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Mann, Erika

H.A.M. 0

Erika (Julia Hedwig) Mann
Schriftstellerin, Journalistin und Kabarettistin


Geb. 9.11.1905 in München
Gest. 27. 8.1969 in Zürich/ Schweiz


Erila Mann„Es ist also ein Mädchen: eine Enttäuschung für mich …“

(Thomas Mann nach der Geburt von Erika in einem Brief an seinen Bruder Heinrich)


Noch heute gibt es eine Institution, die ihre Gründerin überlebt hat: Das Kabarett „Die Pfeffermühle“ in Leipzig. Dass diese Neugründung kurz nach dem Ende der NS-Diktatur in der DDR erfolgte, war folgerichtig im „ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat“: Erika Mann galt in Ost-Berlin als „Vorzeigesozialistin“. Zusammen mit ihren Eltern war die verwöhnte Tochter des Nobelpreisträgers Thomas Mann und seiner Frau Katia wegen ihrer „linken“ Ansichten einer öffentlichen Anhörung durch die Kommunistenjäger des Senats zuvorgekommen und aus den USA wieder in die Schweiz übersiedelt. Dass es unseres Wissens nach nur eine Schule in Deutschland gibt, die sich nach dieser Frau nennt – die Erika-Mann-Grundschule in Berlin-Wedding, die beispielhaft deutsche und ausländische, behinderte und nichtbehinderte Kinder integriert – dürfte etwas damit zu tun haben, dass diese hochbegabte und temperamentvolle Frau eine ewig Unangepasste war. Es ist noch schmeichelhaft formuliert, wenn der Kritiker Marcel Reich-Ranicki ihr bescheinigt, „nicht in Frieden mit sich selbst“ gewesen zu sein. Ihre Geschwister Monika und Michael Mann sagen nach ihrem Tode, dass es erst jetzt in der Familie „eigentlich ganz gemütlich“ sei. Wohin die eigentliche deutsche Gemütlichkeit geführt hat, ist bekannt.

Kein Zweifel, sie war ein widerspenstiger Geist. Und das ist gut so. Gleich zu Beginn des neuen Jahres gründet Erika Mann am 1. Januar 1933 mit ihrem Bruder Klaus, der damals bereits populären Schauspielerin Therese Giese und dem Pianisten Magnus Henning das politisch-literarische Kabarett Die Pfeffermühle in München. Sie ist nicht „Mädchen für alles“, aber alles gleichzeitig: Prinzipalin, Autorin, Conférencière und Organisatorin. Geradezu raffiniert verpackt sie die Kritik am Regime. Um nicht angreifbar zu sein, werden Namen, Daten Orte verschleiert hinter Gleichnissen oder umgeschriebenen Märchen der Brüder Grimm. Chansons, Sketche und groteske Inszenierungen spießen die nationalsozialistischen Spießer auf, geißeln die Arbeitslosigkeit und Brutalität der beginnenden Diktatur.
Die schlägt trotz aller Verschleierungskünste erbarmungslos zu: Aufführungs- und Auftrittsverbot zwingen zur Emigration nach Zürich. „Die Pfeffermühle“ wird zum erfolgreichsten deutschen Exilkabarett. Zuerst in der Schweiz. Danach in fünf (andere Quellen sprechen von sechs) weiteren Ländern des freien Europa. Die 1.034 Vorstellungen sind meistens gut besucht, die Pfeffermühle ist die Bühne gegen Hitler. Aber als die Aufführungen in Zürich durch die nazistische „Schweizer Front“ massiv gestört werden, ist kein Bleiben. Das Ensemble flieht 1936 über den Ozean nach New York. Doch im englischsprachigen Exil sind die Künstler wie Fische ohne Wasser. 1937 stellt „The Peppermill“ ihre Vorstellungen ein – bis zur Neugründung nach dem Krieg in Leipzig.


Dort jedoch macht Erika Mann nicht mit. Sie bleibt im freien Westen, ist die einzige Frau unter den Berichterstattern des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses. Erfahrungen als Journalistin hat sie reichlich. Mit ihrem Bruder Klaus beschrieb sie bereits 1927 in „Rundherum“ die „Abenteuer einer Weltreise“. Später arbeitete sie für das neue Medium Rundfunk und verfasste politische Beiträge für den „Münchner Neuesten Nachrichten“ oder das Berliner Magazin „Tempo“. 1938 sind Bruder und Schwester, die einstigen „enfants terribles“ von München und Berlin, gemeinsam Korrespondenten im Spanischen Bürgerkrieg, geben die Dokumentation „Back from Spain“ heraus, veröffentlichen unter dem Titel „Escape to Life“ einen Bericht über prominente deutsche Emigranten und setzen sich in der Publikation „The other Germany“ kritisch mit ihrem Geburtsland auseinander. Es dürfte kein zweites Geschwisterpaar in der Geschichte des Journalismus geben, das so fruchtbar und so engagiert erfolgreich zusammengearbeitet hat. Sogar an „Plagiat, eine Komödie in fünf Bildern“, ihrem einzigen Theaterstück hat der Bruder mitgeschrieben. Dieses Stück aus dem Berliner Theater- und Intellektuellenmilieu war verschollen und wurde erst Anfang der 90er Jahre im Nachlaß eines Klaus-Mann-Sammlers aufgefunden.


