Schriftsteller, Redakteur, Sprachlehrer, Sanitätsoffizier
Geb. 16.10.1886 in Elberfeld (heute: Wuppertal)
Gest. 11.5.1978 in Rom
Was für ein Mann! Mutig bis zur Selbstaufgabe. Bestseller-Autor, KZ-Häftling und Frauenliebling. Wie vom Blitz getroffen verliebte sich die spätere Schriftstellerin Lola Landau in das Mannsbild mit den schwarzen Augen, groß wie Tollkirschen. Ihre Familie warnte die verheiratete junge Frau vergeblich vor der Verbindung, die tatsächlich auch nicht von Dauer war. Aber das hat Lola Landau in Kauf genommen bei diesem ungewöhnlichen Menschen und damals schon bekannten Publizisten, über den sein Biograph Martin Rooney sagt: „Er vertrat die höchsten Menschheitsideale, doch im Umgang mit Frauen war er ein Egoist.“
Wenn es einen Orden für Zivilcourage gegen Unrecht, Völkermord und Diktatoren geben würde, hätte Armin T. Wegner ihn verdient: Ein „Querdenker und Aufklärer, der dank seiner Vorahnungen und Weitsicht der eigenen Epoche weit voraus gewesen ist“ (Martin Rooney). Wegner war 1919 Mitbegründer und erster Geschäftsführer des „Bundes der Kriegsdienstgegner“. Doch Orden für Pazifisten sind paradox. Als Künstler wie Emil Nolde oder Dichter wie Gottfried Benn noch Sympathien für die Nazis hegten, schrieb Wegner hellsichtig einen Warnbrief an Adolf Hitler:
“Herr Reichskanzler! In ihrer Bekanntgabe vom 29. März des Jahres hat die Staatsregierung die Acht über die
Geschäftshäuser aller jüdichen Bürger verhängt. Beleidigende Inschrift: >Betrüger! Nicht kaufen! Den Juden den Tod!< , gemalte Wegweiser: >Nach Jerusalem< – leuchteten an den Spiegelscheiben, Männer mit Knüppeln und Faustbüchsen hielten vor den Türen der Läden Wache, und zehn Stunden lang hat man die Hauptstadt zum Schauplatz der Belustigung der Massen gemacht… es geht nicht um das Schicksal der jüdischen Brüder allein, es geht um das Schicksal Deutschlands! Im Namen des Volkes, für das zu sprechen ich nicht weniger das Recht habe als die Pflicht, wende ich mich an Sie: Gebieten Sie diesem Treiben Einhalt!“
Schon einmal hatte Armin T. Wegner furchtlos Verbrechen angeprangert, nämlich den Völkermord der „Jungtürken“ an den christlichen Armeniern, den ersten Genozid im 20. Jahrhundert. Den hatte er als Zeitzeuge aus nächster Nähe miterlebt und verbotenerweise dokumentiert.
Als Sohn eines Reichsbahnbaurats und einer Frauenrechtlerin eher zufällig in Elberfeld (heute ein Stadtteil von Wuppertal) geboren, stand Wegner der Sozialdemokratie nahe und wurde unter dem Einfluß der Mutter Pazifist. Das grenzte im Kaiserreich geradezu an Verrat. In seiner Dissertation „Der Streik im Strafrecht“ behandelte er 1914 das Thema Gerechtigkeit in einer Industriegesellschaft, das von der positivistischen Jurisprudenz bis dahin ausgeklammert war.
Der ausgebildete Krankenpfleger entging dem Heeresdienst zu Beginn des Ersten Weltkriegs, indem er sich als kriegsfreiwilliger Sanitätssoldat am „Feldzug“ in der Türkei beteiligte. In Deutschland neugierig geworden, fand er die Gerüchte über Massaker am armenischen Volk bestätigt.
