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Auerbach, Ellen

H.A.M. 0

Ellen Auerbach (genannt „pit“)
Fotografin

Geb. 20. 5. 1906 in Karlsruhe
Gest. 30.7.2004 in New York/ USA


Ellen Auerbach„Die vielen Wechsel und Veränderungen in meinem Leben, all die Neuanfänge sind für mich jetzt, am Ende meines Lebens, Ausdruck einer Suche nach etwas anderem. Etwas, was hinter den Dingen steht…ich würde es gern noch herausfinden“ (1)


Die Tochter aus traditionell-bürgerlich jüdischem Elternhaus studiert von 1924-27 Bildhauerei und Zeichnung an der Badischen Landeskunstschule in Karlsruhe bei den Professoren Speck und Hubbuch. 1928: Wechsel nach Stuttgart zur Aka-demie der bildenden Künste (Am Weißenhof) und erste Expe-rimente mit einer 9×12-Plattenkamera, die ihr ein Onkel schenkt, dessen Porträt sie modelliert hat. Mit wachsendem Interesse an der Fotografie sieht sie hier für sich die grösseren Möglichkeiten, als Künstlerin zu arbeiten.


1929: erste fotografische Studien bei Walter Peterhans in Berlin und Zusammentreffen mit Grete Stern. Gemeinsam übernehmen sie von Peterhans nach dessen Wechsel ans Bauhaus sein Atelier und gründen das Fotostudio „ringl + pit“. Beeindruckende Zeugnisse dieser Berliner Atelier- und Wohngemeinschaft mit Grete Stern sind neben einigen Künstlerporträts auch und vor allem die Sach- und Werbefotografien des Studios „ringl + pit“, die sich durch Humor, Ironie und Provokation von den gängigen Reklamebildern der damaligen Zeit abheben. Ergänzend zur Fotografie experimentiert Ellen Rosenberg mit 16-mm-Filmen („Heiterer Tag auf Rügen“, 2 1/2 Min. und „Gretchen hat Ausgang“, 6 Min.)


1933 erhalten Ellen Rosenberg und Grete Stern den Ersten Preis für ihre Werbeaufnahme „Komol“ bei der Exposition Inter-nationale de la Photographie et du Cinema in Brüssel. Im selben Jahr noch emigriert Ellen Rosenberg nach Palästina (Grete Stern nach London), führt dort ihre Filmarbeiten fort („Tel Aviv“, 1933-35), macht Reklamearbeiten für den Jüdischen Nationalfonds und eröffnet das Fotostudio „Ishon“ (Augapel), das sich auf Babyfotografie spezialisiert. Nach Ausbruch des Abessinischen Krieges 1936 verläßt sie Palästina und reist zu Grete Stern nach London.

Ihre Hoffnung, in Großbritannien als Fotografin arbeiten zu können, zerschlägt sich jedoch und Ellen Auerbach emigriert mit ihrem Mann Walter, den sie 1937 geheiratet hat, in die Vereinigten Staaten, nach Philadelphia.Sie wird von der Lessing-Rosenwald-Sammlung engagiert, erlernt die Carbro-Color-Technik und experimentiert mit Aufnahmen aus der Sammlung, um mit infrarotem und ultraviolettem Licht Restaurierungen und Veränderungen auf Drucken (z.B. mittelalterlichen Holzschnitten) sichtbar zu machen. Standen Auerbachs Bilder der Berliner Jahre noch unter dem Einfluß der avantgardistischen Fotografie der Zwanziger Jahre, wandelt sich in den Vereinigten Staaten ihr Fotografierstil: mit dem ihr eigenen Gespür für Menschen und Situationen gelingt Ellen Auerbach der fotografische Blick auf unspektakuläre Alltagssituationen, die sie mit Hilfe der Kamera in zeitlosen und poetischen Aufnahmen dokumentiert. Sie nennt dies ihr „drittes Auge“, das hinter dem vordergründig Sichtbaren im Verborgenen das Wesentliche zu entdecken vermag.

 

 

 


„Ich hab‘ nie mit Blitzlicht gern gearbeitet, aber ich hatte eins, wenn’s nötig wär‘. Ich hatt‘ es nie benützt. Und damals hab‘ ich ab und zu Aufträge bekommen von Time-Magazine, und zwar immer, wenn es sehr schwierige Leute waren…“

volume_up.gifKlicken Sie bitte hier, um diesen O-Ton (als MP3-Datei) in ganzer Länge anzuhören
© Ulrike Müller

 

 

 

 


1944 übersiedelt das Ehepaar Auerbach nach New York und Ellen Auerbach arbeitet in der Folgezeit als freie Fotografin u.a. für das „Time Magazine“ und „Columbia Masterworks“. Auf ihren Reisen nach Argentinien, Griechenland, Mallorca, Deutschland und Österreich entstehen Landschafts-, Natur-, Tanz- und Porträtfotos.

