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Dessau, Paul

H.A.M. 0

Paul Dessau
Komponist (D)

Geb. 19. Dezember 1894 in Hamburg
Gest. 28. Juni 1979 in Königs Wusterhausen.


Paul Dessau kommt kurz vor der Wende zum 20. Jahrhundert in Hamburg zu Welt. Vater Sally Dessau besitzt einen Tabakladen am Hafen. Paul wächst mit Schuberts Liedern und Wagners Arien auf, lernt mit sechs Jahren Geige spielen und tritt als Elfjähriger in Altona erstmals öffentlich auf. Die Begabung liegt in der Familie: Onkel Bernhard Dessau ist Geiger an der Königlichen Oper in Berlin, Vetter Max Winterfeld macht unter dem Namen Jean Gilbert als Operetten-Komponist Karriere, Urgroßvater Berend Moses Dessau (1791-1851) sowie Großvater Moses Berend Dessau waren Kantoren der deutsch-israelitischen Gemeinde in Hamburg.


1909 startet Paul Dessau am Berliner Klindworth-Scharwenka-Konservatorium ein Studium mit dem Hauptfach Violine. 1913 stellt ihn das Hamburger Stadttheater ein. Den Sommer 1914 verbringt er als Zweiter Kapellmeister am Tivoli-Theater in Bremen, erstmals dirigiert er eine Operette. Der Erste Weltkrieg führt den jungen Musiker 1915 an die Westfront in Frankreich. Eine Verletzung und die Liebe zur Musik retten ihm das Leben: In der Kapelle des Infanterieregiments Nr. 84 darf er den Rest des Militärdienstes fernab von Kanonendonner im beschaulichen Schleswig ableisten.


Wieder in der Heimat Hamburg wird Dessau 1918 Kapellmeister und beginnt zu komponieren. 1919 bis 1923 wirkt er in Köln beim berühmten Dirigenten Otto Klemperer, danach in Mainz, 1925 als Erster Kapellmeister unter dem nicht minder populären Bruno Walter an der Städtischen Oper Berlin. Dessaus „Concertino“ für Violine erhält 1925 einen Preis. Im Juni 1924 heiratet Paul Dessau die Schauspielerin Gudrun Kabisch. 1936 wird die Ehe geschieden. Tochter Eva (geb. 1926) und Sohn Peter (geb. 1929) gehen aus dieser Verbindung hervor. In Prag wird 1927 Dessaus „Erste Sinfonie (in C)“ uraufgeführt.


Paul Dessau hat längst eine andere Liebe entdeckt, nämlich die zum Film. Mit Erfolg: Die UFA überträgt ihm 1926 die Leitung ihres Wiesbadener Orchesters, 1928 wird Dessau Leiter des Alhambra-Erstaufführungskinos in Berlin. Eigene Kompositionen zu Disney-Frühwerken finden schnell Anklang. Wie der „Film-Kurier“ 1928 berichtet, gefällt auch einfachen Kino-Besuchern ohne musikalische Bildung die Musik. Dessau ist zufrieden, genau das ist seine Intention. Für die Tobis-Film entsteht 1929 das Tonfilm-Experiment „Paul Dessau“, im Alhambra begleitet er zunächst noch weiter Stummfilme. Sein Interesse für die Ton-Technik siegt: Er schreibt Musikstücke für Filmoperetten wie „Die große Attraktion“ mit Tenor Richard Tauber, dann für Berg- und Abenteuerstreifen von Arnold Frank („Stürme über dem Montblanc“ von 1930 und „SOS Eisberg“ von  1933).


Mitte 1933 emigriert Dessau nach Frankreich. Er lebt zunächst in Paris, geht 1935 nach Herblay, später nach Boulogne-sur-Seine. Er trifft auf Emigranten aus der deutschen Film-Szene – Kurt Bernhardt, Robert Siodmak und Max Ophüls. Unter dem Pseudonym Henry Herblay schreibt er Filmmusiken. Das Exilleben schärft sein politisches Bewusstsein: Er komponiert auch Lieder und Kantaten für die Arbeitersängerbewegung.


1936 beginnt Dessau mit René Leibowitz Studien der Zwölfton-Technik. Diese Musik prägt sein kompositorisches Denken nachhaltig. Der spanische Bürgerkrieg inspiriert ihn – er engagiert sich politisch und komponiert unter dem Pseudonym „Peter Daniel“ Lieder wie „No pasaran“ und „Thälmannkolonne“. Auch Ehefrau Gudrun Kabisch verfasst unter dem Namen „Karl Ernst“ Liedtexte. Dessau besinnt sich auf seine Wurzeln und macht eine Reihe von Kompositionen zu jüdischen Themen, darunter das Oratorium „Haggadah“ (1936).