Der Historiker Martin Rooney, der mit Wegner in dessen letzten Lebensjahren befreundet war, schrieb über diese Zeit: „Trotz strengen Verbots begab sich W. in die armenischen Flüchtlingslager, machte Hunderte und aber Hunderte photographischer Aufnahmen vom Genozid, schmuggelte Briefe der Verfolgten zur amerikanischen Botschaft und schrieb detailliert auf, wie Armenier zu Tode kamen. W.s unerwünschte Anteilnahme an dem Ausrottungsfeldzug des Bündnispartners Türkei, seine Versuche in Berlin, die deutsche Öffentlichkeit aufzuklären… machten ihm das Leben an der Front in der Türkei schwer.“
Wegner wurde zum Dienst in die Cholera- Baracken strafversetzt und schließlich aus dem Militärdienst entlassen. In Berlin beteiligte er sich an politischen Initiativen wie dem „Bund der Aktivisten“ oder dem „Rat geistiger Arbeiter“. Schrieb und redigierte mit an Erklärungen wie dem „Bekenntnis zur Unantastbarkeit des Lebens“, votierte für den Völkerbund, Veränderung des Geschichtsunterrichts und der Presse mit Garantie gegen Chauvinismus, Antisemitismus und andere Formen der Volksverhetzung. Weg mit Wehrpflicht, Kadavergehorsam, Rüstungsfrevel und Morderziehung!, forderte er auf Vortragsreisen durch halb Europa. Anlässlich der Friedensverhandlungen in Versailles appellierte er in einem Offenen Brief an den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson, sich für das armenische Volk einzusetzen und den Verbrechen an dieser Minderheit in der Türkei ein Ende zu setzen. Vergeblich, die „Staatssinteressen“ waren wichtiger.
Gegen das „organisierte Schweigen“, wie es Ralph Giordano nannte, habe sich kein anderer deutscher Pazifist so nachhaltig engagiert wie Armin T. Wegner, der akribisch die organisierte Abschlachtung und Ausrottung der schutzlosen Zivilbevölkerung, die Hungermärsche mit ihren Durst- und Seuchentoten beschrieben hatte. „Die Welt blieb stumm – eine Ermutigung für ein weiteres Großverbrechen wie Auschwitz“ (Rooney).
„Du sahst mich nicht, als ich abseits stand und dir zuschaute, wie du deine KInder unter dem hellen Mond auf die staubige Erde bettetest. Das Mädchen zur linke Seite des Knaben, wie du sie einhülltest in die mit buntem Kattun bezogene Decke, jede Nacht, jede Nacht seit man dich forttrieb in die Fremde. Wie sie da ruhten in tiefer Gebundenheit, den Mund voll Schlaf, die kleinen Hände auf der Decke, die sich zitternd, ein zusammengerolltes Blatt, in das Licht krümmten. Du hattest dich auf die nackte Erde gekauert, zwischen das verborgene Kochgeschirr. Die Augen waren dir vor Müdigkeit zugefallen, während deine Gedanken noch in die Ferne wanderten, durch die Zimmer des alten Hauses, in dem der Wind und die Stille zu Gast waren. Zu dem Angesicht dessen, den du liebtest, den sie am Tag hinter der Mauer erschlugen. Zu deinem Bette, das dich warm hielt, auf der löchrigen Diele, die von dem Singen der Wiege klang, die von den eilenden Schritten deiner Kinder erbebte… Da lagst du, allein unter Tausenden, die mit dem Rauch ihrer Zelte die Ebene füllten, aus der die Wolke der Fieberdünste aufstieg. Verloren unter den Flüchtigen, dem Gestrüpp fremder Männer, die schwer atmend mit der Brust auf dem Boden schliefen, als hätte man sie mit Gewalt aus der Höhe gestürzt. Aufgelöst breitete sich neben ihnen dein Haar aus, das von den Füßen Vorübergehender auf der Erde zertreten wurde, zwischen unwirklich gewordenen Gliedmaßen von Menschen, abgehauenen Baumzweigen gleich, deren Seelen noch an den alten Stätten weilten, während ihr Leib im Traum schon wieder auf der Flucht war, fort, fort…
