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Mihaly, Jo

H.A.M. 0
Jo Mihaly (eigtl. Elfriede Alice Kuhr) (Pseud.: Jaques Michel, J. Josias, Francesco Moletta)
Tänzerin, Schriftstellerin und Politikerin

 

Geb. 1902 in Schneidemühl (Pommern)
Gestorben am 29. März 1989 Seeshaupt (Bayern)


Jo Mihaly„Eine der großen Frauen des 20. Jahrhunderts“ hat Die Zeit sie genannt. Wenn dieser Superlativ zutrifft, dann auf diese vielseitige Künstlerin, die zu Unrecht heute vielen Deutschen und Schweizern relativ unbekannt ist. Dabei hat sie mit Michael Arpad und sein Kind ein Kinderbuch geschrieben, das ganzen Lesergenerationen ebenso unvergesslich ist wie Else Urys Nesthäkchen. Gedichtet hat sie und Alltagsprosa geschrieben: Zeitungsartikel unter Pseudonym in ihrem Exilland Schweiz, wo sie lange keine Arbeitsbewilligung bekam. Als Tänzerin wurde sie gefeiert und von Thomas Mann als Schriftstellerin gelobt. Von Zürich aus war sie die dominierende Frau unter den wenigen Exilanten, die aktiv gegen den Faschismus kämpften. Und so manchem leidgeprüften Flüchtling war sie ein rettender Engel, ihren politischen Gegnern aber eine rote Kämpferin. Ein unbändiger, kreativer Geist und eine mitfühlende Frau, das alles war Jo Mihaly allemal.


Wer Jo Milhaly klein reden möchte, nennt sie die Frau von Leonard Steckel, dem großen Schauspieler und Regisseur. Mit ihm und der kleinen Tochter Anja war sie 1933 vor den Nazis in die Schweiz geflohen – dieselben Nazis hatten ihr das Angebot gemacht, als „Nationaltänzerin“ im Lande bleiben zu können. Sie lehnte ab, aber nicht nur, weil sie ihren jüdischen Mann (und wahrscheinlich auch das gemeinsame Kind) hätte aufgeben müssen. Nein, sie war ein durch und durch politischer Mensch und als solcher ein leidenschaftlicher Antifaschist.


Jo Mihaly

Begonnen hat Elfriede Alice Kuhr mit einer klassischen Tanzausbildung und einem Engagement des damals populären Haas-Heye-Balletts. Ab 1923 folgten wechselnde Stationen, Tourneen durch ganz Deutschland, Auftritte sogar in Varietés und im Zirkus. Diese Atmosphäre, der Kontakt mit fahrenden Leuten und einem unelitären Publikum haben ihre Phantasie geweckt und aus ihr das spätere Multitalent und die Politikerin gemacht. Sie hatte damit begonnen, Gedichte und Essays in der Vagabunden-Zeitschrift Der Kunde zu veröffentlichen. Es war die Zeit der Massenarbeitslosigkeit, der Auseinandersetzungen zwischen linken und rechten Gruppierungen, aber auch ein Tanz auf dem Vulkan für reiche Müssiggänger und begabte Künstler, die nur ihre Karriere im Sinn hatten. Angeregt von diesen Zeitströmungen gestaltete Jo Mihaly sozialkritische Tanzgeschichten wie Vision eines Krieges oder Die Verfolgung der Juden. Zuvor hatte sie im Sommer 1927 als Ober-Elfe in einer Sommernachts-Inszenierung der berühmten Volksbühne Leonard Steckel kennengelernt, der ebenfalls eine Nebenrolle spielte und den sie später heiratete.


Daß die Nationalsozialisten sie als Nationaltänzerin halten wollten, kann nur als böser Witz verstanden werden. Oder die braunen Kulturbürokraten waren so von ihrem Ausdruckstanz verzückt, dass sie das politische Engagement der Künstlerin nicht bemerkten oder nicht bemerken wollten. Aber es war ja noch zu Beginn der Diktatur, die barbarischen Strukturen hatten sich noch nicht herausgebildet. Jo Mihaly aber war längst im Lager der Gegner angekommen, hatte sich für die Rechte der Zigeuner eingesetzt, wie damals die Sinti und Roma genannt wurden. Die Rote Gewerkschafts-Opposition hatte in der Tänzerin und Autorin bereits ab 1931 ein aktives Mitglied.

Während Leonard Steckel am Schauspielhaus Zürich als Regisseur und Schauspieler Fuß gefasst hatte, war es für seine politisch ungleich aktivere Frau im Schweizer Exil sehr schwierig, zumal ihr zunächst die Arbeitsbewilligung verwehrt wurde. Unter männlichen Pseudonymen wie Jaques Michel, J. Josias oder Francesco Moletta schrieb sie in verschiedenen deutschsprachigen Zeitungen, darunter die Neue Zürcher Zeitung, der Tages-Anzeiger Zürich, das St. Galler Tageblatt, die Basler Nachrichten oder die Luzerner Neuesten Nachrichten. Und immer wieder auch für das Exilblatt Über die Grenzen.