Im Juli 1939 wandert Dessau in die USA aus. Finanzielle Nöte zwingen ihn in New York  zunächst Noten und Texte von Kollegen zu kopieren und als Musiklehrer zu arbeiten. Doch den Lebensunterhalt kann er damit nicht bestreiten. Früh morgens verlässt er sein elendes, feuchtes Souterrainzimmer und fährt zu einer Geflügelfarm weit außerhalb, wo er für Miete und Essen schuften muss. Die schöpferische Tätigkeit leidet darunter, wie Werner Mittenzwei  beschreibt („Das Leben des Bertolt Brecht, 1986). Brecht, den Dessau in Deutschland kennen gelernt hat,  überredet ihn zum Umzug nach Hollywood –  eine kreative Phase beginnt. Der Produktion Brecht/Dessau entspringen das Antikriegs-Oratorium „Deutsches Miserere“ oder die Bühnenmusik zu „Der gute Mensch von Sezuan“.  „Deutsches Miserere“ war für die Zeit nach dem Kriege gedacht. Das abendfüllende Werk reflektiert die Nazi-Vergangenheit und verwendet drei Medien zugleich: Musik, Text und Bild. Nebenher erledigt Dessau in den USA ungeliebte, schlecht bezahlte Auftragsarbeiten. Dessau ist seit 1936 Kommunist und wird Mitglied der KP.


1948 kehrt Dessau Amerika den Rücken und zieht mit seiner zweiten Frau, der Schriftstellerin Elisabeth Hauptmann, in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ). Mit dem festen Glauben an ein sozialistisches Deutschland und der Mitwirkung daran, lebt man in Ost-Berlin. Dort feiert 1949 „Mutter Courage und ihre Kinder“ mit seiner Musik im Deutschen Theater Premiere. Dessau kooperiert erneut eng mit Brecht. Die Oper „Das Verhör des Lukullus“ wird nach einer Probe 1951 verboten. „Volksfremd“, so die Staatsführung, sei die Musik. Geändert darf das Stück erstmals im Oktober 1951 unter dem Titel „Die Verurteilung des Lukullus“ aufgeführt werden. Dessau komponiert für die DDR in den folgenden Jahren zahlreiche Lieder. Friedrich Wolf, Walter Ulbricht, Volker Braun, Karl Mickel,, Erich Fried und Pablo Neruda liefern Texte. Er schreibt Schauspielmusiken, etwa für „Vietnam-Diskurs“ (Peter Weiss, 1968), und „Zement“ (Heiner Müller, 1973).


Ab Mitte der 50er Jahre konzentriert sich Dessau wieder auf Filmmusik. Obenan stehen propagandistische Dokumentar-Streifen. Das bringt ihm Ruhm, etliche Orden und hohe DDR-Auszeichnungen ein. So wird er 1952 Mitglied der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin, von 1957-62 ist er deren Vizepräsident. Ab 1952 lehrt er an der Staatlichen Schauspielschule in Berlin und wird 1959 zum Professor ernannt.


Seine dritte Ehe schließt Dessau 1952 mit Antje Ruge. 1954 heiratet er die Choreografin und Regisseurin Ruth Berghaus. 1954 kommt Sohn Maxim zur Welt, der Filmregisseur wird.
Engagiert unterrichtet Dessau Musik an der Polytechnischen Oberschule in Zeuthen, wo er ab 1954 lebt. Davon zeugt sein Buch „Musikarbeit in der Schule“. Dessau vollendet zwei weitere Opern, die auf Brecht basieren – Puntila (1966) und Einstein (1974). Paul Dessau stirbt am 28. Juni 1979 in Königs-Wusterhausen.


