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Freundlich, Otto

H.A.M. 0

Otto Freundlich
Maler, Grafiker, Bildhauer und Philosoph


Geb. 10.7. 1878 Stolp in Stolp (Pommern)
Gest. 9.3.1943 im KZ Sobibor/ Polen


„Verlassen wir die Kausalität der Grenzen, es gibt eine Kausalität der Grenzenlosigkeit“

(Otto Freundlich)


Otto Freundlich, einer der frühesten Vertreter der abstrakten Kunst, studiert zunächst in München und Berlin Zahnmedizin und Kunstgeschichte und fasst erst dann den Entschluss, bildender Künstler zu werden. 1907/08 geht er zu Studien nach Berlin, unternimmt 1908 eine erste Reise nach Paris und findet dort Anschluss an die avantgardistischen Künstlerkreise auf dem Montmartre. Seiner später in München eröffneten eigenen Malschule ist allerdings nur wenig Erfolg beschieden.


Ab 1910 hält sich Otto Freundlich für vier Jahre überwiegend in Paris auf und bezieht 1914, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges, ein Atelier im Nordturm der reich mit mittelalterlichen Glasfenstern ausgestatteten Kathedrale von Chartres. Ein Schlüsselerlebnis, das den Künstler für sein späteres Leben tief prägen wird: „Ich war circa fünf Monate der Welt Chartres verfallen und bin für mein Leben lang gezeichnet daraus hervorgegangen.“


Otto Freundlich beteiligt sich an Ausstellungen der Neuen Sezession in Berlin, der Kölner Sonderbund-Ausstellung 1912 sowie im darauffolgenden Jahr am Ersten Deutschen Herbstsalon. Von 1914 bis 1924 lebt er in Köln und Berlin. Im September 1918 erscheint in der expressionistischen Zeitschrift Die Aktion ein Sonderheft mit den Arbeiten Freundlichs. Kurz darauf tritt er der in Berlin gegründeten November-Gruppe bei und organisiert 1919 – gemeinsam mit Johannes Theodor Baargeld und Max Ernst – die erste Kölner Dada-Ausstellung.


1925 kehrt der Maler in die französische Hauptstadt zurück und schließt sich der Künstlervereinigung Abstraction-Création, die er jedoch 1934 wieder verlässt. Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1933 zerstört Freundlichs enge Kontakte zu den deutschen Kunstkreisen. Seine Werke werden aus deutschen Museen entfernt – seine monumentale Plastik Der neue Mensch aus dem Jahr 1912 wählen die Nazis als Titelmotiv des Ausstellungskatalogs Entartete Kunst.


Saint-Paul de Fenouillet (ab Juni 1940) Nach Kriegsausbruch wird Otto Freundlich in diversen französischen Lagern interniert.Nach seiner Freilassung im Mai 1942 flüchtet er im Juni in das kleine Pyrenäen-Städtchen Saint-Paul de Fenouillet, wo er mit der Abfassung des Textes Ideen und Bilder beginnt.


„Er hatte sich gerade im Hotel Galamus „eingerichtet“. Eine weitere Hoffnung auf Ruhe, ein weiterer Ort der Ungewißheit…Eine „vorläufige Bleibe“, wie man sagt…Wie gewöhnlich war seine finanzielle Lage katastrophal. Wie hatte er es überhaupt geschafft, das nötige Geld für die Reise nach Saint-Paul, ein bescheidenes Hotelzimmer und den Aufenthalt zu organisieren? Vielleicht war es seinem Freund, dem Dichter Max Jacob, der selbst nicht gerade reich war, gelungen, ihm vom Kloster in Saint-Benoît-sur-Loire aus, von wo er ihm am 11. Oktober 1939 geschrieben hatte, eine kleine Anweisung zu senden.

Wahrscheinlicher ist, daß die treue Hedwig Muschg, die er 1927 in Paris kennengelernt hatte, erneut ein oder zwei seiner Bilder für ihn verkaufen konnte oder selbst gekauft hatte. Die wunderbare Hedwih hatte ihm bis zum Schluß geholfen. Manchmal schickte die bescheidene Volksschullehrerin ihm die Hälfte ihres Lohns…“ (1) 


