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Rost, Nico

H.A.M. 0

Nico (Nicolaas) Rost
Schriftsteller


Geb. 21.6.1896 in Groningen/ NL
Gest. 1.2.1967 in Amsterdam/ NL


„Den ganzen Tag im ‚Egmont‘ gelesen und mir vorgenommen, hier – wenn möglich – viel klassische deutsche Literatur zu studieren. Besonders Goethe. Ich will auch über das, was ich lese und denke, Notizen machen. Zwar sind alle Arten von ‚Tagebüchern‘ streng verboten, aber der Oberpfleger, der meinen Namen kannte, hat mir einen Platz angewiesen, an dem ich meine Notizen verstecken kann.“

(Nico Rost: „Goethe in Dachau“)


Der Sohn aus bürgerlichem Elternhaus ist zeit seines Lebens der deutschen Literatur verbunden und fühlt sich schon als Schüler zur Kunst und Kultur seines Nachbarlandes hingezogen. Nach Schule und Abitur im Ersten Weltkrieg übersiedelt der junge Rost nach heftigen Differenzen mit seinen Eltern 1919 nach Amsterdam. Bereits ein Jahr zuvor war sein erstes Buch, eine Sammlung von 14 sozialkritischen Erzählungen (Het troostelooze), erschienen. Rost geht in den frühen 20er Jahren nach Berlin, wo er Kontakt zur Internationalen Arbeiterhilfe pflegt und seit 1926 als Kulturkorrespondent für diverse holländische Zeitungen tätig ist. Reportageaufträge führen ihn in diesen Jahren mehrmals in die Sowjetunion, wo er u.a. den Dichter Majakowski kennenlernt.


Nico Rosts private Situation verschärft sich allerdings zusehends: seine Familie gerät nach einem längeren Aufenthalt am Lago Maggiore aufgrund fehlender Aufträge an die Armutsgrenze. Die erste Ehe geht in die Brüche. 1928 lernt Rost die Berlinerin Edith Lissauer kennen, die seine zweite Ehefrau wird und in der Folgezeit Rosts wichtigste Arbeiten ins Deutsche übersetzt. Nico Rosts Berliner Zeit ist auch und vor allem durch sein vielfältiges berufliches Schaffen (Porträts, Kritiken und Reportagen), z.B. für Carl von Ossietzkys Weltbühne genauso wie für den „hochbürgerlichen“ Querschnitt, geprägt wie auch durch Kontakte zu Schriftstellern. Egon Erwin Kisch, Gottfried Benn, Carl Einstein Else Lasker-Schüler, Joseph Roth, Bert Brecht und Alfred Döblin, dessen Roman Berlin Alexanderplatz er ins Holländische überträgt, gehören zu Rosts Freundeskreis. Den ihm sehr verbundenen Ossietzky begleitet er nach dessen Verurteilung 1931 wegen „Landesverrats“ zur Haftanstalt.


Bereits seit 1927 ist Nico Rost Mitglied der Kommunistischen Partei Hollands, ohne sich jedoch politisch aktiv zu betätigen. Wegen seines „Umgangs mit Juden und Marxisten“ wird Nico Rost 1933 zum erstenmal verhaftet und ins KZ Oranienburg deportiert, wo er miterlebt, wie „Juden unter Jubelgeschrei ins Lager gebracht, getreten und geschlagen wurden.“ Auf Initiative des damaligen Berliner Korrespondenten der Zeitung Algemeen Handelsblad, Max Blokzijl, kommt Rost einige Wochen später wieder frei, wird Mitte 1933 jedoch – nachdem er sich journalistischen Anwerbungsversuchen durch die Nazis widersetzt hat – des Landes verwiesen und geht daraufhin ins belgische Brüssel, wo er weiterhin als Journalist für die in Gent erscheinende sozialdemokratische Zeitung Vorruit (Vorwärts) arbeitet. Noch im selben Jahr war von ihm ein Buch über seinen Aufenthalt in Oranienburg erschienen: De Brouwerij van Oranienburg. Een concentratiekamp in het Derde Rijk (Die Brauerei von Oranienburg. Ein Konzentrationslager im Dritten Reich) und am 10. Mai 1933 hatte er als Zeuge auf dem Berliner Opernplatz die Bücherverbrennung miterlebt.


Anfang 1933 berichtet Nico Rost aus London vom Tribunal gegen den in Leipzig stattfindenden Reichtagsbrandprozeß und nimmt im Auftrag 1935 als Vertreter der holländischen Schriftsteller am Pariser Kongress zur Verteidigung der Kultur teil, auf dem Heinrich Mann die Hauptrede hält und eine kulturelle wie politische Einheitsfront gegen Hitler fordert. Anfang 1937 – während des Spanischen Bürgerkriegs – reist Nico Rost für eine Reportage ins republikanische Spanien, wo es zu einem Wiedersehen mit Egon Erwin Kisch, Ernst Busch und Alfred Kantorowicz kommt. Im selben Jahr nimmt er am internationalen Schriftstellerkongress in Barcelona und Valencia teil. In Spanien macht Rost die Bekanntschaft mit Ernest Hemingway, dessen Roman In einem andern Land er übersetzt. 1937 erscheint Rosts Reportage über die Zerstörung der Stadt Guernica.


