrich Mann hatte Else dieses „Erlebnis“ wohl mitgeteilt.“ Aus: Lasker-Schüler von Erika Klüsener. Rororo Monografien. Reinbek bei Hamburg 1980.


Am 12. Juni 1936 schreibt Else Lasker-Schüler an Emil Raas: „Aus Italien
schrieb mir die Dichterin Marguerite Sarfatti, die das Buch über Duce
geschrieben. Ich möchte nach Rom, ich ging wahrhaftig zum Duce, der mich
sicher empfing.“ (Bd. 9, Brief 582 [in den Anmerkungen in diesem Band auch einiges über Else Lasker-Schüler und Mussolini])


Im Mai 1943 schreibt Else Lasker-Schüler an Ernst Simon: „Ich kenne Grandi*,
unter uns, im Tessin war er. Unerhört Aussehn, schräge Augen ˆ Ich mußt
ihm oft Gedichte sagen ˆ er versteht sie ich meine deutsch nicht aber den
Klang. Auch bitte (entre nous) die Margueritta ˆ Sarfatty oder Fassatty
(momentan Name entfallen) sie correspondierte mit mir. »Er« [Mussolini]
wollte es. Liebe jüd. Italienerin. Sie mochte »ihn« gern.“ (Bd. 11 der Briefe) [in
Vorbereitung])
(* Dino Grandi war im faschistischen Italien Botschafter und Minister, ging später auf Distanz zu Mussolini und beantragte 1943 seine Absetzung.) 


Sigrid Bauschinger schreibt in ihrer Biografie: »Else Lasker-Schüler« (Wallstein Verlag Göttingen  2005):
„Am 8. September 1934 erwähnt Else Lasker-Schüler zum ersten Mal in einem Brief an Emil Raas ›Duce Mussolini‹, der ihr ein Geschenk vom italienischen Consul für ihre Bücher habe überreichen lassen. Sie wolle auch später nach Rom. Solche Verlautbarungen gibt es noch öfter, meist mit dem Zusatz ›entre nous‹. Am 14. Juli schreibt sie an Jakob Zucker aus Ascona, dass sie wieder vom Duce ausgezeichnet worden sei. Sie war ins italienische Konsulat nach Locarno bestellt worden, wo ihr der Vizekonsul einen Brief Mussolinis vorlas. ›Er liebt meine Gedichte‹. Hier wird auch ersichtlich, dass sich Else Lasker-Schüler selbst an Mussolini gewandt und ihm ihre Bücher geschickt hatte und warum. Wieder war es ihr Aktivismus, der sie anspornte. Else Lasker-Schüler wollte den Duce dazu bewegen, der Judenverfolgung in Deutschland  entgegenzutreten und bewirken, »dass er immer mehr den Juden gut gesinnt.« Die eifrige Zeitungsleserin wusste »vom Bündnis, aber noch nicht geschlossen.« Damit war der deutsch-italienische Vertrag gemeint, der die »Achse Berlin- Rom« herstellte und der am 26. Oktober 1936 in Kraft trat.“ (S. 379f)


Sigrid Bauschinger fragt, wie die Dichterin auf den Gedanken kam, sich an Mussolini zu wenden. Als Grund gibt sie die bekannte Hinwendung Mussolinis an Künstler und Dichter an, die er auch als Journalist deutlich gemacht hatte und sich als »toleranter Kulturmensch“ zeigte. Auch machte der junge Duce auf Else Lasker-Schüler in den Wochenschauen einen guten Eindruck. Es gab kein antisemitisches Geifern wie in Deutschland, Mussolini wurde 1937 Ehrendoktor der Universität Lausanne und galt in der Schweiz als akzeptabel.
Zwar kam ein Besuch in Rom nicht zustande, aber zwei Jahre später wandte sich Else Lasker-Schüler an die Tochter Edda und bat sie um Fürsprache bei ihrem Vater. Der Brief ist nicht vorhanden. Das Antwortschreiben versprach mit »saluti fascisti«, den Brief weiterzuleiten.
Die Ratschläge, die man ihr von verschiedenen Seiten in dieser Sache gab, waren sehr unterschiedlich. Franz Werfel riet ihr, nach Rom zu fahren, während Heinrich Mann sie beschwor: „Für uns Deutsche gibt es nur Biegen oder Brechen. Vor unserem deutschen Publikum dürfen wir der Diktatur in keinem Punkt entgegenkommen, so sehr uns die Beziehung eines Mächtigen zu der Dichtung und einer Dichterin nahe gehen mag.« Er riet ihr, »behalten Sie ihr wunderliche und schönes Erlebnis für sich.«


Am 30. Juni 1935 muss Else Lasker-Schüler Zürich verlassen und geht nach Ascona. Dort bleibt sie 14 Monate, doch es geht ihr nicht gut, weder die Menschen noch das Klima noch die steilen Straßen sind von Vorteil für sie.
Nach Ascona sind auch die Postkarten von Margherita Sarfatti gerichtet.  Das Gegenstück, die Karten oder Briefe von Else Lasker-Schüler haben wir leider noch nicht gefunden und recherchieren weiter.


1938, nach dem so genannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich zweifelt Else Lasker-Schüler zunehmend an Mussolini und schreibt treffend: „Der Duze der die alte römische Uhr der Kunst kunstgerecht zu stellen pflegte, sie ist ihm plötzlich stehen geblieben.“ (S. 408)
Ihr wird jetzt die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt, womit auch die Aufenthaltsgenehmigung in der Schweiz erloschen ist. Sie beantragt ein Visum für Palästina und bricht unter gesundheitlich miserablen Bedingungen nach Tel Aviv auf.
Margherita Sarfatti geht 1938 über Paris ins Exil nach Montevideo. Weitere Kontakte zwischen den beiden so unterschiedlichen Frauen sind nicht bekannt.


Autorin:

Marianne Brentzel

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