Du sahst mich nicht, wie ich ferne stand , und würdest du deine Augen aufgeschlagen haben, du müßtest mich für einen von jenen halten, die gekommen waren, den schmerzlichen Rest deines Lebens zu vergiften. Mich, der nichts hatte, ein Soldat, arm wie du, und dem es bestimmt war zu sterben wie dir, der sein heißes, gepeinigtes Herz durch die furchtbaren Felder dieses Krieges trug. Ich aber sah dich, deine geflickte Pluderhose und die liebliche Blässe deines Gesichtes, dein gescheiteltes Haar, das Gewicht deiner schwarzen Zöpfe, wie deine Augen zu den Kinder hinüberglitten, die im Schlafe zu lächeln begannen. Deine vollen Brüste sah ich, nach denen ich Verlangen trug, die dem Hunger, der Verwesung geopfert waren, deine biegsame Gestalt, die ich mit zärtlicher Liebe umfing, und die tiefe Falte zwischen deinen Brauen, die der Abend und das Schicksal in deine Stirne meißelten. Sah dich voller Inbrunst an das Bündel gelehnt, auf dem du deine Kinder von Bahnhof zu Bahnhof, von Gebirgspaß zu Gebirgspaß bis an den Rand der Wüste geschleppt hattest, von einer Lagerstätte zur andern, von einer Wasserstelle zur andern, immer noch gläubig, immer voll Hoffnung und trug dieses Bild mit mir hinüber in das Leben türkischer Zeltlager, unter die frohe Geschäftigkeit der Soldaten, die Gemeinschaft der Kameraden, in den Tag, in die Arbeit, in die wilde Schönheit der Welt – um es nie mehr zu vergessen.“
Quelle: „Einer armenischen Mutter – Bagdad, 1916“,
entnommen aus: Armin T. Wegner: „Fällst du, umarme auch die Erde oder Der Mann, der an das Wort glaubt“
Prosa-Lyrik-Dokumente,
Peter-Hammer-Verlag Wuppertal, 1974
ISBN 3-87294-059-7, S. 48f
Es verwundere kaum, erzählt Martin Rooney, dass Wegner im Feindbild der Nationalsozialisten stand. Als Autor des Berliner Rundfunks wurde er als >Kulturbolschewist< immer heftiger angegriffen. Die Kampagne gegen ihn begann mit Diffamierungen, eskalierte zur Ausgrenzung und endete nach seinem offenen Brief an Hitler mit Terror und einem Leidensweg durch sieben Gefängnisse und drei Konzentrationslagern. Am Ende stand die Exilierung. Die überlebte Wegner „als Gefangener einer goldenen Muschel“ im italienischen Positano.
Die letzten Lebensjahre verbrachte Wegner in Rom, wo er, unbeachtet in Deutschland, mit 91 starb. Verbittert. Zwar kehrte ihn seine Geburtsstadt Wuppertal mit dem städtischen Kutlurpreis, der, Ironie der Geschichte, nach dem Antisemiten und Nazibewunderer Eduard von der Heydt benannt ist. Doch die Bundesrepublik hat ihn nie gewürdigt, nie heimgeholt. Mehr noch aber war er enttäuscht über den Untergang einer Kultur, wie er gegenüber Rooney klagte, die „für immer in den Abgrund der Zeiten“ verschwunden sei. Die Israelis ehrten ihn durch einen Baum in der Allee der Gerechten der Völker in Yad Vashem, die Armenier haben ihm posthum ein Staatsbegräbnis in ihrer Hauptstadt Eriwan (Jerewan) ausgerichtet.
Autor: Hajo Jahn
Die Bilder 1-8 wurden, mit freundlicher Genehmigung des Verlages, entnommen aus:
Armin T. Wegner „Fällst du, umarme auch die Erde oder Der Mann, der an das Wort glaubt“, Peter Hammer Verlag, 1974
1. Aufnahme aus dem Ersten Weltkrieg, als Sanitätsoffizier im türkischen Heer und Krankenpfleger des Roten Kreuzes. Das Foto entstand in Aleppo nach Rückkehr aus Bagdad.
2. Wegner mit seiner ersten Frau, der Schriftstellerin Lola Landau (1928)
3. Armin T. Wegner während seiner Zeit im Konzentrationslager (1933)
4. Titelzeichnung von Ludwig Meidner zu einem Buch Wegners
5. Eines der Todeslager der vertriebenen Armenier (1915)
6. Wegner mit seiner zweiten Frau, der Künstlerin Irene Kowaliska, auf der Treppe ihres Hauses in Positano (1950)
7. Armin T. Wegner mit 78 Jahren: Der Einsiedler der Insel Stromboli
8. Das Arbeitszimmer Armin T. Wegners in Rom
9. Wegners Totenmaske (Mai 1978)
Letzeres entnommen aus: Reinhard M. G. Nikisch: „Armin T. Wegner“ Ein Dichter gegen die Macht – Grundlinien einer Biographie des Expressionisten und Weltreporters Armin T. Wegner (1866 – 1978), Peter Hammer Verlag, Wupeprtal, 1982, ISBN: 3-87294-191-7
Jörg Aufenanger:
Jugend in Breslau
Armin T. Wegner und Günther Anders –
zwei deutsche Wege
„Der Philosoph und Schriftsteller Günther Anders ist in Breslau geboren und hat seine Kindheit und früheste Jugendjahre dort – hier muß ich hier ja sagen verbracht.
