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Hase, Annemarie

H.A.M. 0

Annemarie Hase (eigtl. Annita Maria Hirsch)

Kabarettistin, Sängerin und Schauspielerin

Geb. 14.06. 1900 in Berlin

Gest. 22.02. 1971 in West-Berlin


In den Goldenen Zwanzigern des letzten Jahrhunderts ist Annemarie Hase ein Star der deutschen Kabarett-Szene. Sie steht auf allen bekannten Berliner Kleinkunst-Bühnen, und Künstlergrößen wie {ln:Hollaender, Friedrich ‚Friedrich Hollaender}, {ln:Tucholsky, Kurt ‚Kurt Tucholsky}, {ln:Vallentin, Hermann ‚Hermann Vallentin}, Marcellus Schiffer, Klabund und {ln:Kästner, Erich ‚Erich Kästner} texten für sie.


Das dritte von fünf Kindern eines Seifenfabrikanten wächst in einer assimilierten Familie auf, in der man preußisch-deutsch (und nicht jüdisch) lebt.  Die junge Annemarie (wie man sie schon von klein auf nennt) genießt eine unbeschwerte Kindheit, die allerdings durch den frühen Tod des Vaters überschattet wird. Da ist sie erst 13 Jahre alt. Plötzlich steht die Familie vor großen wirtschaftlichen und finanziellen Problemen. Trotzdem fasst Annemarie Hirsch den Entschluss, Schauspielerin zu werden und bewirbt sich an der Max Reinhard-Schule. Ihr Traum ist das ernste Charakterfach. Es sollte ganz anders kommen.


Nach ersten Engagements am Theater Osnabrück und in Halberstadt steht sie schließlich 1921 in dem von Max Reinhardt in seinem Großen Schauspielhaus wiederbelebten literarischen Kabarett Schall und Rauch erstmals auf einer Kleinkunstbühne.  Hier gibt es nur Kabarett vom Feinsten, und neben der jungen Annemarie stehen so renommierte Künstlernamen wie die von {ln:Heymann, Werner Richard ‚Werner Richard Heymann}, Friedrich Hollaender, Kurt Tucholsky, Klabund, {ln:Mehring, Walter ‚Walter Mehring}, {ln:Spoliansky, Mischa ‚Mischa Spoliansky}, {ln:Ringelnatz, Joachim ‚Joachim Ringelnatz}, {ln:Graetz, Paul ‚Paul Gratez} und {ln:Ebinger, Blandine ‚Blandine Ebinger} auf dem Programmzettel. 


Richtig entdeckt wird die Kabarettistin dann allerdings von Trude Hesterberg, die sie auf ihre Wilde Bühne holt, damals ein künstlerisches Sprungbrett für zahlreiche Kabarett-Talente. Auch und vor allem mit ihren Parodien auf Vorstadt-Soubretten gehört Annemarie  Hase (wie sie sich nun nennt) sehr bald zum Kreis profilierter Kabarettistinnen, denen Dichter wie Klabund bissige Texte auf den Leib schneidern. Mit ihrem ganz eigenen Stil verkörpert Annemarie Hase im politischen Kabarett der 20er Jahre den zupackend, derben Frauentyp (ebenso wie ihre Kabarett-Kolleginnen {ln:Valetti, Rosa ‚Rosa Valetti} und Kate Kühl), der mit unverkennbarer Berliner Schnauze das Publikum begeistert.


Neben ihrer Kabaretterfolge zieht es Annemarie Hase immer wieder auf die Theaterbühne, zum von ihr schon früh geliebten Charakterfach. In Berlin sieht sie dafür (da festgelegt auf ganz bestimmte Typen) jedoch keine Möglichkeit und geht 1922 an die Münchner Kammerspiele, wo sie u.a.  in {ln:Brecht, Bertolt ‚Bertolt Brechts} “Trommeln in der Nacht“ auf der Bühne steht. Weitere Engagements am Deutschen Volkstheater in Berlin und am Kleinen Schauspielhaus in Hamburg bis Anfang der Dreißiger bleiben allerdings ohne nachhaltigen Erfolg.


