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Tisch, Siegfried

H.A.M. 0

Siegfried (eigtl. Salomon) Tisch
Librettist


Geb. 12.6.1905 in Tornow (Galzien)/ Österreich-Ungarn
Gest. 9.4.1981 in London/ GB


„Sag beim Abschied leise Servus
Nicht Lebwohl und nicht Adieu
Diese Worte tun nur weh!
Doch das kleine Wörterl Servus
Ist ein lieber letzter Gruß,
Wenn man Abschied nehmen muss.“

(Siegfried Tisch)


Wenige Monate vor Beginn des Zweiten Weltkriegs hat in Berlin eine Operette mit dem unbeabsichtigt passenden Titel Lüg nicht, Baby Premiere. Obgleich von der Handlung in Schottland angesiedelt, wird unter anderem ein Loblied auf die Ehe mit Frauen „von Rasse“ vorgetragen. Auch ansonsten hat man das Stück stramm auf NS-Gesinnung getrimmt. Das Ganze ist ein Plagiat der Operette Warum lügst du, Chérie? aus dem Jahr 1936, verfasst von den jüdischen Wiener Librettisten Siegfried Tisch und Hans J. Lengsfelder. Als die arisierte Version ihres Lustspiels „uraufgeführt“ wird, hat Siegfried (eigentlich Salo) Tisch – gezeichnet von acht Monaten im KZ und einer kaum überstanden Typhuserkrankung – gerade seine spätere Ehefrau Ilse in London kennen gelernt, wohin er erst drei Tage zuvor emigriert ist.


Salomon Tisch wird als Sohn orthodoxer Juden geboren. Vier der Onkel sind Rabbiner, der Vater Buchhalter. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs ziehen die Eltern mit Salomon und seinem jüngeren Bruder Max angesichts antijüdischer Pogrome in ihrer Heimat erst nach Mähren, 1911 in die Vorgartenstrasse 78 im II. Wiener Bezirk.
Bereits als Schüler schreibt Salomon Tisch Sketche und Kolumnen und tritt auf Theaterbühnen auf. Nach dem Abitur 1924 beginnt er – auf Wunsch der Mutter – ein Jurastudium, arbeitet nach seiner Promotion 1929 als Rechtsanwaltanwärter und schreibt in seiner Freizeit erste Texte.


1934 lernt Siegfried Tisch, wie er sich mittlerweile nennt, in einem Kaffeehaus Hans J. Lengsfelder kennen, mit dem er fortan zusammenarbeitet. Für den Film Burgtheater mit Hans Moser textet das jüdische Librettisten-Duo 1936 Sag beim Abschied leise Servus – und trickst mit dem von ihm erdachten Strohmann Harry Hilm die deutsche Zensur aus. Im selben Jahr noch haben vier Operetten Premiere, für die das Duo die Libretti verfasst hat: Achtung … Großaufnahme!, Hochzeitsreise, Der schiefe Hut und Warum lügst du, Chérie?. 1937 folgen die: Sie Johann …! und Das Ministerium ist beleidigt.


Im Juni 1938 wird Tisch verhaftet und ins KZ Dachau gebracht, von wo er am 23. September ins Konzentrationslager Buchenwald verlegt wird. Nach seiner Entlasssung am 19. Januar 1939 kehrt Siegfried Tisch nach Wien zurück, wo er – an Typhus erkrankt – mehrere Monate im Krankenhaus verbringt, bevor er im Mai 1939 endlich nach Großbritannien emigrieren kann.


Hier ändert er seinen Namen zu Fred S. Tysh, arbeitet als Buchhalter und schreibt nebenbei wieder Texte für Tanzlieder und Operetten. 1944 hat Old Chelsea von und mit Richard Tauber in Manchester Premiere, für das Tisch unter anderem die Lieder There Are Angels Outside Heaven, If You Are In Love beisteuert. Mit My Heart And I kann er seinen größten Hit in Großbritannien verzeichnen, dem aber kein weiterer mehr folgen wird. Ende der Vierziger Jahre gibt Tysh das Dichten auf. Aus dem Bohemien Salomon Tisch wird endgültig der Buchhalter Fred S. Tysh, der fortan mit seiner Frau Ilse – einer ebenfalls nach London emigrierten böhmischen Jüdin, die er im August 1947 geheiratet hat – in Großbritannien lebt und arbeitet.

Eine Rückkehr nach Österreich ist für ihn bis zu seinem Lebensende undenkbar. Fred S. Tysh lehnt jede Entschädigung ab und weigert sich, obgleich seine Operetten in den 50er Jahren wieder aufgeführt werden, nach Wien zu kommen: allzu tief sitzt noch die Erinnerung daran, daß seine Eltern unter den Nazis einst den Gehsteig mit Zahnbürsten haben putzen müssen.


Literatur:

Barbara Esser:
Sag beim Abschied leise Servus
Eine Liebe im Exil
Verlag Kremayer & Scheriau
Wien 2002
ISBN: 3-218-00697-X


Links (deutsch):

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