Der Dichter und Menschenrechtler Armin T. Wegner ist nicht hier geboren, sondern in Elberfeld dem heutigen Wuppertal, und hat in Breslau mehrere Jahre seiner Jugend verlebt.
Gemeinsam waren sie zu Anfang des 20. Jahrhunderts zwölf Jahre etwa in derselben Stadt, doch sie sind einander nicht bewusst begegnet, jedenfalls habe ich dazu keine Hinweise gefunden.
Warum aber will ich nun von beiden erzählen ? Warum will ich ihnen biographische Notizen widmen, Partikel zu einer Parallelbiographie, ein leider seit Plutarch selten genutztes Genre der Lebensbeschreibung ?
Zum einen schon, um von ihrer Kindheit und Jugend in dieser Stadt zu berichten, die sie beide geprägt hat. Doch nicht nur das. So unterschiedlich sie waren, so verschieden ihre weiteren Wege nach ihrer Breslauer Zeit auch verlaufen sind, zwei Merkmale haben sie gemeinsam auf ihrem Weg durch das 20. Jahrhundert.
Zum einen: Beide haben Deutschland nach 1933 verlassen müssen und verlassen wollen, haben im Exil gelebt, Armin T. Wegner in Italien, der um knapp sechzehn Jahre jüngere Günther Anders in Frankreich und dann in den USA. Und beide sind nach 1945 nur gelegentlich nach Deutschland zurückgekehrt, haben sich nicht dazu entschließen können, im Land ihrer Geburt zu leben.
Zum anderen: Beide standen der Welt, in der sie lebten und den Ereignissen, die sie erlebten, mit einer moralischen Position gegenüber, ja mit Empörung. Beiden stand aber diese rein moralische Position auch im Weg. Sie bestimmte und behinderte zugleich ihr jeweiliges Werk, das dichterische Wegners, das philosophische Anders.“
Zum Weiterlesen klicken Sie bitte hier (PDF-Dokument)…
Quelle: Zweiseelenstadt – Ein Else-lasker-Schüler-Almanach, Herausgegeben von Hajo Jahn/ Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft sowie dem Willi-Brandt-Zentrum für Deutschland- und Europastudien an der Universität Wroclaw, Peter-Hammer-Verlag, Wuppertal 2004, S. 113 – 136.
Literatur:
Armin T. Wegner: „Brief an Hitler“, 56 S., broschiert, Peter Hammer-Verlag, Wuppertal, ISBN 3-87294-910-1
ders.: Odyssee der Seele. Ausgewählte Werke, Peter Hammer-Verlag, Wuppertal, ISBN 3-87294-886-5
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Lola Landau/Armin T. Wegner: Welt vorbei – Abschied von den sieben Wäldern. Die KZ-Briefe 1933/1934. Aus dem Nachlaß herausgegeben von Thomas Hartwig. Verlag Das Arsenal, Berlin 1999, ISBN 3-93110-914-3
Martin Rooney: Das Leben und Werk des expressionistischen Dichters A.T. Wegner. Bremen 1982 (Dissertation)
ders.: Leben und Werk Armin T. Wegners (1886-1978) im Kontext der sozio-politischen und kulturellen Entwicklung in Deutschland. Franfkurt/M. 1984
Abresch, J.: (1990): Entschiedene Mahner und Warner: Armin T. Wegner., in Der Weg 45, Nr. 4 (21.01.1990), S. 11.
Links (deutsch):
http://www.bautz.de/bbkl/w/wegner.shtml
http://www.humanismus.de/downloads/zivilcourage.pdf
http://www.dla-marbach.de/kallias/hyperkuss/w-16.html
http://www.wuppertal.de/index1.cfm?http%3A//www.wuppertal.de/kultur_bildung/autoren_wegner.cfm
International:
http://www.armenian-genocide.org/wegnerbio.html
http://www.imprescriptible.fr/dossiers/media/wegner/
http://www.yad-vashem.org.il/righteous/bycountry/germany/wegner_armin_t.html
http://www.abrilbooks.com/Bookinfo/Genocide/ArminTWegners.htm
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