Auf der Kleinkunstbühne hingegen ist und bleibt Annemarie Hase ein Star, nicht zuletzt in sämtlichen Revuen Friedrich Hollaenders von 1927 bis 1933. In seiner ersten Revue “Das bist du!“ schreibt und komponiert er extra für sie die Nummer: “Der Potsdamer Edelfasan oder Die letzte Haarnadel“. Als Hollaender 1931 das Tingel-Tangel-Theater neu eröffnet, gehört Annemarie Hase zu den tragenden Kräften in seinen Revuen, die durchaus auch mit zeitkritischer Bissigkeit nicht sparen, und dies ganz besonders vor dem Hintergrund des drohenden politischen Umschwungs. Hollaender (in Berlin hatte er sich und {ln:Dietrich, Marlene ‚Marlene Dietrich} internationalen Ruhm mit dem Chanson “Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ für den Film “Der blaue Engel“ – nach der Romanvorlage “Professor Unrat“ von {ln:Mann, Heinrich ‚Heinrich Mann} – geschaffen) hält der feinen Berliner Sorglos-Gesellschaft gnadenlos den Spiegel vor, ganz besonders mit dem von Annemarie Hase gesungenen Chanson “An allem sind die Juden schuld“. Auch in Werner Fincks Katakombe ist sie ein gern gesehener Gast. Zwischen 1921 und 1933 steht die Hase neben allen wichtigen Kabarettgrößen auf der Bühne: von Blandine Ebinger über {ln:Gert, Valeska ‚Valeska Gert} und {ln:Gerron, Kurt ‚Kurt Gerron} bis Paul Graetz und Rosa Valetti.


Die Karriere von Annemarie Hase wird durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 jäh beendet. Trotz des gegen sie erlassenen Auftrittsverbotes will die jüdisch-stämmige Künstlerin so lange wie möglich als Kabarettistin arbeiten. Die konvertierte Protestantin verlässt die Evangelische Kirche, tritt dem Juni 1933 gegründeten Jüdischen Kulturbund bei und findet ihr bescheidenes künstlerisches Nischendasein fortan in Privaträumen, später im Cafe Leon am Lehniner Platz. Mit den zunehmenden Repressalien gegen jüdische Mitbürger geht sie schließlich 1936 ins britische Exil nach London. In den ersten Jahren hält sie sich, in Ermangelung einer offiziellen Arbeitserlaubnis, mit Gelegenheitsjobs und Strickarbeiten über Wasser. Ihre Karriere als Kabarettistin kann sie erst einmal nicht fortsetzen, da einerseits in Großbritannien das literarisch-politische Kabarett keine Tradition hat und Annemarie Hase nicht zu den ganz großen Stars wie {ln:Bergner, Elisabeth ‚Elisabeth Bergner} oder {ln:Kortner, Fritz ‚Fritz Kortner} gehört, für die Großbritannien nur eine Zwischenstation auf dem Weg in die USA ist.


Künstlerisch aktiv wird sie erst wieder Ende der 30er Jahre mit dem von Emigranten (wie {ln:Kuczynski, Jürgen ‚Jürgen Kuczynski}) begründeten Freien Deutschen Kulturbund, dessen erster Präsident {ln:Flesch-Brunningen, Hans ‚Hans Flesch-Brunningen} ist. Annemarie Hase gehört zu den engagiertesten Trägerinnen dieser Initiative, tritt nicht nur auf, sondern übernimmt auch das Einstudieren der Songs. Bis 1943 entstehen so in der Upper Park Road einige polit-satirische Revuen, die sogar in renommierten Zeitungen wie The Observer eine durchaus positive Resonanz finden, von deren Einnahmen aber keiner der Beteiligten schlussendlich leben kann.