Nach dem deutschen Überfall auf die Niederlande und Belgien im Mai 1940 schließt sich Nico Rost dem Widerstand an. Seine Wohnung wird zur Anlaufstelle für Schriftsteller und Literaten, die aus Nazi-Deutschland geflüchtet sind. Nico Rost verschafft ihnen Unterkunft und Arbeit und übersetzt u.a. die Werke von Fallada, Feuchtwanger, Glaeser, Kisch, Seghers, Toller, Merz und Traven ins Holländische. Am 6. Mai 1943 wird Nico Rost von den Nazis wegen „Zersetzung der Wehrkraft“ verhaftet, verbringt einige Wochen im Wehrmachtsgefängnis Forest, dann eine halbjährige Strafe im Gestapogefängnis in Scheveningen, kommt von dort ins KZ Vught, und von im Juni 1944 ins Konzentrationslager Dachau.


Bereits kurz nach seiner Ankunft beginnt Nico Rost mit dem Schreiben eines Tagebuches: für den Häftling eines KZ ein lebensgefährliches Unterfangen. Mit Hilfe von Mitgefangenen gelingt es ihm jedoch, vom 10. Juni 1944 bis zur Befreiung des Lagers durch die Amerikaner am 29. April 1945 fast täglich heimlich seine Gedanken zum Lagerleben niederzuschreiben. Seine auf Zetteln und Papierfetzen dokumentierten Eindrücke vom Alltag im KZ kann er mit Hilfe von Mitgefangenen vor den Deutschen verstecken. Immer wieder kreisen Rosts Gedanken in seinen Tagebüchern um die Werke von Dichtern, die ihm wichtig sind, darunter auch und vor allem Grillparzer, Goethe, Schiller, Herder und Hölderlin, dessen Hyperion-Text ihm ein Mithäftling verschafft hat.

Lesen und Schreiben bedeuten für den im KZ inhaftierten Geistesarbeiter Nico Rost nicht nur Fortführung des literarischen Widerstandes inmitten des Grauens, sondern sind auch innere Zuflucht und Überlebens-Mittel.


„Rosts Tagebuch ist nicht das einzige, das in Dachau entstanden ist. Einige andere sind erwähnenswert, weil sie die Seltsamkeit vergrößern, die darin besteht, dass im Rücken der SS Aufzeichnungen von Häftlingen angefertigt worden sind, die nicht wissen konnten, ob sie selbst und ihre Schriften überleben würden. Der Holländer Floris Bertold Bakels hat drei Jahre in zwei Gefängnissen und sechs Konzentrationslagern verbracht. ‚Nein, niemals darf die Welt vergessen; wir alle werden uns dafür einsetzen, wir werden schreiben‘, notierte er in seinem Tagebuch ‚Phantasie als Waffe‘ (1947)…Ein Jahr früher veröffentlichte der Pfarrer Karl Adolf Gross, der sechs Jahre im Konzentrationslager durchlitt und in Dachau in einer Porzellanfabrik arbeitete, seinen Bericht ‚Zweitausend Tage Dachau. Erlebnisse eines Christenmenschen unter Herrenmenschen und Herdenmenschen.‘ Heinrich Eduard Miesen, gelernter Philosoph und Journalist (…), übernahm in seinem Diarium ‚Weltfahrt ins Herz‘, das er unter dem Namen Eduard von Holt 1947 herausgab, die Rolle eines fiktiven Arztes; im Zusammenhang mit dem 20. Juli war er nach Dachau verschleppt worden. Den ausführlichsten Bericht hat Edgar Kupfer-Koberwitz 1957, in zwei Bänden, aus verschiedenen Lagern unter dem Titel ‚Die Mächtigen und die Hilflosen. Als Häftling in Dachau‘, veröffentlicht. Von den rund 50 Protokollen, Memoiren, Tagebüchern und Berichten, die in Dachau oder unter dem seelischen Druck der Ereignisse kurz danach andernorts entstanden sind, nehmen Nico Rosts kunstlos schlichte Niederschriften wegen der ungewöhnlichen Perspektive, der Reichweite der Reflexion, des Bemühens um einen exterritorialen Standpunkt einen besonderen Rang ein.“ (1)


Nico Rost arbeitet in Dachau noch nach der Befreiung durch die Alliierten im April 1945 an dem bis zum 24. Mai täglich erscheinenden Mitteilungsblatt für die holländischen Häftlinge De Stem der Lage Landen (Die Stimme der niedrig gelegenen Länder) mit und verlässt am 18. Mai mit weiteren Landsleuten das Konzentrationslager. Die erste Zeit lebt Rost in einem kleinen Dorf in den belgischen Ardennen, wo er auf der Grundlage der Dachauer Notizen sein Tagebuch erarbeitet, das 1947 vom Amsterdamer Querido-Verlag unter dem Titel Goethe in Dachau, herausgebracht wird. 1948 erscheint Goethe in Dachau zum erstenmal in Deutschland.