Autorin:

Asgard Dierichs


Dessau hinterlässt eine Flut von Werken, hier nur einige wenige Beispiele:

1.) Opern: 
Guiditta (1910/1912; Text: Manuel May), Fragment
Die Reisen des Glücksgotts (1945; Text: Bertolt Brecht), Fragment
Die Verurteilung des Lukullus, Das Verhör des Lukullus (1949-1951; Text: Bertolt Brecht),
Die heilige Johanna der Schlachthöfe (1961; Text: Bertolt Brecht), Fragment
2.) Bühnen-/Schauspielmusik:
Mutter Courage und ihre Kinder: Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg (1946-1949)
Der gute Mensch von Sezuan (1947-1948)
Johann Wolfgang von Goethe :
Faust I (1949)
Urfaust (1952)
Faust II (1952-1953)
Der arme Konrad (1951; Friedrich Wolf)
Flug zur Sonne (1959; Szenarium: Ruth Berghaus)

Hörspiele:
Orpheus (1930-1931; Text: Robert Seitz), bearbeitet als Kurzoper Orpheus und der Bürgermeister (1976-1977)
Drachen über den Zelten (1953; Text: Günther Rücker)
Die Witwe Capet (1955; Text: Günther Rücker nach Lion Feuchtwanger), Fragment

Filmmusik:

Walt Disney: Kurzfilmreihe Alice in Cartoonland (1928/1929)
Hans Conradi: Tonfilm-Experiment Episode (1929)
Arnold Fanck: Stürme über dem Montblanc (1930), Der weiße Rausch (1931), SOS Eisberg (1933)
Operettenfilme mit Richard Tauber: Das Land des Lächelns (1930), Melodie der Liebe (1932)
Alfred Hitchcock: The Paradine Case (1947; dt.: Der Fall Paradin)

Chorwerke:

Deutsches Miserere (1943-1944; Text: Bertolt Brecht)
3 Grabschriften (1948-1951; nach Bertolt Brecht):
1. Grabschrift für Rosa Luxemburg (1948, 1951 bearbeitet)
2. Grabschrift für Liebknecht (1948, 1951 bearbeitet)
3. Grabschrift für Lenin (1951, 1969 bearbeitet für Orchestermusik Nr. 3)

Lieder:

Die Thälmann-Kolonne bzw. Spaniens Himmel (1936)
Lied einer deutschen Mutter (1943)
Das deutsche Miserere (1943)
Grabschrift für Gorki (1947)
Aufbaulied der FDJ (1948)

Kammermusik:

Concertino für Violine, Flöte, Klarinette und Horn (1924)
Lustige Variationen über ein deutsches Volkslied („Hab mein‘ Wagen vollgeladen“) für Klarinette, Fagott und Cembalo (1928, Rev. 1950)
Sonatine für Viola und Klavier/Cembalo (1929)
Etude (Burleske) für Violoncello und Klavier (1932)
Hebräische Melodie für Violine und Klavier (1932)


Literatur:

Angermann, Klaus (Hrsg.): Paul Dessau – Von Geschichte gezeichnet. Symposion Paul Dessau Hamburg 1994. Wolke, Hofheim 1995.
Bock Hans-Michael, Bolte, Marie-Luise (Red.): Paul Dessau. FilmMaterialien 6, Hamburg – Berlin, September 1994.
Dessau, Paul: Notizen zu Noten. Hrsg. Hennenberg, F., Reclam, Leipzig 1974.
Dessau, P.: Aus Gesprächen. VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1974.
Hennenberg, Fritz: Dessau – Brecht. Musikalische Arbeiten. Henschel, Berlin 1963.
Hennenberg, F.: Paul Dessau. Eine Biographie. VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1965.
Hennenberg, F.: Paul Dessau für sie porträtiert. VEB Deutscher Verlag für Musik, Leipzig 1974.
Lucchesi, Joachim (Hrsg.): Das Verhör in der Oper. Die Debatte um die Aufführung „Das Verhör des Lukullus“ von Bertolt Brecht und Paul Dessau. BasisDruck, Berlin 1993.
Werner Mittenzwei: Das Leben des Bertolt Brecht, Aufbau-Verlag, Berlin 1986
Reinhold, Daniela  (Hrsg.): Paul Dessau. 1894-1979. Dokumente zu Leben und Werk. Henschel Verlag, Berlin 1995.
Reinhold, Daniela: Paul Dessau. Let’s Hope for the Best. Briefe und Notizbücher aus den Jahren 1948 bis 1978. Archive zur Musik des 20. Jahrhunderts. Bd. 5. Wolke, Hofheim 2000.
Samtleben, Christina: Paul Dessau, in: Finscher, L. (Hrsg.), Band 5, Bärenreiter, Kassel 2001


Links (deutsch):

de.wikipedia.org/wiki/Paul_Dessau“

www.exilmusik.de

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