Zwischen 1938 und 1948 eilt Erika Mann fast ruhelos durch die USA, um Vorträge über Hitler-Deutschland zu halten, beteiligt sich an deutschsprachigen BBC-Sendungen und arbeitet zugleich als Korrespondentin für britische, kanadische und amerikanische Zeitungen sowie für die amerikanischen Streitkräfte (ab 1942 im New Yorker Office of War Information). Danach berichtet sie bis 1946 aus Osteuropa, freimütig und kritisch, wie sie das stets getan hat – und wird dafür in den USA angefeindet: Der Kalte Krieg hat begonnen. Zugleich schließt sich ein Kreis, der in der Kindheit begonnen hat, mit ihrer immer enger werdenden Beziehung zum Vater. Der soll einst über die Witze des Mädchens Erika, dessen kleine Unverschämtheiten und dem Talent, andere Leute nachzuäffen, Tränen gelacht haben. In den USA hatte sie ihm bei englischen Texten geholfen, geduldig die Aussprache der fremden Sprache geübt. Die einst „wilde“, ist jetzt ganz gute, brave Tochter…


Nach dem Freitod von Klaus am 21. Mai 1949 widmet sich Erika dessen Nachlass, gibt die Schrift „Klaus Mann zum Gedächtnis“ heraus und verlegt Weihnachten 1952 mit den Eltern ihren Wohnsitz von den USA in die Schweiz, wo sie die kongeniale Mitarbeiterin ihres Vaters wird. Thomas Mann hatte seit 1947, als die Prozesse „wegen unamerikanischer Umtriebe“ gegen deutsche Emigranten wie Bertolt Brecht und Hans Eisler begannen, Abneigungen gegen sein Gastland entwickelt. Entscheidend für die Rückkehr nach Europa dürfte jedoch gewesen sein, dass die Hetzer um Senator Joseph McCarthhy auch den Literaturnobelpreisträger und seine Kinder unter Generalverdacht gestellt hatten, Sympathisanten der Kommunisten zu sein. Die Journalistin Erika Mann wurde sogar vom FBI beschattet.


Dem Zusammenspiel mit dem geliebten Bruder folgt im schweizerischen Kilchberg bei Zürich die intensive Zusammenarbeit mit dem Vater. Sie berät ihn bei den Kürzungen an dessen Roman „Doktor Faustus“ oder bei der Fortsetzung des Romanfragments „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“. Bei der Geburt des ersten Kind von Thomas und Katia Mann (geb. Pringsheim), soll der Vater enttäuscht gewesen sein, weil es „nur“ einje Tochter war. Am Ende ist sie die Bevollmächtigte seines Nachlasses, wirkt mit bei Verfilmungen seiner Werke, gibt eine dreibändige Thomas Mann-Briefausgabe heraus – und wird von Literaturexperten dafür heftig kritisiert.
Doch Angriffe hatte sie zu parieren gelernt.


Dabei hätte sie ein viel bequemeres Leben haben können. Noch vor dem Abitur war das Talent der Achtzehnjährigen dem berühmten Theaterintendanten Max Reinhardt aufgefallen, der ihr ein Engagement am Deutschen Theater in Berlin gab. Ihre Begabung hatte sie früh entwickeln können. Gemeinsam mit dem ein Jahr jüngeren Klaus hatte sie 14jährig in München den „Laienbund deutscher Mimiker“ gegründet, ein Kindertheater. Zeitweise war Erika Absolventin eines reformpädagogischen Landschulheims.
Richtig bekannt wird das „verrückte Geschwisterpaar“ 1925 mit der Aufführung von „Anja & Esther“ in Hamburg, dem ersten Theaterstück von Klaus Mann, der zusammen mit Erika und deren Verlobten Gustav Gründgens die Hauptrollen übernimmt. Ein Jahr später heiratet sie Gründgens: Am 24. Juli 1926. Und wie dieser ebenso begnadete wie später politisch umstrittene Theatermensch hätte sie ihre Schauspielkarriere fortsetzen können, hätte ein „Playgirl“ werden können: 1931 gewann die begeisterte Autofahrerin eine 10.000 Kilometer lange Rallye durch Südeuropa, 1932 war mit „Stoffel fliegt über das Meer“ ihr erstes Kinderbuch erschienen. Der Fortsetzung eines solchen Leben hätte nichts im Wege gestanden, wäre da nicht ihr politisches Engagement gewesen, das mit dem sozialkritischen Kabarett „Die Pfeffermühle“ seinen ersten Höhepunkt fand – eine literarische „Kleinkunstbühne“, für die Christian Morgenstern, Klabund und Joachim Ringelnatz die Vorbilder waren und Vater Thomas Mann den Namen gefunden hatte.


