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Akhanlı, Doğan

H.A.M. 0
Doğan Akhanlı
Schriftsteller

Geb. 1957 in Şavşat, Artvin/ Türkei

Der Wunsch, zu schreiben, wird schon in seiner Kindheit geweckt, als die Mutter ihm und seinen vier Geschwistern Weltklassiker wie Thomas Mann und Fjodor Dostojewski vorliest. Mit 18 Jahren kauft Dogan Akhanli an einem Kiosk eine linke Zeitung – wird daraufhin von der Polizei verprügelt und sitzt fünf Monate in einem Istanbuler Untersuchungsgefängnis. Vor Gericht wird er zwar freigesprochen – Akhanlis Glaube an den türkischen Staat ist allerdings seither grundlegend erschüttert. Der Lehrersohn studiert Geschichte und Pädagogik an der Universität von Trabzon, schließt sich der linken Gruppe Halkin Kurtulusu (dt.: Befreiung des Volkes) an und geht mit der Machtübernahme der Militärs im Herbst 1980 direkt in den politischen Untergrund. Von hier aus organisiert er über Jahre hinweg Demonstrationen und druckt Flugblätter und Zeitungen, von denen der überwiegende Teil, dank eines hervorragenden Netzwerkes, im Ausland vorbereitet wird. Am 18. Mai 1985 wird Dogan Akhanli dann verhaftet, gemeinsam mit seiner Frau Ayse und dem 16 Monate alten Sohn. Im Beisein ihres Kindes werden die Eheleute zehn Tage verhört und gefoltert. Zweieinhalb Jahre sitzenden die Akhanlis getrennt in Haft, werden im September 1987 schließlich entlassen und leben anschließend zurückgezogen zuerst in Antalya, dann in Izmir, später in Istanbul. Der vormalige Linksaktivist hat sich mittlerweile von der Revolutionären Kommunistischen Partei getrennt, sie ist ihm zu orthodox und undemokratisch.

Dogan Akhanli, inzwischen auch Vater einer Tochter, führt in dieser Zeit ein einfaches Leben als Fischer und Instrumenten-Bauer. Als er und seine Frau ihre Berufungsprozesse verlieren, droht ihnen akute Lebensgefahr und sie gehen erneut in den Untergrund. Mit Hilfe eines bereits im bundesdeutschen Exil lebenden Freundes gelingt schließlich die Flucht aus der Türkei. In Köln lebt Akhanzi zunächst sehr zurückgezogen, nimmt aber dann das Schreiben wieder auf und veröffentlicht 1988/89 seine Romantrilogie Kayip Denizler (dt.: Die verschwundenen Meere) bei einem Istanbuler Verlag.

In seiner Exilheimat Köln engagiert sich der seit 2001 deutsche Staatsbürger Akhanli im türkischen Menschenrechtsverein Tüday und beim Kölner Appell gegen Rassismus, was ihm regelmässig Angriffe von seiten der organisierten Rechten einbringt. Besonders seine Anmerkungen zum Thema Armenien sind immer auch ein deutlicher Fingerzeig auf die historischen Verbindungen zwischen türkischer und deutscher Vernichtungspolitik im Ersten und Zweiten Weltkrieg, und bei seinen Führungen in türkischer Sprache durch die Gedenkstätte im Kölner ELDE-Haus, der ehemaligen Gestapo-Zentrale, schärft der Schriftsteller vor allem den Blick auf diese historischen Zusammenhänge. Und darüber schreibt Akhanli auch, wie in seinem vierten Buch, dem 2005 in der Türkei erschienenen Roman Madonna´nin Son Hayali (Der letzte Traum der Madonna). Thema ist die Tragödie der Struma, ein unter panamaischer Flagge segelndes bulgarisches Schiff, das im Dezember 1941 über 700 jüdische Flüchtlinge ins damals unter britischer Verwaltung stehende Palästina bringen soll. Beim Torpedo-Angriff eines gegen den Schiffsverkehr der Achsenmächte im Schwarzen Meer eingesetzten sowjetischen U-Bootes kommen am 24. Februar 1942 fast alle Passagiere ums Leben.

Mit seinem 2007 erstmals auf deutsch veröffentlichten Roman Die Richter des Jüngsten Gerichts (türk.: Kiyamet Günü Yargiclari) legt Dogan Akhanli eine Geschichte über den Völkermord an den Armeniern während der Jahre 1915/16 vor – und baut damit nicht nur eine literarische Brücke zu den Schriften von Franz Werfel , Armin T. Wegner und Edgar Hilsenrath , sondern auch und vor allem eine eindrückliche Geschichts-Brücke zwischen seiner Geburtsheimat Türkei und  seiner Exil-Heimat Deutschland, denn, so Akhanli „Ich wollte mit diesem Buch eine Verbindung herstellen zwischen den Verschwundenen von vor fast 100 Jahren und denen in meiner Zeit… Ich hatte selbst Gewalt erfahren und fragte mich wieso, wie konnte das passieren. Und irgendwann entdeckte ich, dass ich nicht das einzige Opfer gewesen bin.“ (zitiert nach: Susanne Gannott: „Ein Dutzend Romane“, in Freitag 33, v. 17.8.2007). Von offizieller türkischer Seite wird Dogan Akhanlis Buch bis dato totgeschwiegen – was ihn allerdings auch bislang davor bewahrt hat, nach Paragraf 301 des türkischen Strafrechts wegen „Beleidigung des Türkentums“ angeklagt zu werden – so wie es der Schriftstellerkollegin Elif Safak, dem später ermordeten Journalisten Hrant Dink oder Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk widerfahren ist.   


Am 26. August 2010 wird bekannt, dass Doğan Akhanlı bereits am 10. August 2010, bei seiner Einreise in die Türkei, verhaftet worden und seitdem unter zweifelhaften Anschuldigungen inhaftiert ist. Zahlreiche Intellektuelle, Einzelpersonen und Organisationen weltweit protestieren daraufhin gegen diesen willkürlichen Akt, darunter auch die Wuppertaler Armin T. Wegner-Gesellschaft mit einem offenen Brief (http://www.armin-t-wegner.de/pdf_dateien/Freilassung_Dogan_Akhanli.pdf ). Am 8. Dezember wird der Schriftsteller überraschend aus der Untersuchungshaft entlassen und kehrt im Januar 2011 nach Köln zurück, wo er auf die Fortsetzung seines Prozesses in der Türkei wartet.

Literatur:
Dogan Akhanli: Die Richter des Jüngsten Gerichts. Roman. Aus dem Türkischen übersetzt von Hülya Engin. Mit einem Vorwort von Edgar Hilsenrath und einer Einführung von Tessa Hofmann. Kitab-Verlag, Klagenfurt 2007

Quelle:
Susanne Gannott „Ein Dutzend Romane“ , in: Freitag 33 v. 17.8. 2007

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