Von der Schweiz aus organisierte sie den Kampf gegen die Faschisten in Deutschland und ließ illegal Flugblätter im Dritten Reich verteilten, an deren Texten sie beteiligt war. Zugleich gründete sie die Gruppe Neuer Chor Zürich und entwickelte vor allem mit Schweizer Mitgliedern pantomimische Agitprop-Montagen über die Lage der Exilanten in der neutralen Schweiz oder über die sozialen Bedingungen im Gastland.

Erstaunlich, woher diese Frau ihre Kraft nahm, um an unerlaubten Veranstaltungen der Kommunistischen Partei teilzunehmen, Pamphlete zu schreiben, Kulturveranstaltungen mit deutschen Flüchtlingen in Schweizer Internierungslagern zu organisieren und mit Widerstandsgruppen in Deutschland zu kooperieren. Jo Mihaly gründete verschiedene Exilantenorganisationen wie die Kulturgesellschaft der Emigranten in der israelischen Flüchtlingshilfe in Zürich oder die Freie deutsche Bewegung in der Schweiz.


Foto: PrivatGleich nach dem Ende der Nazidiktatur ging sie nach Frankfurt am Main, also zurück nach Deutschland, gründete den SDS und die Freie Deutsche Kulturgesellschaft, engagierte sich in der städtischen Kulturkommission. Prompt verweigerte das US-Militär der politisch links orientierten Künstlerin die Rückkehr zu Mann und Kind nach Zürich.

Doch die Zeiten normalisierten sich: Ab 1949 lebte Jo Mihaly als freie Schriftstellerin in Ascona. Die Stadt Zürich zeichnete sie gleich dreimal mit ihrem Ehrenpreis aus. Eine Freidenkerin aber blieb sie bis zuletzt.


Autor:

Hajo Jahn


Bibliographie:

Hüter des Bruders, Roman (Zürich 1942),
…da gibt’s ein Wiedersehn! – Kriegstagebuch eines Mädchens – 1914-1918, Verlag F. H. Kerle, Freiburg/Heidelberg 1982
Gedichte in der Fremde (Zürich, Posen 1945, Beitrag in: Wir verstummen nicht) Beitrag in: Gesang auf dem Wege, Anthologie (Affoltern 1945)

Weitere Beiträge und Werke u.a.: Ballade vom Elend, 1927 (Epos, mit Scherenschnitten v. Vf.); Kasperltheater, 1929 (Kinderbuch mit Zeichnungen v. Vf.), Wir verstummen nicht, Gedichte, In der Fremde, 1945 (mit L. Ajchenrand und Stefan Hermlin); Die Steine, 1945 (Emigrationsroman); Das Leben ist hart, Drei Geschichten aus dem Tessin, 1954; Der weiße Zug, 1957 (Tier-Novellen), Weihnachten auf der Hallig, 1957; Bedenke, Mensch -, 1958 (Epos, mit 25 Fotografien barocker Darstellungen des ländlichen Todes im Tessin v. R.Jenny); Ländlliche Madonnen im Tessin, 1958 (zu Fotos von dems.); Gib mir noch Zeit zu lieben, 1970; Was die alte Anna Petrowna erzählt, 1970 (Erz. aus dem alten Rußland); Der verzauberte Hase, 1971 (Erz.); Drei Weihnachtsgeschichten, 1984 (mit Lebensbericht in Stichworten, Werkeverz.).

Lit: BHb; Archiv HH; Karina / Kant: Tanz unterm Hakenkreuz; Aufbau; DBJ; STS.

aus: KünstlerKolonieKurier Nr. 5 – August 1998

http://www.kuenstlerkolonie-berlin.de/bewohner/mihaly.htm


Literatur:

Jo Mihaly: Auch wenn es Nacht ist (Roman).
Herausgegeben und mit einem Nachwort von
Thomas B. Schumann und mit Reminiszenzen von Anja Ott
Edition Memoria, Köln 2002, ISBN 3930353172

dies.: Gedenkrede auf die Kämpfer im Warschauer Ghetto. 1943
(Gehalten im Rahmen der Kulturgemeinscgaft der Emigranten in Zürich am 19.12.44) in: EXIL, 21. Jg., Nr.2, 2001, ISSN 0721-6742, S. 35-38

Meike Mattick: „Vorsicht Kinder“ – Jo Mihalys Kinderkabarett
in: EXIL, 21. Jg. Nr.2, 2001, ISSN 0721-6742, S. 19-34


Links (deutsch):

http://www.perlentaucher.de/autoren/10376.html

http://www.sk-kultur.de/tanzvideo/tvk1156.htm

http://cv-muc.de/2002/021111.htm

volume_up.gifhttp://cv-muc.de/fpx/jo_anjaott.ram

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