1945: Trennung von Walter Auerbach. In den Jahren 1946-1948 Arbeit am Film „Mounting Tension“, zusammen mit Dr. Sybille Escalona im Auftrag der Menninger Foundation, Forschungsinstitut für Psychologie/ Topeka, Kansas (eine Dokumentation der differenzierten Verhaltensweise von Säuglingen). In dieser Zeit entstehen außerdem diverse Fotostudien Auerbachs über Verhaltensabläufe von Kleinkindern.

 


1953: Dozentur für Fotografie am Junior College for Arts and Crafts in Trenton. 1955/56 viermonatige Reise für eine Fotodokumentation mexikanischer Kirchen, gemeinsam mit dem Fotografen-Kollegen Eliot Porter. 1958 schliessen sich weitere Reisen, u.a. nach Mallorca, Norwegen und Argentinien, an. Seit 1956 ist Ellen Auerbach zunehmend im Bereich Erziehungs- und Lerntherapie am Educational Institute for Learning and Research, New York tätig, setzt sich verstärkt mit Esoterik und Psychologie auseinanderund beendet in dieser Zeit ihre bisherige Profession als Fotografin. Ein Entschluß, den sie wie folgt kommentiert:

„Ich habe die Überzeugung, und die verstärkt sich, je länger ich lebe und je mehr erfolgreiche Leute ich sehe, daß der Kommerzialismus, besondere der amerikanische, verlangt, daß erfolgreiche Menschen, Künstler, einfach ihr Metier weitertreiben, oft weit über ihre wirklich kreative Periode hinaus. Ich werde manchmal kritisiert, ich wäre nicht ausdauernd genug gewesen. Aber wenn man eine Sache gemacht hat und wenn man ein gutes Resultat erzielt hat, dann kann man doch – da man ja auch nicht so lange lebt – aufhören damit und noch einmal etwas Neues anfangen.“ (2)

Ellen Auerbach stirbt im Alter von 98 Jahren im Weill-Cornell-Center-Krankenhaus in New York. 

 

 

 

 

 


(1) zitiert aus:
Ellen Auerbach: Berlin-Tel Aviv-London-New York,
Prestel-Verlag München New York 1998, ISBN 3-7913-1972-8 (vergriffen), S. 7
(2) zitiert aus:
Cordula Frowein: EMIGRIERT – Grete Stern und Ellen Auerbach Fotografien vor und nach 1933, Ausstellungskatalog

Bildnachweis :

(1) © Barbara Klemm
(2) Ellen Rosenberg, Kunstschule, Karlsruhe, 1926 (aus Ellen Auerbach, Prestel Verlag, a.a.O.)
(3) „PIT“, Fotograf: Horacio Coppola, 1933
(4) Komol, 1932, Studio „ringl + pit“ (aus Ellen Auerbach, Prestel Verlag, a.a.O.)
(5) Ellen Rosenberg: Slums, London, 1935 (aus Ellen Auerbach, Prestel Verlag, a.a.O.)
(6) Ellen Auerbach: Die Tänzerin Renate Schottelius, New York, 1947 (aus Ellen Auerbach, Prestel Verlag, a.a.O.)
(7) Ellen Auerbach: Big Sur, Kalifornien, 1949, (aus Ellen Auerbach, Prestel Verlag, a.a.O.)
(8) Portrait Ellen Auerbach, New York 1996 © Ulrike Müller
(9) Portrait Ellen Auerbach, Zeichnung von Ulle Hees, Wuppertal, 1997


