Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

Kahn, Erich Itor

H.A.M. 0

Erich Itor Kahn
Komponist


Geb. 23.7. 1905 in Rimbach
Gest. 5.3. 1956 in New York/ USA


„Ich glaube, daß inmitten einer Zeit der Weltkrise auch die Kunst dieser Krise unterworfen ist. In einer Epoche, da es keine Stabilität der Ausdrucksmittel und des Stils gibt, da alles Vollendete kurzlebig scheint, da eine endgültige Realisation in dem Maße, wie sie sich als wahr erweist, auch als dialektische Auseinandersetzung mit dem Material auftritt, als Erschütterung, als Veränderung, als eine Art Abschied – inmitten einer solchen Zeit hat der Komponist nur einen einzigen Stützpunkt: die Rechte und Pflichten, die sich aus der ererbten historischen Lage der Musik ergeben zugleich mit der geistigen Vision ihres Ausdruckswillens. Die erste und entscheidende Frage ist diese: wie weit können wir gehen, ohne die Vergangenheit zu verraten, und was müssen wir bewahren, ohne die Zukunft zu verraten?“


Dieses Zitat des als „entarteter Musiker“ von den Nazis verfolgten Erich Itor Kahn wird zwar als Beispiel seiner musikästhetischen Position und Nähe zu dem ebenfalls verfolgten Komponistenkollegen und Vorbild Theodor W. Adorno gedeutet. Doch klingt es nicht eher wie das Vermächtnis, aktuell jetzt und allezeit?


Sein Vater war ein Kantor aus dem damals russischen Baltikum, angestellt bei der jüdischen Gemeinde in Königstein im Taunus. Weil er früh die Begabung seines Sohne erkannt hatte, gab er ihm selbst Klavierunterricht. Dennoch waren die Eltern sehr reserviert gegenüber seinem Wunsch, ausgerechnet Berufsmusiker zu werden. Sie hätten lieber eine „bürgerliche“ Laufbahn gesehen. Erich Itor Kahn setzte jedoch seinen Willen durch und begann unter schwierigen materiellen Bedingungen seine Ausbildung am Hochschen Konservatorium in Frankfurt am Main, finanziert durch das Honorar für Klavierstunden bei „höheren Töchtern/Söhnen“, vor allem durch Musizieren in Cafés.


Sein mit Auszeichnung bestandenes Examen brachte ihm eine feste Anstellung beim Hessischen Rundfunk/Radio Frankfurt als Konzertpianist. Bald brillierte er mit ersten Kompositionen, die der Zwölftonmusik Arnold Schönbergs angelehnt war, der damals auch in Frankfurt tonangebenden neuen Musikrichtung. Sie empfand er als revolutionär, warnte jedoch gleichzeitig vor ihrer kritiklosen Anwendung und der Gefahr, damit „Robotermusik“ zu schreiben. Zudem hatte er das Glück, mit Paul Hindemith und Theodor W. Adorno auf kongeniale Diskussionspartner zu stoßen. Sie und andere machten Frankfurt neben Berlin, Wien und München zur künstlerisch, vor allem musikalisch lebendigsten Stadt. Davon inspiriert, konnte Erich Itor Kahn seine Begabung entwickeln und sein ganzes Können entfalten konnte – als Interpret moderner Musik. Kein Wunder, dass der Musikkritiker Adorno „die materialgerechte Präzision und Vertrautheit mit der Ästhetik der Avantgarde“ Kahns rühmte. Andere Kritiker waren weniger wohlmeinend. Sie sahen nicht sein Können, sondern sein Judentum.


Solche und andere antisemitischen Menetekel waren unübersehbar. Auch durch die Straßen von Frankfurt, in der es jahrhundertealte jüdische Gemeinden gab, marschierte der NS-Mob. Die Situation wurde immer bedrohlicher. Seine Frau Frida, die mit ihrer Familie aus dem revolutionären Russland der Bolschewisten geflohen war, hatte nun Angst in Deutschland. Das junge Paar emigrierte deshalb bereits 1933 nach Paris. Trotz widriger Lebensbedingungen konnte Kahn dort weitere Kompositionen schreiben, weil seine Frau durch Klavierunterricht den kümmerlichen Lebensunterhalt verdiente. Damit war es vorbei, als die deutsche Wehrmacht in Frankreich einfiel. 14 Monate lang wurden die Kahn durch verschiedene Internierungslager gehetzt – ein Schicksal, dass sie mit anderen exilierten Künstlern und Intellektuellen teilten.


Erst mit Hilfe eines amerikanischen Flüchtlingskomitees gelingt dem Ehepaar Kahn 1941 die Flucht in die Vereinigten Staaten von Amerika. Damit beginnen bessere Zeiten (wie sie nicht vielen Emigranten beschiedenen waren). Gemeinsam mit Alexander Schneider, Violine, und Ben Heifetz, Cello, gründet der Pianist Kahn das „Albeneri-Trio“, etabliert sich in New York und unternimmt erfolgreiche Gastspielreisen. Finanziell geht es ihm jetzt gut, doch als Komponist findet er in den USA nicht die Anerkennung, die ihm zusteht und die er auch braucht, um kreativ zu sein. Erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und Auftritten in Europa wird Erich Itor Kahn (in der Alten Welt) als das gefeiert, was er vor seiner Verfolgung als „entarteter Musiker“ war: Ein Avantgardist.


Erfreuen kann er sich an dieser späten Anerkennung nicht lange. Ein Hirntumor raubt ihm das Bewußtsein, lässt ihn monatelang dahindämmern und schließlich am 5. März 1956 in der amerikanischen Metropole sterben.
Seine Frau hat sich um die Aufführungen der Werke ihres Mannes, den sie um viele Jahre überlebte, intensiv bemüht. Dass er heute beim interessierten Konzertpublikum, in Rundfunksendungen und der Schallplattenindustrie einen klangvollen Namen hat, ist ihr Verdienst.


Autor:

Hajo Jahn


Kompositionen:

  • Trois chansons populaires: Jai repoussé la bonne rive/Dou vient ou le soleil sen est allé/Dessus lherbe
  • Ciaconna di tempi di guerra (1943)
  • Nenia Judaeis Qui Hac Aetate Perierunt für Violoncello und Klavier (1940-41). Der Komponist schrieb dieses Werk in Erinnerung an die von den Nationalsozialisten ermordeten Juden, nach seiner erfolgreichen Flucht aus einem Internierungslager in Frankreich)
  • Actus Tragicus für 10 Instrumente (1946)
  • Three Bagatelles: Moderato (for Erich Schmid)/Adagio-Vivo-Adagio (for René Leibowitz)/Poco allegro (for Beveridge Webster)
  • Four Pieces On Medieval German Poems: Maria ging wohl langs dem Meer/Ich wollt mich zur lieben Maria/Maria durch ein Dornwald ging/Ave Maria, ein Ros ohn alle Dorn


Literatur:

Musik-Konzepte, Heft 85, 1994
Heinz-Klaus Metzger, Rainer Riehn:
Erich Itor Kahn
ISBN 3-88377-481-2

Juan Allende-Blin: Erich Itor Kahn
Juan Allende-Blin/Klaus Linder: Werkverzeichnis
(Beide Aufsätze erschienen in: Musik-Konzepte Heft 85 „Erich Itor Kahn“, 1994)


Links (deutsch):

http://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Itor_Kahn

http://www.etk-muenchen.de/sixcms/detail.php?_nav=1&id=5298&template=etk_werke_default_musik

Die Kommentare sind deaktiviert.