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Koch-Weser, Erich Friedrich Ludwig

H.A.M. 0

Erich Friedrich Ludwig Koch-Weser

Jurist und Politiker

Geb. 26.02. 1875 in Bremerhaven

Gest. 19. (oder 20.) 10. 1944 in Rolândia (Bundesstaat Paraná)/ Brasilien

 

Der Oberlehrer-Sohn besucht von 1884 bis 1893 das Gymnasium in Oldenburg und studiert nach dem Abitur von 1893 bis 1897 Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft an der Universität im Schweizerischen Lausanne sowie  in Bonn,  München und Berlin. Nach Absolvierung des Wehrdienstes als Einjährig Freiwilliger ist der promovierte Jurist von 1898 bis 1902 als Referendar und Assessor in Oldenburg tätig.

 

Neben seiner Tätigkeit als Anwalt ist Koch-Weser auch auf dem politischen Parkett äußerst aktiv:  Von 1901 bis 1909 gehört der Bürgermeister von Delmenhorst dem Oldenburgischen Landtag an, von 1909 bis 1913 der Bremischen Bürgerschaft (ab 2. April 1909 ist er Stadtdirektor in Bremerhaven), ist von 1913 bis 1918 Mitglied des Preußischen Herrenhauses und bis 1919 Oberbürgermeister von Kassel. Ab 1919 sitzt er für die DDP in der Weimarer Nationalversammlung und wirkt an der Vorbereitung des Verfassungsentwurfes mit. 1920 entsendet ihn der Wahlkreis Weser-Ems in den Reichstag, dem er bis Oktober 1930 angehört, davon in den Jahren 1924 bis 1928 als Vorsitzender der DDP-Fraktion. Koch-Weser amtiert vom 3. Oktober 1919 bis zum 4. Mai 1921 als Reichsinnenminister im Kabinett Bauer, im Kabinett Müller I (hier zudem als Vizekanzler) und im Kabinett Fehrenbach. Von Juni 1928 bis zum 13. April 1929 ist er Reichsjustizminister im Kabinett Müller II. Bei der anschließenden Regierungsumbildung verliert er sein Ministeramt an Theodor von Guérard vom Zentrum, da die DDP bei der Reichstagswahl 1928 nur noch 4,9 % der Stimmen erreichen kann.

 

Auch und vor allem dies muss ihn vermutlich besonders geschmerzt haben, gehört Koch-Weser doch 1918 zu den Mitbegründern der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP). Im Juli 1930 führt er – übrigens ohne Wissen der DDP-Reichstagsfraktion – Fusionsverhandlungen mit dem nicht unumstrittenen Jungdeutschen Orden (einer sich überwiegend aus dem Mittelstand rekrutierenden Organisation, die antibolschewistisch, antisemitisch und elitär, allerdings nicht monarchistisch ist, für die Versöhnung mit Frankreich eintritt und sich gegen reaktionäre und nationalistische Tendenzen stellt). Aus der Fusion des Ordens mit der DDP entsteht die Deutsche Staatspartei, wobei daraufhin fast der gesamte linke Flügel aus der DDP austritt und die (unbedeutend bleibende) Radikaldemokratische Partei gründet. Angesichts der fehlenden innerparteilichen Unterstützung für sein Vorgehen tritt auch Koch-Weser (der dem – überwiegend von Sozialdemokraten dominierten – Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold angehört) im Oktober 1930 vom Parteivorsitz und allen anderen politischen Ämtern zurück.

 

Ab 1930 arbeitet Koch-Weser wieder als Rechtsanwalt in Berlin, zum Schluss in Kanzlei-Gemeinschaft mit seinem Sohn Reimer. Im April 1933 – kaum ein Vierteljahr nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten –  erhält der Jurist mit jüdischen Wurzeln mütterlicherseits Vertretungsverbot für seine Anwaltspraxis und sein Buch “Und dennoch aufwärts. Eine deutsche Nachkriegsbilanz“, in dem er sich kritisch mit dem Einfluss der Parteien in der Weimarer Republik auseinandersetzt, gehört zu denen, die bei den reichsweiten Bücherverbrennungen im Mai 1933 auf die Scheiterhaufen geworden werden (ebenso wie die Literatur von {ln:Mann, Heinrich ‚Heinrich Mann}, {ln:Kästner, Erich ‚Erich Kästner}, {ln:Freud, Sigmund ‚Sigmund Freud}, {ln:Remarque, Erich Maria ‚Erich Maria Remarque}, {ln:Kerr, Alfred, ‚Alfred Kerr} und {ln:Tucholsky Kurt ‚Kurt Tucholsky}).

