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Westheim, Paul

H.A.M. 0

Paul Westheim

Kunstschriftsteller, Kritiker und Herausgeber

Geb. 07.08. 1886 in Eschwege

Gest. 21.12. 1963 in Berlin

“Die ganze Elite eines 66-Millionen-Volkes auf Stellensuche!“ (…) Was man an Plätzen auch freimachen konnte, im Handumdrehen war’s schon wieder weg. Um allen berechtigten Ansprüchen gerecht werden zu können, hatte man noch ein Dutzend, was sage ich: ein Gros neuer Ministerien einrichten müssen. Es war ein Kreuz, ein Hakenkreuz.“ *)

“Was ich sammelte, waren nicht eigentlich Bilder und Plastiken, sondern Menschen, geistige, schöpferische Menschen, für die ich mich einsetzte, deren Gestalten mir Erlebnis war.“ **)

Eine auf Wunsch des Vaters begonnene kaufmännische Lehre beendet er nicht und studiert statt dessen Kunstgeschichte an der TH Darmstadt und in Berlin. Ab 1917 gibt Westheim, Sohn einer jüdisch-orthodoxen Familie aus dem Osthessischen, die Zeitschrift “Das Kunstblatt“ heraus, mit Beiträgen von expressionistischen Malern wie Wilhelm Lehmbruck, Oskar Kokoschka, Otto Dix und Pablo Picasso. Ebenfalls unter seiner Ägide erscheinen diverse Grafik-Mappenwerke sowie die Buchserie “Orbis pictus“. Neben seiner Herausgeberschaft verfasst Paul Westheim diverse Monografien zur modernen Kunst des 20. Jahrhunderts, sammelt u.a. Werke von {ln:Grosz, George ‚George Grosz}, Oskar Kokoschka und Erich Heckel, fördert den Künstlernachwuchs mit Ausstellungen in seiner Berliner Galerie und nutzt schon sehr früh auch die Möglichkeiten des Mediums Radio. Seine Hörfunkbeiträge machen ihn sehr bald schon zu einem der führenden Kunstkritiker Deutschlands – und zu einem vehementen Gegner der nationalsozialistischen Kulturpolitik.

Die Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 beendet all seine kulturellen Aktivitäten, darunter auch die Herausgabe der seit sechzehn Jahren erscheinenden Kunstzeitschrift. Paul Westheim emigriert nach Frankreich, seine umfangreiche Kunstsammlung (an die 50 Gemälde und Plastiken sowie dreitausend Aquarelle, Zeichnungen und Grafiken, die er in seiner Vierzimmerwohnung in Berlin-Schöneberg gehortet hat) deponiert er bei der mit ihm befreundeten Charlotte Weidler, Kunsthistorikerin, Expressionismus-Expertin und deutsche Repräsentantin des Carnegie Instituts aus Pittsburgh (und eine Freundin der  jüdischen Fotografin {ln:Yva ‚Yva}, deren Atelier-Leitung sie seit 1936 offiziell übernommen hat, um damit ihre Werke vor der Vernichtung durch die Nazis zu bewahren}. Weidler “durfte reisen und schaffte es sogar, einige der 3000 Grafiken aus der Westheim-Sammlung zu verkaufen, um Paul in Paris Geld schicken zu können.“ (Hier zitiert aus: {ln:nw:https://www.welt.de/welt_print/article3123231/Ich-hebe-alles-was-Dir-gehoert-sorgfaeltig-auf.html

Im französischen Exil setzt der Kunstkritiker seine Arbeit fort, schreibt für deutschsprachige Zeitungen, gibt das Mitteilungsblatt des Freien Deutschen Künstlerbundes “Freie Kunst und Literatur“ heraus und verfasst Artikel für die Emigrationszeitung “Pariser Tageblatt“, wo auch 1935/36 als Fortsetzungsroman “Heil Kadlatz! Der Lebensweg eines alten Kämpfers“  erscheint. 1935 wird ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt, was ihn aber nicht davor bewahrt, nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 aufgrund seiner deutschen Herkunft in fünf verschiedenen französischen Internierungslagern inhaftiert zu werden, ein Umstand, den er ironisch als “seine Tour de France“ umschreibt. Durch Zufall gelingt ihm 1941 die Flucht aus dem Lager, und mit Hilfe des US-Amerikaners Varian Fry und dem “Emergency Rescue Committee“ (einer Hilfsorganisation für deutsche und österreichische Flüchtlinge in Frankreich in der Zeit von 1940 bis 1942) erhält der zu diesem Zeitpunkt schon fast erblindete Paul Westheim in Marseille ein Einreisevisum für Mexiko. Über Spanien und das portugiesische Lissabon gelingt ihm schließlich die Flucht in die Freiheit.

