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Rübner, Tuvia

H.A.M. 0

Tuvia Rübner
Schriftsteller


Geb. 1924 in Bratislava (Preßburg)


„1924 in Bratislava (Preßburg) geboren, besuchte ich, mit deutscher Muttersprache, deutsche Schulen, solange ich Schulen besuchte: acht Klassen in der Volksschule und im Gymnasium. Als Juden nicht mehr zugelassen wurden, ging ich noch fast ein Jahr in ein slowakisches Gymnasium. Als der Krieg ausbrach, war ich in einer landwirtschaftlichen Ausbildung im Rahmen der zionistischen Jugendorganisation, der ich angehörte. Ihr habe ich es zu verdanken, daß ich 1941 mit einigen wenigen Kameraden und meiner ersten Liebe, schon mitten im Krieg, über Ungarn, Rumänien, die Türkei, Syrien und den Libanon ins Land Israel kam, in den Kibbuz Merchavia, in dem ich bis heute lebe.


Ich arbeitete auf den Feldern, im Weinberg und vor allem als Schafhirt. In der Erinnerung ist die Weide im Frühjahr die schönste Zeit meines Lebens. Zwölf Jahre schrieb ich deutsche Gedichte, die neben meinen Freunden Werner Kraft und Ludwig Strauß nur noch ein oder zwei andere Bekannte lasen. Das war mein Lesepublikum. Als ich meine jetzige Frau, die im Lande geboren wurde, heiratete, begann ich Iwrith-Gedichte zu schreiben. 1957 publizierte ich meinen ersten Gedichtband, nachher noch sechs weitere. Eine kleine Auswahl in deutscher Übersetzung von Christoph Meckel und Efrat Gal-Ed erschien unter dem Namen Wüstenginster bei Piper. Ich wurde Literaturlehrer an der Mittelschule im Kibbuz und Bibliothekar dazu, später, nach drei Jahren in der Schweiz, Lehrer an einem Lehrerseminar, nachher, an der Universität, Professor (ohne akademische Ausbildung). Ich übersetzte aus dem Deutschen ins Hebräische und aus dem Hebräischen ins Deutsche, z. B. Schmul Agnon. Seit 1992 bin ich Emeritus, ruheloser Ruheständler. Meine Schwester, meine Eltern, meine Großeltern, Onkel und Tanten, Freunde kamen nach Auschwitz. Was dort geschah, weiß man.“


ELSCH

Die greise Dichterin
woher? Wohin?

die schwere ausweglose Stadt
den Anker im Vorzeitengrund

und alle Segel herzgehisst
und alle Segel sternenwärts

und haftet, hungrig, hart, verirrt
Geripp im weissen Fels

verwirkt im Traum, versucht
Wort für Wort

dem Schweigen
abzulauschen

Zauberflüsterspruch
der Liebe, alterslos.


ANSICHTSKARTE. PASSAU

Passau ist die Dreifluessestadt
und bleibt dennoch an seinem Ort.
Sein Fuerstbischof regierte bis Ungarn.
Schwerer war es da, Kanonikus zu werden,
Als Papst in Rom,
bezeugte Enea Silvio Piccolomini,
später Pius II.
Passau hat 50.000 Einwohner
und eine der grössten Kirchenorgeln der Welt.
Adalbert Stifter pries Passaus Bier.
Passau ist golden und blau.
Das Nibelungenheer zog da vorbei.
Hitler hielt es.
1957 wurden von 6 Steintafeln am Friedhof
250 Namen von Passauer Juden, Naziopfern,
von den Behoerden
geloescht.
Ein monumentales Grabmal
fuer 5oo SS-Schurken
steht da.
Passt auf:
Passau!


Bloss nicht

Bloss nicht den Mut verlieren.
Was wollen all diese Schwarzseher.
Nie noch haben die was Positives zuwege gebracht.
Fragen wir: „wie lange noch?“ – unterliegen wir.
Moerder sind Moerder sind Moerder sind Moerder.
Halten wir still – ist unser der Sieg.
Ist der Sieg unser, richten wir einen
Neuen Mittleren Osten auf.
Auch die Araber haben was davon.
Strassen legen wir an – von einem Ende zum andern.
Dem Jordan sagen wir: „Wende dich zurueck!“ und den Bergen: „Huepft wie Widder!“
Verseuchen wir das Meer, und es flieht nicht –
Mare nostrum! – Es ist doch unseres —
sagen wir: „Das ist verboten!“
Und vergraben wir in der Heiligen Erde
allerlei Giftstoffe und dergleichen,
fragen wir: „Wer hat das nun wieder getan?“
Die Sprache bereichern wir.
Ihr werdet sehen: wir kommen noch
bis auf 100 Woerter! Und Tuerme stellen wir auf,
deren Spitze reicht bis in den Himmel!
Das ganze Land – Stahl und Beton.
Geruechte gehn um von Schleichwegen? Krummem?
Bestechung? Schindern und Schergen?
Zu leichtem Fingerdruck auf den Hahn?
Je mehr Wissen, desto mehr Schmerz.
Vertrauen! Vertrauen!
Auch Kafka meinte, nur die Luege
waere imstande, die Wahrheit zu kennen.
Nicht alles was glaenzt, ist Gold.
Und Mensch ist Mensch, nichts mehr.
Wir wollen doch nicht gleich
in Wuesten fliehen,
weil nicht alle Bluetenträume reiften.
Weh den Augen, die sehen und nicht sehen,
dass das Land
von Milch und Honig fliesst.