»Die vielen Wechsel und Veränderungen in meinem Leben, all die Neuanfänge sind für mich jetzt, am Ende meines Lebens, Ausdruck einer Suche nach etwas anderem. Etwas, was hinter den Dingen steht … ich würde es gern noch herausfinden.«
Dies ist eine der für Ellen Auerbach charakteristischen Antworten auf die sich wiederholenden Fragen und das für sie erstaunliche Interesse, das man ihren Arbeiten nun im Alter von 92 Jahren entgegenbringt. Selbstverständlich genießt sie die damit verbundene Lebendigkeit, insbesondere den im Alter einzigartigen Kontakt mit einer jungen, neugierigen Generation. Aber ihrer späten Anerkennung als Fotografin steht sie eher distanziert gegenüber – fühlt sich geehrt und geniert zugleich.
Natürlich waren diese Neuanfänge nicht selbst gewählt. Ellen Rosenberg flüchtete bereits 1933 vor den Nationalsozialisten aus Deutschland. Die erzwungenen Veränderungen reduzieren sich rückblickend auf Städtenamen: ausgehend von Berlin, sind dies Tel Aviv – London – New York. Das damit bezeichnete Arbeitsterrain markiert Lebensstationen und hat nicht etwa Beziehungen zu einem fotografischen Interesse. Die existentiellen Probleme, aus denen sie immer wieder neben der Brotarbeit den Weg zu persönlichen Bildformulierungen gefunden hat, sind direkt nur in einzelnen Fotografien erkennbar. Und es macht Ellen Auerbach auch wenig Vergnügen, davon zu erzählen.
Die Vorstellungen, die sie aus der Ausbildung bei Walter Peterhans, aber auch aus der Zusammenarbeit mit ihrer Freundin Grete Stern in den Berliner Jahren für eine zukünftige fotografische Praxis entwickelt hatte, wurden durch die existierenden Arbeitsmöglichkeiten relativiert.
Der hier erstmals vorliegende Überblick ihrer Arbeit macht deutlich, wie sich ihre Suche nach einer betont bildnerischen Auseinandersetzung in der Emigration fortsetzt. Aber die Fotografie war für Ellen Auerbach nie eine das Leben dominierende Orientierung. Und hier liegt auch die Distanz und Ironie begründet, mit der die Fotografin die späte Würdigung ihres Werkes entgegennimmt. Den niemals entwickelten Ehrgeiz, sich ganz einer Tätigkeit zu verschreiben, kann sie auch heute nicht nachreichen.
»Wenn ich so wäre, wie ich sein wollte, hätte ich wohl gar nichts produziert.« Sie hat sich bis heute geleistet, ein einfaches Leben zu führen. Ihre Widerstandskraft, mit der sie auch jetzt noch Herausforderungen begegnet, ist keine kämpferische, sondern eine in einer tiefen Abneigung gegen gradlinige Einverleibungen begründete. Dementsprechend hat sich Ellen Auerbach weder auf eine methodisch noch thematisch bezogene Arbeitsweise festgelegt.
»… Etwas, was hinter den Dingen steht … ich würde es gern noch herausfinden.« Hier verbirgt sich auch das Bemühen, das eigene Werk rückblickend zu erkunden und das ihr heute entgegengebrachte Verständnis zu begreifen. Eine selten wunderbare Chance für eine alte Dame – Salute Ellen.

Ute Eskildsen, 4. März 1998

Quelle:
Ellen Auerbach – Berlin, Tel Aviv, London, New York
Prestel Verlag, München, New York 1998, ISBN: 3791319728,
S. 7 u. 8.

Die Redaktion des Exil-Archivs bedankt sich ausdrücklich bei Frau Prof. Ute Eskildsen, Leiterin der Fotografischen Abteilung des Folkwang Museums in Essen, für die Zurverfügungstellung ihres Grußwortes.

Please click here, if you would like to read the foreword in English


Literatur:

Das dritte Auge – Leben und Werk – Ellen Auerbach Mit einem Beitrag von Inka Graeve Ingelmann • Schirmer/Mosel, AdK/ Archiv 2006 • 120 Tafeln in Farbe u. Duotone. ISBN 3-8296-0223-5

Eliot Porter & Ellen Auerbach: Mexican Churches
University of New Mexico Press, Albuquerque,
2nd printing 1988, ISBN 0-8263-1023-0

Jean-Christophe Ammann: „Das dritte Auge der Ellen Auerbach“, in: Ellen Auerbach,Prestel-Verlag, a.a.O., S. 93-95

Katharina Sykora: Doppelspiele. Die fotografische Zusammenarbeit von Ellen Auerbach und Grete Stern, in: Renate Berger (Hg.): Liebe Macht Kunst, Künstlerpaare im 20. Jahrhundert, Köln-Weimar-Wien 2000, S.87-108

Fundación „la Caixa“ (Hrsg.): Ellen Auerbach. La mirada intuitiva, Barcelona 2002
ISBN 84-7664-798-0 (span.)
ISBN 84-7664-797-2 (katalan.)


Links (deutsch):

http://www.welt.de/data/2004/09/04/327881.html

http://www.lexikon-definition.de/Ellen-Auerbach.html

http://www.cine-holocaust.de/cgi-bin/gdq?dfw00fbw002593.gd

http://www.museum-folkwang.de/wirfot.htm

http://www.adk.de/de/aktuell/veranstaltungen/i_2006_1/ELLEN-AUERBACH_ZUM_100.htm

http://www.fotowettbewerbe.de/ellen-auerbach/

http://www.artfacts.net/index.php/pageType/artistInfo/artist/1409


International:

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