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Baykurt, Fakir

H.A.M. 0

Fakir (Tahir) Baykurt
Pädagoge, Schriftsteller und Journalist


Geb. 1929 in Akçaköy/ Türkei
Gest. 11.10. 1999 In Duisburg


Fakir Baykurt wird in einem Dorf des Kreises Yesilova-Burdur, auf der Mittelmeerseite des Taurusgebirges, geboren und erhält den Namen Tahir eines im Krieg gefallenen Onkels väterlicherseits. 1938 stirbt sein Vater bei einem Unfall. Der Neunjährige muß die Schule, die er zwei Jahre zuvor begonnen hat, verlassen und für den Unterhalt seiner Mutter, der Schwester und seiner beiden Brüder sorgen. Mit einem Onkel mütterlicherseits geht er nach Isparta in die Nachbarstadt und arbeitet in dessen Weberei. Da das Geschäft aber nicht besonders gut läuft, verdingen sich beide nach einiger Zeit bei Kanalarbeiten in der Ägäis, wo der Junge sein Geld mit Hilfsarbeiten und als Wasserträger für die Ingenieure verdient.


Während des Zweiten Weltkrieges wird Tahirs Onkel 1941 zum Militär einberufen. Er selber kehrt in sein Dorf zurück und besucht wieder die Dorfschule, die er drei Jahre zuvor hat verlassen müssen. In den 40er Jahren werden in der Türkei Dorfinstitute gegründet: Schulen für Kinder aus Dörfern, die durch eine fünfjährige Ausbildung zu Dorflehrern ausgebildet werden, um danach wieder als Lehrer in ihre Dörfer zurückzukehren. Bei der Auswahl der jungen Studenten wird darauf geachtet, dass nur Kinder aus ärmlichen Verhältnissen aufgenommen werden. Und Tahir ist arm. Er besteht die erste Prüfung und schreibt 1943:


„Das ist Gönen, ich sehe es. Dort will ich hin. Dort werde ich fünf Jahre die Schule besuchen. Ich werde Lehrer werden. Löwen brüllen in mir. Hey… heeey! Lehrer werde ich. Aus der Armut, in der wir verloren, werden wir uns retten. Mein erstes Gehalt gebe ich meiner Mutter; ich kaufe Kleider für meine Geschwister, und unsere Schulden werde ich bezahlen. Meine Schwester Zekiye wird verheiratet, für sie werde ich die Aussteuer zusammenstellen. Auch mein älterer Bruder Gazi wird endlich heiraten, auch ihm werde ich helfen. Einen neuen Ochsen werden wir kaufen… Ein Haus werde ich für mich bauen, in dessen Zimmern Regale voller Bücher… Hey … hey… Ich schwöre es, ich, ich schwöre auf das Heiligste! Ich werde meine Herkunft nie… nie vergessen…“


1945 wird sein bereits Anfang der vierziger Jahre geschriebenes erstes Gedicht: Du, mein/e Basilikumduftende/r in einer Eskisehirer Zeitschrift veröffentlicht. Die Lehrer seiner Schule werden auf ihn aufmerksam und man vertraut ihm die Schulbibliothek an. Der 16jährige Tahir lernt zeitgenössische und klassische Dichter und Schriftsteller wie Sabahattin Ali, Nazim Hikmet, Maxim Gorki und Panait Istrati kennen. In dieser Zeit nimmt er das Pseudonym Fakir (= arm/mittellos) an.


„Um mein Taschengeld zu verdienen, hatte ich einen einfachen Fotoapparat angeschafft. Ich mache Fotos. Die Filme bringe ich in die Kreisstadt zu einem Fotogeschäft zur Entwicklung. Mal hole ich selbst die Fotos, mal bekomme ich sie per Post. Eines Tages bekam ich das Paket, worauf `Die Fotos von Fakir Baykurt`stand. Das war ein Tippfehler. Der guter Mann hatte aus Tahir Fakir gemacht. Aha, sagte ich. Jetzt habe ich gefunden, wonach ich suche… Diesen Namen kann ich nun unter meine Gedichte schreiben… „


Nach Ende des Zweiten Weltkrieges ändert sich 1947/48 die politische Lage der Türkei. Amerikanische Einflüsse machen sich bemerkbar und der Antikommunismus breitet sich in allen Lebensbereichen aus. Fakir Baykurt schreibt:


“ …in unserem Dorf sagen die Leute zu meiner Mutter: ‚Elifce! Dein Sohn soll Kommunist geworden sein.‘ ‚Gut, gut, masallah meinem Sohn, antwortet sie.‘ Sie ist aus meinen Grundschuljahren schon an meine Erfolge gewöhnt.“


Die Schulleitung und viele Lehrer werden suspendiert oder strafversetzt. Die Bibliothek der Schule wird geschlossen; Tahir wird beobachtet, seine Bücher beschlagnahmt und seine Post geöffnet. Jedes Mal, wenn von ihm ein Gedicht veröffentlicht wird, holt ihn die Schulleitung zur Vernehmung aus dem Unterricht. Dennoch liest und schreibt er weiter, versteckt seine Bücher unter Bäumen im Schulgarten oder unter Dachziegeln. 1948 kann Fakir Baykurt mit 19 Jahren, trotz strengster Maßstäbe, die Schule abschließen und kommt als Dorflehrer nach Kavacik, nicht weit entfernt von seinem Geburtsort.