Nico Rost vertieft in der Folgezeit seine beruflichen Kontakte zur DDR, arbeitet im Rahmen des Kulturbunds und als Redakteur des Verlages Blick nach Polen. Heftige Auseinandersetzungen über Rosts vermeintliche „preussische Arroganz“ und „polenfeindliche Propaganda“ in seinem Dachau-Tagebuch haben für ihn und seine Frau einschneidende Konsequenzen: 1950/51 werden sie von der DDR-Staatssicherheit beobachtet. Dennoch bleibt Nico Rost in der DDR, lässt sich, trotz aller Widrigkeiten, sogar seine Bibliothek aus Belgien nachschicken. Im März 1951 wird Nico Rost verhaftet, seine gesamte Habe konfisziert und er selber aus der DDR ausgewiesen.
1955 kehrt Nico Rost nach Amsterdam zurück und besucht im selben Jahr das ehemalige KZ Dachau, wo er zu seinem Entsetzen feststellen muß, dass dort, wo einstmals mehr als 200 000 Menschen gefangen waren, von denen über 31 000 zu Tode kamen, mittlerweile Flüchtlinge in den Baracken untergebracht sind und nichts mehr an die NS-Gräuel erinnert. Nico Rosts engagierte Reportage trägt schließlich entscheidend mit dazu bei, dass in Dachau eine würdige Gedenkstätte für die Nazi-Opfer entsteht


Nach 1956 zieht sich Nico Rost zunehmend aus der politischen Arbeit zurück. In der Folgezeit kommt es zunehmend zu Differenzen mit kommunistischen Wegbegleitern und Freunden, auch der einst enge Kontakt zu Anna Seghers reißt ab.

Am 1. Februar 1967 stirbt Nico Rost im Alter von 70 Jahren.


Quelle:

(1) Wilfried F. Schoeller: Leben und Taten des Enthusiasten Nico Rost, in: Nico Rost: “Goethe in Dachau – ein Tagebuch“, herausgg. und mit Materialien und einem Nachwort versehen von Wilfried F. Schoeller, List Taschenbuch Verlag 2001, ISBN 3-548-60023-9, S. 404f.


Literatur:

Floris B. Bakels: Verbeelding als Wapen, Tjeenk Willink, Haarlem, 1947
Karl Adolf Gross: Zweitausend Tage Dachau. Erlebnisse eines Christenmenschen unter Herrenmenschen und Herdenmenschen. Berichte und Tagebücher des Häftlings Nr. 16921. Neubau-Verlag, München, 1946
Abel Herzberg: Tweestromenland. Dagboek uit Bergen-Belsen, Arnhem, 1950
Heinrich Eduard vom Holt: Weltfahrt ins Herz. Tagebuch eines Arztes, Balduin-Pick-Verlag, Köln, 1947
David Koker: Judendurchgangslager Vught. 13. Februar 1943 bis 8. Februar 1944. Reichsinstitut für Kriegsdokumentation, Amsterdam, unveröffentlicht
Edgar Kupfer-Koberwitz: Die Mächtigen und die Hilflosen. Als Häftling in Dachau. Band 1: Wie es begann. Band 2: Wie es endete. Friedrich-Vorwerk-Verlag, Stuttgart, 1957
Jacques Lamy: Buchenwald, 18. Januar 1944 bis 25. Juni 1945, unveröffentlicht, im Besitz des Autors
Hanna Lévy-Hass: Vielleicht war das alles erst der Anfang. Tagebuch aus dem KZ Bergen-Belsen 1944-1945, Rotbuch-Verlag, 12. bis 13. Tausend, Berlin 1982
Philip Mechanicus: In Dépôt. Dagboek uit Westerbork. Polak & Van Gennep, Amsterdam, 1964
Simone Saint-Clair: Ravensbrück: L’Enfer des Femmes. Fayard, Paris, 1967
Gerty Spies: Tagebuchfragment aus Theresienstadt. In: Drei Jahre in Theresienstadt, München, Verlag Christian Kaiser, 1984, S. 98-113
Loden Vogel: Dagboek uit een Kamp, G.A. Van Oorschot, Amsterdam, 1965
Renata Laqueur: Schreiben im KZ – Tagebücher 1940-1945, bearbeitet von Martina Dreisbach und mit einem Geleitwort von Rolf Wernstedt, Donat-Verlag Bremen 1992, zugl. New York, Univ., Diss. ISBN 3-924444-09-0
(dem o.a. Buch von Renata Laqueur wurden die vorstehenden Literaturhinweise entnommen und hier findet sich auch eine weitere Auswahlbibliographie zum Thema KZ-Erinnerungen und Tagebücher)


Links (deutsch):


International:

http://www.dbnl.org/auteurs/auteur.php3?id=rost001

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