* Autor: Tuvia Rübner

Quelle „Momente in Jerusalem“,, S. 85, erschienen 2002, Bleicher Verlag, Gerlingen, erhältlich über: Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft, Herzogstr. 42, 42103 Wuppertal


Im Januar 2004 war der 80jährige Dichter, der seit 1943 unter den vorgegebenen bescheidenen Bedingungen des Kibbuz lebt, in die Bayerische Staatsbibliothek eingeladen. Er las aus den Lyrikbänden „Zypressenlicht“ (2000) und „Von Luft zu Luft“ sowie Passagen aus der zu diesem Zeitpunkt noch unveröffentlichten Biographie „Ein langes kurzes Leben. Unterbrochene Erinnerungen“.


Die Journalistin Nora Niemann schrieb über diesen Abend in München u.a.: „Der Gast begann seinen Rückblick auf seine Wanderung Von Pressburg nach Merchavia mit dem Gedanken: Ich lebe in einem blutigen Land.’ Die Verfolgung, der er sich 1942 gemeinsam mit acht anderen Jugendlichen auf einer abenteuerlichen Flucht ins damalige Palästina entzog, hat auf ganz andere Weise für ihn nie wirklich aufgehört, weil Israel nicht zur Ruhe kommen kann. Früher, so Rübner, habe er wild am Leben’ gehangen, weil er sich – stellvertretend für seine Familie – zum Leben erkoren fühlte’. …Rübner erzählte, wie es einst bei seiner Ankunft gewesen war: Als ich kam, war der Ort voll Staub’. Er erinnerte sich an seine Anfänge als unbeschriebenes Blatt’ und daran, wie er Werner Kraft und Ludwig Strauß kennengelernt hatte: Es gehört zu den Paradoxien meines Lebens, daß das meiste von dem, was ich mir von der deutschen Literatur einverleibt habe, in Israel geschah.’ Er fühle sich wie ein Baum, dessen Wurzeln in die Luft ragen’.“


Mit Begriffen wie „unvergesslich“ sollte man sparsam umgehen. Doch es dürfte vielen Zuhörern in Erinnerung bleiben, wie Tuvia Rübner das I. Else-Lasker-Schüler-Forum im Oktober 1993 in Wuppertal beendete, nämlich mit dem obigen Gedicht „ELSCH“, das mit Else Lasker-Schüler und mit ihm zu tun hat: Zum erstenmal seit seiner Jugend hatte er wieder wieder in deutscher Sprache geschrieben und der ELS-Gesellschaft zur Verfügung gestellt


Autor:

Hajo Jahn


„DER UNTERGANG oder DER MENSCH

Löbliche Leute machen löbliche Dinge.
Einen löblichen Film über Hitler zum Beispiel.
Über Hitler, den Menschen, löblicherweise.
Wartet ein wenig, ihr werdet es sehen…“

Zum Weiterlesen klicken Sie bitte hier…


Literatur:

Ein langes kurzes Leben
Von Pressburg nach Merchavia

Rimbaud Verlagsgesellschaft Aachen 2004,
ISBN: 3-89086-664-6


Film:

Tuvia Rübner lebt seit 1941 im Kibbuz Merchavia. Dennoch wirkt er mit in dem Film „2 oder 3 Dinge, die ich von ihm weiß“, gedreht von Malte Ludin. Der Dichter Rübner trägt auch eines seiner Gedichte vor. Vor die Kamera wurde er gebeten, weil er 1924 in Bratislava geboren und aufgewachsen ist. Dort wurde 1947 Hanns Ludin von den Sowjets hingerichtet: EIn fanatischer Nationalsozialist, Hitlers Gesandter und Bevoll-mächtigter Minister des Großdeutschen Reiches für die Slowakei und damit ver-antwortlich für die Deportation der slowakischen Juden, darunter die gesamte Familie von Tuvia Rübner, nach Auschwitz kam. Was dort geschah, weiß man.. In der Familie Ludin wurden die Ver-brechen geleugnet, verdrängt und verschwiegen. Sohn Malte, Jahrgang 1942, hat sich mit dem Film aufgemacht, das Schweigen zu durchbrechen: Ein exem-plarischer Film über Erinnern, Verges-sen und den Umgang mit individueller Schuld und politischer Verantwortung

http://www.2oder3dinge.de

http://www.angelaufen.de/filme/vorwochen/die_filmstarts_vom_7_april_2005/2_oder_3_dinge_die_ich_von_ihm_weiss

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