Bereits während seiner Ausbildung am Dorfinstitut ist das Literaturmilieu in Istanbul, Ankara und Izmir auf den jungen Schriftsteller aufmerksam geworden und lädt ihn zu Lesungen ein. Fakir Baykurt reist nach Istanbul und lernt dort u.a. Yasar Kemal, Orhan Kemal, Vedat Günyol sowie den Maler Abidin Dino kennen.

1951 heiratet er die Schwester seines Vorgesetzten, der Schulrat im Bezirk Burdur ist. Baykurt bleibt weiterhin unter Beobachtung. Seine Wohnung wird durchsucht, ihm wird vorgeworfen, kommunistische Bücher zu besitzen und er wird in das Dorf Dereköy strafversetzt. 1953, nach zweimaligem Versuch, immatrikuliert sich Baykurt in Ankara an der pädagogischen Hochschule. Ein Jahr später wird er aufgrund einer Veröffentlichung in der Zeitschrift Gayret angeklagt, wird jedoch mit Hilfe mehrerer sozialdemokratischer Politiker freigesprochen. 1955 beendet Fakir Baykurt sein Studium und wird als Gymnasiallehrer nach Sivas geschickt. Nur vier Monate später wird er an eine (allerdings noch gar nicht existierende) Mittelschule nach Hafik, in eine kleine Kreisstadt im selben Bezirk, versetzt. Er holt seine Familie dorthin, renoviert ein altes Haus zur Schule um und veröffentlicht unter dem Titel Cilli sein erstes Buch. 1957 wird Fakir Baykurt zum Militär einberufen.


Sein erstes Kind, die Tochter Isik, wird geboren. Baykurts Buchmanuskript Yilanlarin Öcü (Die Rache der Schlangen), das er während seines Militärdienstes heimlich geschrieben hat, wird mit dem Yunus Nadi-Preis der Tageszeitung Cumhuriyet ausgezeichnet. Es folgt eine Anklage sowohl gegen ihn als Autor als auch gegen die Zeitung.

1959 beendet er seinen Dienst als Lehrer beim Militär. Baykurt wird nach Nordosten in eine Kleinstadt Savsat beordert. Seine zweite Tochter Sönmez wird geboren.


Die Rache der Schlangen wird als Buch veröffentlicht. Kurz danach erscheint Efendilik Savasi. Wegen seiner Veröffentlichungen in der Zeitung Cumhuriyet wird Baykurt aus dem Schuldienst entfernt und nach Ankara berufen. Dort wird er im Bauamt eingesetzt; jedoch ohne Aufgabe. Nach dem Militärputsch 1960 wird eine neue Regierung gebildet, Fakir Baykurt kehrt als Schulrat in den Schuldienst zurück.

Sein Buch Efkar Tepesi wird veröffentlicht, die Rache der Schlangen wird verfilmt und auf der Bühne als Theaterstück aufgeführt. Baykurt lernt englisch, um Literatur in der Originalsprache lesen zu können. Es folgen weitere Buchveröffentlichungen: Onuncu Köy, Karin Agrisi, Irazcanin Dirligi… Die Rache der Schlangen wird als Theaterstück verboten. Auf Intervention des Staatspräsidenten Cemal Gürsel wird das Verbot allerdings wieder aufgehoben.

1962 kommt Baykurts drittes Kind, der Sohn Tonguc, zur Welt. Seinen Namen trägt er nach dem Ziehvater Baykurts, des Gründers der Dorfinstitute, Ismail Hakki Tonguc.


Baykurt geht in die Vereinigten Staaten und schreibt sich an der Bloomingtoner Indiana Universität ein. 1963 kehrt der Pädagoge und Schriftsteller wieder in seine Heimat zurück und arbeitet erneut als Schulrat. Fakir Baykurts Buch Onuncu Köy wird ins Bulgarische, Die Rache der Schlangen und Mutter Irazca ins Deutsche übersetzt.

1965 initiiert er mit einigen Freunden die Gründung der Lehrergewerkschaft TÖS (Türkiye Öðretmenler Sendikasý) deren Vorsitzender er wird. Ein Jahr später folgt die Entlassung aus seinem Amt als Schulrat und Strafversetzung.

Mit Kaplumbagalar und Amerikan Sargisi erscheinen zwei neue Bücher von ihm. Onuncu Köy wird ins Russische übersetzt.
Aufgrund seiner Gewerkschaftsarbeit in der TÖS und mehrerer Veröffentlichungen in der Tageszeitung Cumhuriyet wird Baykurt erneut angeklagt und in den Südosten, nach Fevzipasa-Gaziantep, strafversetzt. 1968 wird Baykurt erneut zum Vorsitzenden der Lehrergewerkschaft gewählt und organisiert eine Großdemonstration für die Demokratie.