 

Gemeinsam mit Ehefrau Irma und den vier Söhnen emigriert er Ende 1933 von Bremerhaven aus per Schiff nach Brasilien (wo u.a. auch der vor den Nazis geflüchtete {ln:Zweig, Stefan ‚Stefan Zweig} Zuflucht gefunden hat)  und erwirbt eine 100 Hektar große Kaffeeplantage in der Provinz Nordparaná im Bundesstaat Paraná nahe der von seinem Freund Oswald Nixdorf mitbegründeten Stadt Rolândia (eine Hommage an die Roland-Statue in Bremen), wo an die 400 deutsche Familien wohnen. Sein dort später zur Welt gekommener Enkel Caio Koch-Weser, seines Zeichens Wirtschaftsexperte, Mitglied im Vorstand der Weltbank und Finanzstaatssekretär in der rot-grünen Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder, erinnert sich in einem Interview an seine Kindheit im brasilianischen Urwald: “Es gab kein Telefon, keine Elektrizität, keine Autos, nur Pferdewagen. Ich bin selbst noch auf einem Pferd in die Schule geritten. Man lebte in weit verstreuten Farmen, sah sich auch gar nicht so oft, denn dazu musste man durch den Urwald reiten. Man muss sich das sehr einfach vorstellen, nicht arm, aber ärmlich, auch in gewisser Weise sehr inspirierend. Es waren an diesem Ort nun hunderte von Familien zusammengekommen, von denen viele aus der Intelligenzia Deutschlands stammten. Der jüdische Professor aus Berlin, die Pianistin aus Düsseldorf, ein Rechtsanwalt aus Frankfurt, unter anderem auch der frühere katholische Zentrumspolitiker Johannes Schauff, der später auch für den Vatikan gearbeitet hat. Auf der anderen Seite gab es die Handwerker, die wirklich wussten, wie man Häuser baut, und Malermeister und Ärzte und natürlich auch Landwirte und Bauern. Diese sehr gesunde soziale Struktur war nach meiner Meinung das Einzigartige an Rolândia.“ (Hier zitiert aus: Katharina Lübke und Stephan Kosch “Durch den Urwald zur Schule geritten“ (20. 02. 2014) in: Zeitzeichen – Evangelische Kommentare zu Religion und Gesellschaft/ {ln:nw:http://zeitzeichen.net/interview/interview-mit-caio-koch-weser/})

 

Caio Koch-Wesers Großvater, seines Zeichens Jurist, links-liberaler Politiker,  in der Weimarer Republik Innen- und Justizminister der Deutschen Demokratischen Partei und spätere Berater der brasilianischen Regierung, stirbt im Exil auf seiner Urwald-Fazenda Janeta im Alter von 69 Jahren und wird auf dem  örtlichen São-Rafael-Friedhof zur letzten Ruhe gebettet.

 

Quellen:

{ln:nw:https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Koch-Weser }

{ln:nw:http://zeitzeichen.net/interview/interview-mit-caio-koch-weser/ }

{ln:nw:http://www.welt.de/politik/ausland/article112684418/Bremer-Freiheit-mitten-in-Brasiliens-Dschungel.html }

{ln:nw:http://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/011/adr/adrhl/kap1_4/para2_186.html }

 

Links (deutsch):

{ln:nw:http://verbrannte-und-verbannte.de/person/gnd/118724126 }

{ln:nw:https://www.deutsche-biographie.de/sfz43585.html }

{ln:nw:https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=118724126 }

{ln:nw:http://www.reichstag-abgeordnetendatenbank.de/selectmaske.html?pnd=118724126&recherche=ja }

{ln:nw:http://www.nachlassdatenbank.de/viewsingle.php?person_id=7437&asset_id=8113 }

{ln:nw:http://www.yadvashem.org/yv/de/education/newsletter/07/article_wein.asp }

{ln:nw:http://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783845225876-181/der-mann-von-ansehen-erich-koch-weser-die-deutschen-blaetter-und-udo-rukser-1943-44-eine-dokumentation-des-briefwechsels-mit-dem-herausgeber-der-revista-anti-nazi-in-santiago-de-chile }

{ln:nw:http://www.taz.de/!5146004/ }

{ln:nw:http://www.radiobremen.de/nordwestradio/sendungen/feature/rolandia106.html }

{ln:nw:http://brasil-alemanha.com/kapitel/20jh/Ich-suchte-eine-Zuflucht-und-ich-fand-eine-Heimat.php }

{ln:nw:http://dah-bremerhaven.de/ENG/programm.php }

 

International:

{ln:nw:https://en.wikipedia.org/wiki/Erich_Koch-Weser }

{ln:nw:http://www.rolandia.pr.gov.br/ }

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