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Hilsenrath, Edgar

H.A.M. 0

Edgar Hilsenrath
Schriftsteller


Geb. 2.4.1926 in Leipzig


Edgar Hilsenrath”Das Gesicht des Fremden trägt meine Züge. Der Fremde ist immer anwesend, immer. Manchmal unterhalten wir uns.”

(Edgar Hilsenrath)

 

 

 

 

 

 


Wie sein Held Bronsky im Roman Fuck America. Bronskys Geständnis, wurde Edgar Hilsenrath 1926 geboren. Als das Buch 1980 erschien, wurde seine Sprache als provozierend empfunden. Alle paar Seiten war vom Ficken die Rede, vom Schwanz oder Loch. Zwar hatte die 68er-Bewegung den Muff unter den Talaren auf- und weitgehend weggewirbelt. Doch ohne die Begleitattacken aus der Kunst, zumal aus der Literatur und von Schriftstellern wie Hilsenrath, wären die verstockten bürgerlichen Verhältnisse wohl kaum so überzeugend zu knacken gewesen.

Berühmt wurde Hilsenrath mit seinem ersten Roman Nacht, nachdem dieses Buch zuvor relativ unscheinbar in einem anderen Verlag erschienen war, unbemerkt von der Presse. Die spektakulär von der Kritik aufgenommene Neuauflage sorgte für den Durchbruch. Der nächste Erfolg stellte sich mit dem satirischen „Schelmenroman“ Der Nazi und der Friseur ein.


„Ich bin Max Schulz, unehelicher, wenn auch rein arischer Sohn der Minna Schulz…“ so beginnt Hilsenraths berühmter Roman über den SS-Mann und Massenmörder, der in die Rolle seines Opfers Itzig Finkelstein schlüpft und ein angesehener Bürger und Friseursalonbesitzer in Tel Aviv wird.
Die Enstehungsgeschichte von Der Nazi und der Friseur hat der Verleger Helmut Braun – seines Zeichens auch Herausgeber der Edgar Hilsenrath Gesamtausgabe in zehn Bänden -, in seiner Hilsenrath-Biografie Ich bin nicht Ranek dokumentiert. Braun und Hilsenrath kennen sich seit fast drei Jahrzehnten: 1977 ist es der kleine Literarische Verlag Braun, der den bereits im Ausland bekannten Schriftsteller Edgar Hilsenrath auch einem deutschen Leserpublikum nahe bringt.

volume_up.gifEine Hörprobe aus der Hilsenrath-Biografie – gelesen von Helmut Braun – können Sie hier als MP3-Datei herunterladen!
© Ulrike Müller


Edgar Hilsenrath war ein Begriff, war etabliert. Ab 2004 erscheinen im Dittrich Verlag, Köln, die Gesammelten Werke Hilsenraths und damit auch der einstige Schockroman, dessen angeblich obszöne Sprache heute „wohlfeil geworden ist, wo die Inszenierung des Geschlechtsakts zum Repertoire jeden Staatstheaters zählt“ – so Thomas Rietzschel in der FAZ am 28. Mai 2004. Der einstige zeitgeistige Affront gehöre einer überlebten Epoche an.

Folgen kann man dem Kritiker, wenn er die Erzählung als stark autobiographisch gefärbt bezeichnet. Bronsky wie Hilsenrath sind nicht nur gleich alt, sondern auch Juden. Beide haben sie das Ghetto durchlebt, beide suchten sie nach dem Krieg respektive nach der Befreiung von der Nazidiktatur ihr Glück in US-Amerika.

Mit seiner Mutter flüchtete der 12jährige Hilsenrath und dem jüngeren Bruder 1938 nach Rumänien. 1941 wurde sie in das Ghetto Moghilev-Podolsk in der Ukraine verfrachtet. Er überlebte und wanderte zunächst nach Palästina aus, sechs Jahre später in die USA. Wie seine Romanfigur hält sich der spätere Erfolgsautor in New York in der Emigrantenszene auf, „in ihren billigen Cafés, in schäbigen Quartieren, irgendwo zur Untermiete.“ Und wie Bronsky schlägt sich Hilsenrath mit schlechtbezahlten Gelegenheitsjobs durch, vegetiert ohne Anschluss an eine konsum- und leistungsorientierte Gesellschaft, „fremd in einem Land, das die Schwachen abweist.“


Erst 15 Jahre nachdem er ein – rettendes – Visum beim amerikanischen Generalkonsulat in Deutschland beantragt hatte, durfte Bronskys Vater mit der Familie in die Vereinigten Staaten einreisen. Angesichts der Freiheitsstatue sagt er beim Einfahrt in den Hafen von New York „Fuck America!“. Der Ich-Erzähler des Romans ist um seinen Lebensmut gebracht, nur Huren, die er sich nicht leisten kann, sind ihm geblieben, denn keine Frau kann den innerlich Vereinsamten lieben. Dagegen schreibt er an. Sein Roman Der Wichser soll ihn aus dem Dreck ziehen, nicht nur finanziell, sondern auch, um genesen zu können.