1940 wird die Kabarettistin von der BBC engagiert. Bereits seit 1938 unterstützt der Sender den sogenannten Ätherkrieg durch die Produktion von Sendungen in deutscher Sprache, die via Volksempfänger in Deutschland nur heimlich (da streng verboten) gehört werden können. Die Produzenten entdeckten im Laufe des Zweiten Weltkrieges auch und vor allem die Satire als wirksame Waffe, um die Lügen und Verdrehungen der Nazi-Propaganda zu entlarven. Annemarie Hase leiht der Radiokunstfigur Frau Wernicke ihre Stimme, richtet sich dabei gezielt an die “kleinen Leute“, bringt Versorgungsengpässe und Kriegsopfer zur Sprache, macht den “Führer“ und andere Nazi-Größen lächerlich – und deren Gegnern so auf hintersinnige Weise Mut. Die Texte für Hases Satirefigur stammen aus der Feder von Bruno Adler, einem ebenfalls ins Londoner Exil getriebenen aus Böhmen stammenden Kunst- und Literaturprofessor.


Frau Wernicke existiert bis Ende Januar 1944 und erreicht eine millionenfache Zuhörerschaft. Nach einer Tumor-OP 1944, die ihr rechtes Auge fortan entstellt, bricht Annemarie Hase ihre Arbeit bei der BBC abrupt ab und zieht sich für Monate auch von der Bühne zurück.


Nach Ende des Zweiten Weltkrieges kehrt sie 1947 als eine der Ersten zurück nach Berlin und schafft es – im Gegensatz zu zahlreichen anderen   Künstlerkollegen – , wieder ihren Platz im nachkriegsdeutschen Kulturbetrieb zu finden. Annemarie Hase setzt ihre Bühnenlaufbahn als Theaterschauspielerin (z.B. bei Brechts Berliner Ensemble, am Theater am Kurfürstendamm und der Freien Volksbühne) fort und beteiligt sich zudem am Aufbau der Schaubühne am Halleschen Ufer, wo sie dann auch in einigen der ersten Produktionen mitwirkt. 1948 steht Annemarie Hase in der Artur Brauner-Produktion “Morituri“, und 1951 – unter der Regie von Falk Harnack und an der Seite von {ln:Geschonneck, Erwin ‚Erwin Geschonneck} – in der DEFA-Produktion “Das Beil von Wandsbek“ vor der Kamera und arbeitet noch bis in ihre letzten Lebensjahre auch fürs Fernsehen. Der TV-Abenteuerfilm “Unterwegs nach Kathmandu“ (Musik: Ravi Shankar) wird in ihrem Todesjahr 1971 ausgestrahlt.


Hörtipp:

Wolfgang M Schwiedrzik (Hrsg.): “Das Zersägen einer lebenden Dame. Die Kabarettistin und Schauspielerin Annemarie Hase.“ Chansons und Texte. 1999, Edition Mnemosyne. Text von Friedrich Hollaender; Klabund; Joachim Ringelnatz; Kurt Tucholsky; Hermann Valentin; Bruno Adler; Egon Larsen. Audio CD. ISBN: 978-3-934012-02-8


Quellen:

{ln:nw:https://de.wikipedia.org/wiki/Annemarie_Hase }

{ln:nw:http://www.facultas.at/list/9783934012028 }


Links (deutsch):

volume_up{ln:nw:http://www.dra.de/online/hinweisdienste/wort/2000/juli14.html#hoerzitat }

volume_up{ln:nw:https://www.youtube.com/watch?v=EhKtQASpbY0 }

{ln:nw:http://defa-sternstunden.de/index.php?option=com_content&view=article&catid=34:h&id=312:annemarie-hase }

{ln:nw:https://books.google.de/books?id=pKL97ZMvDwgC&pg=PA296&lpg=PA296&dq=Annemarie+Hase&source=bl&ots=GcYHOOgkU7&sig=DzLKxcqqmC3Oax2M49Zn-FzbcXE&hl=de&sa=X&ved=0CCIQ6AEwATgyahUKEwjq_bKXyLXIAhXH1xQKHZmDAjQ#v=onepage&q=Annemarie%20Hase&f=false }


International:

{ln:nw:http://www.imdb.com/name/nm0352037/ }

{ln:nw:https://en.wikipedia.org/wiki/Annemarie_Hase }

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