Thomas und Katia Mann, Onkel Heinrich Mann und die sechs Geschwister gehen getrennt ins Exil, finden zunächst gemeinsam Zuflucht in Sanary-sur-Mer, dem berühmten Emigrantentreff in Südfrankreich, bevor sich einige der Manns in die Schweiz absetzen, wo Erika den Familienzusammenhalt organisiert. Hier kann die deutschlandkritische Intellektuelle den großbürgerlichen, zögernden Vater dazu bewegen, sich mit seinem berühmt gewordenen Beitrag in der Neuen Zürcher Zeitung zu den Exilanten zu bekennen und Deutschland eine Abfuhr zu erteilen. Vielleicht war sie es auch, die Thomas Mann dazu gebracht hat, Nazideutschland zu verlassen. Sie ist neben Onkel Heinrich kritischer Kopf und politisches Herz der berühmtesten deutschen Exilfamilie.


Erika Mann war nie bequem – und das ist gut so. Sie hat die Stimme gegen die Nazityrannei bereits erhoben, als sie damit noch eine einsame Ruferin und Mahnerin war. Als „geistige Urheberin“ der „deutschfeindlichen Pfeffermühle“ war ihr die deutsche Staatsangehörigkeit aberkannt worden. Um in den Besitz eines (britischen) Passes zu kommen, ohne den man in der westlichen Welt kein Mensch ist, heiratete sie den ihr vollkommen fremden englischen Dichter Wystan H. Auden – auch er homosexuell wie ihr Bruder Klaus und Gustav Gründgens, von dem sie sich bereits nach knapp drei Ehejahren hatte scheiden lassen. Jahrelang hatte sie eine heimliche Liaison mit dem Dirigenten Bruno Walter und ihre letzte intime Beziehung galt Betty Knox, einer amerikanischen Journalistin. Ein Heimchen am Herd hätte eine solche Frau nie werden können, von der der ebenfalls ins Exil geflohene Schriftsteller Joseph Roth schon 1935 sagte, dass sie „zehnmal mehr gegen die Barbarei“ bewirkt habe „als wir alle Schriftsteller zusammen“.
Gestorben ist sie 1969 im Kantonsspital in Zürich, in dem 14 Jahre zuvor auch ihr Vater verschieden war. Hinterlassen hat sie eine Reihe von Kinder- und Jugendbüchern, darunter den Bestseller „Zehn Millionen Kinder/School for Barbarians“. Ihre 1943 verfasste fragmentarische Autobiografie „I of all people“ bleibt unveröffentlicht
Vermutlich hätte es ihr gefallen, dass eine Grundschule in Berlin ihren Namen trägt, die sich für soziale Gleichbehandlung einsetzt.


Autor:

Hajo Jahn


„Eine Welt, – eine einzige, mäßig große, die Raum hat für alle, doch nicht für alles. Und wofür nun einmal gewiss nicht? Das Wort ist flach, und wir vermieden es lieber. Es ist unvermeidlich. Was hinter ihm steht, hat die Erde in Rauch und Flammen gehüllt und muss verfemt sein, nach den Gesetzen der neuen Welt. Es heißt: Nationalismus!“

(Erika Mann, 1943)


Literatur:

Marianne Krüll:
Im Netz der Zauberer –
Eine andere Geschichte der Familie Mann
Erstveröffentlichung: Arche Verlag, Zürich 1991.
ISBN 3-7160-2133-4.

Korrigierte Neuauflage als Taschenbuch:
Fischer Taschenbuch Verlag,
Frankfurt 1993 und 1999.
ISBN 3-596-111381-4.

Irmela von der Lühe:
Erika Mann. Eine Biographie
Fischer Taschenbuch Verlag,
Frankfurt/ Main 2001
ISBN 3-59612598-7

Erika Mann:
Wenn die Lichter ausgehen
Geschichten aus dem Dritten Reich
Aus dem Englischen von Ernst Georg Richter
Rowohlt Verlag, 2005, ISBN 3-498-04496-6

Helga Keiser-Hayne
Erika Mann und ihr politisches Kabarett
„Die Pfeffermühle“ 1933 – -1937
Texte, Bilder, Hintergründe


Links (deutsch):

http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/MannErika

http://www.shoa.de/content/view/67/202

http://www.fembio.org/biographie-specials/mann-familie/erika-mann.shtml

http://www.martinschlu.de/kulturgeschichte/zwanzigstes/mann/start.htm

http://www.perlentaucher.de/autoren/652.html

http://www.br-online.de/kultur/literatur/lesezeichen/20000206/20000206_6.html

http://www.wdr5.de/service/service_buch/434859.phtml

http://www.edition-ebersbach.de/seiten/2005/riviera.htm

http://www.lespress.de/052004/texte052004/zeitreise052004.html

http://www.mariannekruell.de/schriftstellerin/buch-mann.htm

http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=4638&ausgabe=200202

http://www.zvab.com/angebote/erika-mann.html

http://www.zeit.de/archiv/2000/43/200043_sm-mann__erika.xml

http://www.pifflmedien.de/Pages/Escape.html

http://www.dieterwunderlich.de/Breloer_Mann.htm


International:

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