24 Jahre lang hielt es Hilsenrath in den Vereinigten Staaten aus. 1975 kehrte er nach Deutschland zurück, wo er in Berlin lebt.


In seinem Ende der 1980er Jahre entstandenen Roman Das Märchen vom letzten Gedanken thematisiert Hilsenrath den Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges. „Wenn es so etwas gibt wie eine Kultur des Erinnerns, dann gehört das Bewusstmachen dieses ersten Vernichtungszuges des 20. Jahrhunderts ganz an den Anfang eines solchen Erinnerns. Edgar Hilsenraths 1989 erstmals erschienener Roman ‚Das Märchen vom letzten Gedanken‘ ist eines der herausragenden Beispiele auf diesem Weg des Erinnerns.“
(Quelle: Gregor Ziolkowski im Deutschlandradio Kultur, http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kritik/376145)


Der Verfasser dieser Biographie erinnert sich gern daran, wie er anlässlich eines Rundfunkinterviews mit Hilsenrath im WDR-Studio Wuppertal erst diskutierte und dann Tischtennis spielte, vor und nach dem Livegespräch: Unkonventionell, liebenswürdig, keine Spur von Überheblichkeit, leise Töne, humorvoll. Nach dem Interview meldeten sich Hörer per Telefon oder Brief, um ihre Sympathie mit dem Autor zu bekunden oder Schulaufsätze und Diplomarbeiten über Hilsenrath zu schreiben – eine selten erlebte Reaktion.


2007 erscheint Edgar Hilsenraths – 1983 erstmals publizierte – Sammlung satirischer Texte unter dem Titel Zibulsky oder Antenne im Bauch im Rahmen einer 10-bändigen Werkausgabe beim Berliner Dittrich-Verlag:

Edgar Hilsenrath: Zibulsky oder die Antenne im Bauch, Satiren, Gesammelte Werke, Band 5. Herausgegeben von Helmut Braun, Dittrich Verlag, Berlin 2007,
ISBN-10: 393771703X,
ISBN-13: 978-3937717036

Eine Hörprobe, gelesen vom Autor, können Sie hier als MP3-Datei herunterladen
© Ulrike Müller


Dass Hilsenrath mit Preisen geehrte wurde, die die Namen von Gegnern und Opfern der Nationalsozialisten tragen wie den von Alfred Döblin, Heinz Galinski, Hans Erich Nossak, Jacob Wassermann, Hans Sahl und Lion Feuchtwanger ehrt den einen wie die anderen.
Hilsenrath ist Mitglied der Else Lasker-Schüler– Gesellschaft, Wuppertal, Hans Sahl ist ihr erstes Ehrenmitglied.


Autor:

Hajo Jahn


Bibliografie:

Nacht. Roman. Kindler Verlag, München, 1964. Literarischer Verlag Braun, Köln 1978. Piper Verlag, München 1990.

Der Nazi & der Friseur. Roman. Literarischer Verlag Braun,
Köln 1977. Piper Verlag, München 1990.

Gib acht, Genosse Mandelbaum. Roman. Langen Müller-
Verlag, München/Wien 1979.unter dem Titel:
Moskauer Orgasmus. Piper Verlag, München, 1992.

Bronskys Geständnis. Roman.Langen Müller-
Verlag, München/Wien 1980.Piper Verlag, München 1990.

Zibulsky oder Antenne im Bauch. Classen Verlag,
Düsseldorf 1983. Piper Verlag, München 1994.

Das Märchen vom letzten Gedanken. Roman.
Piper Verlag, München 1989.

Die Abenteuer des Ruben Jablonsky. Roman.
Piper Verlag, München 1997.

Jossel Wassermanns Heimkehr. Roman. Piper Verlag,
München 1993, 1995 sowie: Dittrich Verlag, Köln 2004.
300 Seiten, ISBN 3920862570

Ebenfalls im Dittrich-Verlag, Köln (inzwischen Berlin), ist die 10bändige Edgar-Hilsenrath-Werkausgabe erschienen. Weitere Informationen
unter: http://www.dittrich-verlag.de


Links (deutsch):

http://www.adk.de/premi/2004/04-03-29.html

http://www.hagalil.com/archiv/2004/11/hilsenrath.htm

http://www.jungewelt.de/2004/10-09/031.php

http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=7106&ausgabe=200406

http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=7113&ausgabe=200406

http://www.fh-fulda.de/hilsenrath

http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2003/1016/autostrae/0031

http://www.adk.de/premi/2004/04-03-29.html

http://www.lyrikwelt.de/rezensionen/fuckamerica-r.htm

http://www.grin.com/de/preview/22881.html

http://www.fh-fulda.de/hilsenrath/zibuls.php


International:

http://www.acam-france.org/bibliographie/auteur.php?cle=hilsenrath-edgar


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