Freundlichs letztes Versteck in Saint-Martin de Fenouillet„Es ist ein schönes Dorf in den Hügeln mit vielen Weinbergen…Ich habe hier viel gezeichnet und drei Federzeichnungen gemacht, 15×20 cm oder etwas größer, die der Anfang einer Zehner-Reihe werden sollen. Ich habe die Absicht, ein Album mit 10 Radierungen zu veröffentlichen. Die Radierungen werde ich später nach den Zeichnungen machen. (…)

Gesundheitlich geht es mir ziemlich gut, doch habe ich sehr abgenommen und es ist wünschenswert, daß diese entbehrungsreichen Tage bald zu Ende gehen…“ (2)

[Saint-Paul de Fenouillet, 10.07.1940, Hôtel Galamus]


Später werden Otto Freundlich und seine mittlerweile wieder mit ihm vereinte Lebensgefährtin Jeanne von einer Bauernfamilie im benachbarten Saint-Martin de Fenouillet versteckt.

Nach einer Denunzierung wird er am 23. Februar 1943 verhaftet, im Lager Degostinet in der Nähe von Paris Otto Freundlichinterniert und von dort am 4. März unter der Nummer 197 in ein polnisches Vernichtungslager deportiert.


Otto Freundlichs bereits Ende der zwanziger Jahre formulierte Idee einer völkerverbindenden Straße der Brüderlichkeit und menschlichen Solidarität („une voie de la fraternité et solidarité humaine“) von Paris nach Moskau gerät über viele Jahrzehnte hinweg in Vergessenheit und wird erst in den 70er Jahren auf Initiative des Internationalen Steinbildhauer-Symposiums durch den Bildhauer Leo Kornbrust wieder aufgenommen. Auf der 1979 im saarländischen St. Wendel eröffneten – und dem Ur-Europäer Freundlich gewidmeten – nahezu 25 Kilometer langen Straße der Skulpturen präsentieren, dem Saarland-Rundwanderweg folgend, 48 international bekannte Künstler aus 11 Ländern über 50 Werke und tragen mit diesem Freilichtmuseum der zeitgenössischen Kunst den humanistischen Gedanken des von den Nazis ermordeten jüdischen Bildhauers weiter.

 

 


Quelle:

Die Zitate wurden dem folgenden Buch entnommen:

(1) Joël Mettay: Die verlorene Spur. Auf der Suche nach Otto Freundlich, Wallstein-Verlag, Göttingen 2005, ISBN 3-89244–970-8, S. 17

(2) ders., a.a.O., S. 19/ 20


Literatur: 

Rena Karaoulis: Die Straße der Skulpturen. Vom Bildhauersymposion St. Wendel zur Straße des Friedens in Europa. Herausgeber: Jo Enzweiler. Verlag St. Johann GmbH, Saarbrücken 2004, ISBN: 3-928 596-85-3

Otto Freundlich – Ein Wegbereiter der abstrakten Kunst (Ausst.-Kat.) Museum Ostdeutsche Galerie Regensburg und Kulturgeschichtliches Museum Osnabrück 1994/95

Otto Freundlich et ses amis (Ausst.-Kat.), Musée de Pontoise 1993

Emilienne Eychenne: Les portes de la liberté. Le franchissement clandestin de la frontière espagnole dans les Pyrénées-Orientales de 1939 à 1945, éditions Privat, Toulouse 1985 (vergriffen)

dies.: Les pyrénées de la liberté. Les évasions par l’Espagne 1939-1945 (Ed.France-Empire Paris 1983)

Uli Bohnen (Hrsg.): Otto Freundlich – Schriften. Ein Wegbereiter der gegenstandslosen Kunst, Köln 1982

Emilienne Eychenne: Montagnes de la peur et de l’espérance.Le franchissement de la frontière espagnole pendant la second guerre mondiale dans le départment des Hautes-Pyrénées (Ed.Privat Toulouse 1980)


Links (deutsch):

http://www.kettererkunst.de/kunst/kd/bio/OttoFreundlich-1878-1943.php

http://kunstaspekte.de/index.php?action=webpages&k=1296

http://www.bi-info.de/bielefeld/freizeit/skulptur/komposition.htm

http://www.sopos.org/aufsaetze/40f15f00c2e06/1.phtml

http://www.muenster.de/stadt/skulpturen/aufstieg.html

http://www.unipublic.unizh.ch/campus/uni-news/2002/0649

http://www.oberthal.de/Downloads/Skulpturenstrasse2.pdf

http://134.96.77.181/labor/dat_all/home_red/if_akt_weit.asp?ID=79

http://www.touristinfo-saar.de/index/70060101020901


International:

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