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Hauser, Heinrich

H.A.M. 0

Heinrich Hauser
Schriftsteller, Fotograf

Geb. am 27. August 1901 in Berlin
Gest. am 25. März 1955 in Dißen


In einem Nobelauto mit vielen Pferdestärken unter der Haube fährt ein junger Mann durch den Kohlenpott. Er ist 27, fotografiert leidenschaftlich. Sein langgestrecktes, elegantes Cabriolet ist ein NAG CF4b. Kühl und abstrakt ist die Typenbezeichnung. Die Abkürzung, die heute kaum noch jemand kennt, steht für „Nationale Automobil AG“. Ein solches Auto hat 1921 und 1922 das berühmte Autorennen auf der Avus in Berlin gewonnen, zwei Jahre später den Grand Prix für Tourenwagen in Monza.  


Hauser, Heinrich„Monza“, das wurde der volkstümliche Name des CF4b. Monza kennen die Liebhaber des Automobilsport noch immer. Das Auto geriet in Vergessenheit. Ebenfalls jener Mann, der jetzt mit der Wiederauflage seines Fotobuchs aus dem Kohlenpott wie Phönix aus der Asche kommt: Heinrich Hauser.


Am 26. September 2010 wurde im Ruhr Museum auf der Zeche Zollverein in Essen  die Ausstellung „Schwarzes Revier“ mit Fotografien von Heinrich Hauser aus dem Jahr 1928 eröffnet – als Ergänzung zu der Fotografie-Ausstellung über den Strukturwandel im Ruhrgebiet mit dem Titel „Alles wieder anders“. Aus diesem Anlass hat der Weidle Verlag in Bonn die große, 1930 bei S. Fischer in Berlin erschienene Kohlenpott-Reportage verdienstvollerweise neu aufgelegt. Sie war seit langem vergriffen und nur noch antiquarisch zu Preisen von 200 € und mehr zu haben.


In diesem auch literarisch faszinierenden Buch, das hiermit zur Beachtung empfohlen ist, hat der Journalist Andreas Rossmann ein lesenswertes Nachwort geschrieben. In der FAZ heißt es in einer Rezension von Rossmann: „Wer Heinrich Hauser durch >Schwarzes Revier> folgt, ergreift eine Mitfahrgelegenheit, die schnelle Kontraste, Unterschiede, Differenzen erleben lässt: Innerhalb des Buches wie auch im Vergleich zur Gegenwart tun sie sich auf. Der Autor lässt im offenen NAG C4b auf dem Beifahrersitz Platz nehmen, Sicherheitsgurte gibt es noch nicht. Was er den Leser und wie er ihn dabei sehen lässt – das hat Heinrich Hauser seitdem, mehr als achtzig Jahre ist es her, keiner nachgemacht.“


Hauser, HeinrichHeinrich Hauser war in den 20er Jahren Mitarbeiter der „Frankfurter Zeitung“. Er gilt als exemplarischer Vertreter der Neuen Sachlichkeit“. Brillant war sein Stil, die Inhalte sind zeitlos, wenn man seine Reportagen über Berlin oder Arbeitslose heute liest. Hauser verfasste  Romane und Reisebücher, aber auch Firmen-PR. 1928 erhielt er den Gerhart Hauptmann-Preis für seinen Roman „Brackwasser“. 
Heinrich Hauser war rastlos und mit Talenten reich ausgestattet. Er übersetzte u.a. Liam O’Flaherty und drehte Dokumentarfilme. Für seinen 1931 entstandenen Film „Weltstadt in Flegeljahren“, einem Bericht über Chikago, stand er an der Kamera und führte zugleich Regie. Er war ein Womanizer, soll sich aber angeblich auch zu Männern hingezogen gefühlt haben. Er versuchte den Spagat zwischen Künstlerboheme und dem Leben als Industriearbeiter oder Farmer im „Wilden Westen“ Amerikas. War Schmuggler und Koch, Schwimmlehrer und Schafscherer in Australien, Polizist auf den Philippinen und immer ein Getriebener seiner selbst.
Dieser Hans Dampf war kein Angepasster wie die meisten Deutschen. Er dürfte der erste Reporter gewesen sein, der sich 1934  im (selbstgebastelten) Wohnwagen aufmachte, um darüber zu schreiben, festgehalten in „Fahrten und Abenteuer im Wohnwagen“, 2005 neu aufgelegt bei Dolde Medien, einer frühen Art der Road Novel. In einer Rezension schreibt Jan Brandt in der Online-Ausgabe der FAZ unter der Überschrift: Fünf Ehen, viele Berufe und ein rastloser Bericht“:


Heinrich Hauser, dieser literarisch und politisch schwer einzuordnende Autor, bei dem Wahn und Wirklichkeit, Dokumentation und Fiktion, Leben und Werk kaum zu trennen sind, „erneuerte die deutsche Sprache“, wie der dänische Literaturnobelpreisträger Johannes Vilhelm Jensen meinte, und spaltete die Geister. Seine zum Scheitern verurteilten, hochgradig traumatisierten Helden schwärmten zwar für Maschinen, mutierten jedoch im Gegensatz zu den Idealtypen Ernst Jüngers nie zu „Stahlgestalten“, die noch „im Wirbel der Vernichtung mit sicherer Hand eine schwierige Ladehemmung beseitigen“. Und obwohl Hauser sich in seiner 1934 erschienenen Autobiographie „Kampf – Geschichte einer Jugend“ begeistert zur „nationalen Revolution“ bekannte und eine ideologische Nähe zum Nationalsozialismus erkennen ließ, obwohl er dem Bericht seiner Pilotenausbildung „Ein Mann lernt fliegen“ die Widmung „Hermann Göring, dem ersten deutschen Luftfahrtminister, Sieg Heil!“ voranstellte und daraufhin aus dem S.-Fischer-Verlag ausgeschlossen wurde, obwohl er diese Reise im Wohnwagen unternahm und dabei die „Straßen des Führers“ lobte, verkündete er keine Metaphysik von Blut und Boden.


1938 musste Hauser, der jüdischen Frauen zur Flucht aus dem NS-Staat verholfen hat, selbst fliehen. Er emigrierte  in die USA, wo er als erfolgloser Farmer Kurzgeschichten schrieb, und unter seinem richtigen Namen „Battle against Time“  – eine Abrechnung mit Nazideutschland – und mit „The German Talks Back“ seine Abrechnung mit den Vereinigten Staaten.


Henry Nannen holte den Exilanten 1949 in die Bundesrepublik zurück und machte ihn für wenige Monate zum Chefredakteur des „Stern“. Heinrich Hauser starb am 25. März 1955. 46 Jahre später publizierte der Weidle-Verlag verdienstvollerweise Hauses spannenden Irland-Roman „Donner überm Meer“. Und es ist jetzt wieder Stefan Weidle, der die Photoreportage neu verlegt.


Autor:

Hajo Jahn


Werke:
•    Das zwanzigste Jahr (1925) – sein Romanerstling
•    Brackwasser (1928)
•    Schwarzes Revier (1930; Reprint 2001; Neudruck Weidle-Verlag 2010) – eine Ruhrgebietsreportage
•    Die letzten Segelschiffe (1930) – Reisebericht über eine Fahrt auf dem Segelschiff Pamir
•    Donner überm Meer (1931) – Reportage
•    Feldwege nach Chicago (1932) – Bericht über eine USA-Reise
•    Noch nicht (1932) – Roman
•    Ein Mann lernt fliegen (1933) – über den Erwerb des Flugscheins
•    Kampf – Geschichte einer Jugend (1934) – Autobiografie
•    Fahrten und Abenteuer im Wohnwagen (1935; Reprint 2004) – Reisebericht
•    Am Laufenden Band (1936) – Reportage über die Automobilfertigung bei Opel (1. Teil der Opel-Reihe)
•    Die Flucht des Ingenieurs (1937) – Novelle
•    Notre Dame von den Wogen (1937) – Roman
•    Opel, ein deutsches Tor zur Welt (1937) – Festschrift zum 100. Geburtstag von Adam Opel und zum 75-jährigen Bestehen des Opel-Werks (2. Teil der Opel-Reihe)
•    Südeuropa ist erwacht (1938) – Reisebericht
•    Australien (1939) – Reisebericht
•    Im Kraftfeld von Rüsselsheim (1940) – Bericht über die deutsche Automobil-Zulieferindustrie (3. Teil der Opel-Reihe)
•    Kanada (1940) – Reisebericht mit zahlreichen Photos
•    The German Talks Back (New York 1945, Henry Holt) – (Vorwort Hans Morgenthau)
•    Meine Farm am Mississippi (1950)
•    Bevor dies Stahlherz schlägt (1951) – Bericht über den Motorenbau bei Opel
•    Dein Haus hat Räder (1952) – Bericht über den Karosseriebau bei Opel
•    Unser Schicksal – Die deutsche Industrie (1952) – Bericht über die dt. Industrie in der Nachkriegszeit
•    Gigant Hirn (1958) – Science-Fiction-Roman
•    Ruhrgebiet 1928. Photographien von Heinrich Hauser (2010) – ein Wochenkalender für 2011
•    Schwarzes Revier – eine Photoreportage, Weidle Verlag

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