1942 lernt er im “Heinrich-Heine-Klub“ in Mexiko-Stadt die verwitwete Hispanistin {ln:Frenk-Westheim, Mariana ‚Mariana Frenk} kennen. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges verwehren beide deutschen Staaten dem als linksliberal eingestuften Paul Westheim die Remigration. Charlotte Weidler bricht 1945 bereits (vermutlich aus privaten Gründen) den Kontakt zu ihm ab und verkauft Jahre später Werke seiner (von Westheim selber als nicht mehr existent deklarierten) Sammlung. “Charlotte Weidler war es Ende der Vierzigerjahre gelungen, die Kunstwerke nach New York auszuführen. Sie hatte Westheims Tod offenbar gezielt abgewartet, denn in den Sechzigern begann sie plötzlich, einzelne Gemälde aus der Sammlung zu verkaufen. Westheims Witwe Mariana erfuhr davon und begann, Fragen zu stellen. Eine New Yorker Galerie, die gerade Oskar Kokoschkas Gemälde Robert Freund II zum Verkauf anbot, antwortete ihr, dass die Eigentümerin das Bild von Westheim gekauft hätte. Mariana wusste es besser, hatte aber nichts als die Erinnerungen ihres verstorbenen Mannes, um es zu beweisen. Mariana Frenk-Westheim verstarb 2004 im Alter von 106 Jahren. Sie hatte bis dahin kein Bild ihres Mannes zurückerhalten.“ (Hier zitiert aus: {ln:nw:http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/28096/})

Erst 1954 erhält der bis dahin Staatenlose einen mexikanischen Pass. Im Alter von 77 Jahren verstirbt der Kunstkritiker, Förderer des deutschen Expressionismus und hochgeschätzter Experte auf dem Gebiet der Kunst Alt-Mexikos bei einem Besuch in dem von ihm geliebten Berlin. Nach Paul Westheims Tod entsteht ab 2009 “In Kooperation mit dem DFK Paris und dem DHI Moskau und mit finanzieller Unterstützung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius (…) eine Edition des Briefwechsels zwischen dem aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach Paris emigrierten Kunstkritiker und Kunstsammler Paul Westheim und der deutschen Kunsthistorikerin Charlotte Weidler aus den Jahren 1933–1940. Die Korrespondenz Weidlers und Westheims wurde neben zahlreichen anderen Künstlerarchiven nach der Besetzung von Paris von der Wehrmacht konfisziert, nach Berlin verbracht und dort von der Roten Armee erbeutet. Sie befinden sich heute im Staatlichen Russischen Militärarchiv in Moskau. Die Briefe vermitteln ein aufschlussreiches Insider-Bild über die nationalsozialistische Kulturpolitik und stellen zudem eine wichtige Quelle für die Provenienzforschung dar.“ (Hier zitiert aus:  {ln:nw:https://www.dhi-moskau.org/de/forschung/herrschaft-und-krieg/charlotte-weidlers-geheime-briefe.html})

Buchtipp:

Bernd Fechner, York-Egbert König: “Paul Westheim. Kunstkritiker – Publizist – Sammler“, 126 Seiten, Broschur, 10 Abbildungen, Jüdische Miniaturen Band 172, Verlag Hentrich & Hentrich, Berlin 2016, ISBN: 978-3-95565-095-7

Quellen:

*) Das Zitat aus Paul Westheims Roman “Heil Kadlatz! Der Lebensweg eines alten Kämpfers“ (hrsgg. und mit einem Nachwort von Christian Welzbacher, Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2015) wurde entnommen aus: {ln:nw:http://www.tagesspiegel.de/berlin/bezirke/bayerisches-viertel/paul-westheim-heil-kadlatz-wie-berlin-sich-den-barbaren-auslieferte/12198768.html})

**){ln:nw:http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/28096/} (Eine gekürzte Zusammenfassung der Redaktion aus dem Buch: „Verlorene Bilder – Verlorene Leben. Jüdische Kunstsammler und was aus ihren Kunstwerken wurde“ von Melissa Müller und Monika Tatzkow, erschienen im Elisabeth Sandmann Verlag.)

{ln:nw:https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Westheim }

{ln:nw:https://www.welt.de/welt_print/article3123231/Ich-hebe-alles-was-Dir-gehoert-sorgfaeltig-auf.html }

{ln:nw:https://www.dhi-moskau.org/de/forschung/herrschaft-und-krieg/charlotte-weidlers-geheime-briefe.html }

{ln:nw:http://www.diegeschichteberlins.de/geschichteberlins/persoenlichkeiten/persoenlichkeitenuz/368-yva.html }

{ln:nw:http://literaturkritik.de/id/20597 }

{ln:nw:http://www.hentrichhentrich.de/buch-paul-westheim.html }

Links (deutsch):

{ln:nw:https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=119291320 }

{ln:nw:http://www.deutsche-eliteakademie.de/load.php?name=News&file=article&sid=525 }

{ln:nw:http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/28096/ }

{ln:nw:http://letteraturaartistica.blogspot.fr/2016/03/paul-westheim1.html }

International:

{ln:nw:http://www.lootedart.com/PYJCS8624291 }

{ln:nw:https://dictionaryofarthistorians.org/westheimp.htm }

{ln:nw:http://thejewishmuseum.org/collection/30718-portrait-of-paul-westheim }

{ln:nw:http://letteraturaartistica.blogspot.fr/2016/03/paul-westheim1.html }

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