1969 ruft er die Lehrer im ganzen Land zu einem viertägigen Streik auf, wird daraufhin vom Dienst suspendiert, klagt dagegen und gewinnt. Der widerständige Pädagoge wird an der Ortadogu Universität Fachbereichsleiter für Bürgerbeziehungen. Zwei Bücher werden von ihm veröffentlicht: Anadolu Garaji und Tirpan (Tirpan und Sinirdaki Ölü werden mit dem TRT Preis ausgezeichnet). 1971 folgt Onbinlerce Kagni.

Am 12. März 1971 wird Fakir Baykurt wieder verhaftet. 1972 verlegt man ihn vom Militärgefängnis ins Zentralgefängnis nach Ankara. 1973 erscheinen – unter den Titeln Köy Göcüren und Can Parasi – zwei weitere Bücher von ihm. Fakir Baykurt wird aus der Haft entlassen, erhält jedoch Ausreiseverbot und arbeitet als Berater für den Verlag Remzi Kitabevi.


Erst 1977 darf er die Türkei verlassen, reist nach Schweden und besucht von dort aus Landsleute in der Bundesrepublik. Seit dieser Zeit trägt sich Baykurt mit dem Gedanken einer Übersiedlung nach Deutschland, den er 1979 schließlich realisiert. Der Militärputsch von 1980 macht eine Rückkehr in die Türkei unmöglich.


„Einen, wie mich, nennt man das, was der Storch aus dem Nest rauswirft. Einerseits häuften sich Terroranschläge in der Heimat, andererseits durfte ich nicht in den Schuldienst. Ich befand mich wie umlagert. Es bestand auch die Gefahr, dass ich getötet würde… Dass ich das Leben der türkischen Emigranten kennenlernen und darüber schreiben wollte, stand schon lange fest. Unter diesem Vorwand reiste ich 1979 aus dem Land aus…. mehr als 15 Jahre hat meine Emigration gedauert. Dass es solange dauern würde, hätte ich nicht gedacht. Ich wollte es auch nicht. Der Weg zurück war versperrt, einerseits aufgrund der regierenden Generäle, andererseits aufgrund der gefährlichen Lebensumstände für mich und meine Familie.
Die Jahre, außerhalb der Heimat habe ich als Lehrer für Kinder der türkischen Gastarbeiter, als Mitwirkender in Initiativen, die deren Probleme zu lösen versuchten, aber auch schreibend, verbracht …“


Fakir Baykurt gründet Initiativen, um die schulischen und gesellschaftspolitischen Probleme seiner Landsleute zu lösen. Er bildete Gruppen und Arbeitskreise mit türkischen Intellektuellen in Deutschland, die wiederum Intellektuelle in der Heimat in ihrem Kampf um mehr Demokratie unterstützten. Er setzt sich für die politischen Gefangenen in der Türkei ein, gründete kleine Literaturcafes in verschiedenen bundesdeutschen Städten, unterstützt „Literatur-Neuankömmlinge“. Mit seinen SchülerInnen gibt er die Literaturzeitschrift Kalem=Schreiber heraus und fördert junge türkische SchriftstellerInnen in Deutschland.


In der Bundesrepublik erscheint mit Das Epos von Kara Ahmet der dritte Band seiner Romantrilogie (Band 1: Die Rache der Schlangen, Band 2: Mutter Irazca und ihre Kinder). Sein Buch Nachtschicht (Gece Vardiyasi) erhält 1985 den Literaturpreis des BDI, Baris Cöregi (Friedenstorte) den Kinderliteraturpreis des Berliner Senats 1984. Weitere Veröffentlichungen von Fakir Baykurt sind: Hochöfen/ Yüksek Firinlar, Die Schönste der Welt/Dünya Güzeli, Die Stieglitze, Sakarca der Hahn, Die Salbe, Strafversetzt, Saka Kuslari, Duisburg Treni, Yarim Ekmek, Ein langer Weg.


1995 wird Fakir Baykurt von der Duisburger Pestalozzi Schule in den Ruhestand entlassen. Er beendet noch im selben Jahr seine achtbändige Biografie.

Im Alter von 70 Jahren stirbt Fakir Baykurt an Krebs. Seiner Beerdigung in Istanbul wohnen tausende von Gewerkschaftern, Lehrern, Intellektuellen, Studenten und Abgeordnete bei. Zu seinem Todestag am 11. Oktober finden in Burdur jährlich Gedenkfeierlichkeiten zu Ehren Fakir Baykurts statt.


Autor:

Halit Ünal


Links (deutsch):

http://www.unionsverlag.com/info/title.asp?title_id=52

http://www.byegm.gov.tr/YAYINLARIMIZ/kitaplar/isteturkiye/german/kultur436.htm

http://www.buecher-nach-isbn.de/3-921889


International:

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