Drücke „Enter”, um zum Inhalt zu springen.

Berendsohn, Walter Arthur

H.A.M. 0

Walter Arthur Berendsohn

Germanist, Exilforscher

Geb. 10.09.1884 in Hamburg

Gest. 30.01.1984 in Stockholm/ Schweden


Walter A. Berendsohn, geboren als Sohn jüdischer Eltern und seit 1889 Waise, absolvierte er zunächst eine kaufmännische Ausbildung bevor er 1904 seinen Militärdienst als Einjährig Freiwilliger absolvierte. Anschließend nahm Berendsohn in Berlin ein Studium der Germanistik, Nordistik und Philosophie als Gasthörer auf und holte parallel dazu das Abitur nach. Nach Studien in Freiburg und München, wechselte er 1909 nach Kiel, wo er 1911 mit der Dissertation „Stil und Form der Aphorismen Lichtenbergs. Ein Baustein zur Geschichte des deutschen Aphorismus“ zum Dr. phil. promoviert wurde. Erste Texte hatte Berendsohn bereits seit 1909 veröffentlicht und dabei das Pseudonym Bernhard Florian verwandt. Diese frühen Arbeiten dokumentieren sein Interesse an der Auseinandersetzung mit Literatur. Aber auch Publikationen über studentische Angelegenheiten und die Leitung von Studienfahrten in das europäische Ausland sowie die USA bezeugen das Engagement des Studenten.


Am 1. August 1914 trat Berendsohn die Position eines wissenschaftlichen Hilfsarbeiters bei Conrad Borchling an, wurde jedoch schon drei Tage darauf zum Kriegsdienst eingezogen. Berendsohn, den die Schrecken des Krieges zeit seines Lebens nicht mehr losließen, wurde selbst zwei Mal verwundet und mit den Eisernen Kreuzen erster und zweiter Klasse ausgezeichnet. In den letzten Kriegswochen heiratete er Dorothea Margaretha Eggert, mit der er zwei Töchter hatte. Annie Elizabeth kam am 18. Oktober 1919 zur Welt, Karin Ilse am 18. Juli 1926.


In der 1919 gegründeten Universität Hamburg gehörte Berendsohn zu den ersten habilitierten Hochschullehrern. Am Germanischen Seminar habilitierte er sich 1920 mit der im darauffolgenden Jahr erschienenen Arbeit „Grundformen Volkstümlicher Erzählkunst in den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Ein stilkritischer Versuch“. Kontrovers wurde aufgenommen, dass er 1921 eine zeitgenössische Joseph-Dichtung dem jungen Goethe zuschrieb und dies in weiteren Arbeiten zu untermauern suchte. Am Germanischen Seminar der Universität angesiedelt, arbeitete Berendsohn sowohl zu deutscher als auch zu skandinavischer Literatur, insbesondere zu August Strindberg, Selma Lagerlöf und Knut Hamsun. 1926 wurde er zum außerplanmäßigen Professor und Leiter der skandinavistischen Abteilung ernannt.


Frühe Prägungen und die Schrecken des Ersten Weltkrieges bestätigten Berendsohn in seiner humanistischen und pazifistischen Weltanschauung. 1920 trat er der zum „Freimaurerbund zur aufgehenden Sonne“ gehörenden Loge „Menschentum“ bei und publizierte fortan regelmäßig in masonischen Periodika, war zeitweise Mitherausgeber der „Ethischen Kultur“. Den Zielen der Völkerverständigung und des Friedens verpflichtet, bezog er gegen die zunehmenden Angriffe der Nationalsozialisten auf die Weimarer Republik Stellung und trat 1926 der SPD bei. Seine jüdische Abstammung war für Berendsohn in dieser Zeit nicht identitätsstiftend. Für die im sozialistischen Milieu verwurzelte freireligiöse Gemeinde Hamburgs verfasste er beispielsweise einen Beitrag über deren „Ideen- und Aufgabenkreis“.


Religiöse Toleranz stellte Berendsohn ins Zentrum seiner Rede „Abschied von Deutschland“ auf dem Lessing-Abend der jüdischen Kinderhilfe Hamburgs am 26. Juni 1933. Zu diesem Zeitpunkt stand er – wegen seiner jüdischen Herkunft und seiner weltanschaulichen Ausrichtung von den neuen nationalsozialistischen Machthabern verhasst – kurz vor seiner Entlassung aus der Universität auf Grundlage des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Berendsohn flüchtete schließlich am 15. Juli 1933 nach Lyngby bei Kopenhagen. Die intellektuelle Beschäftigung mit Literatur war ihm „längst Zuflucht und Schutzschicht gegen die Wirklichkeit geworden, eine geistige Heimat, die mir niemand rauben konnte. ( Walter A. Berendsohn, Weltbürger. Lebenserinnerungen. München: Limes Verlag 1948, S. 13. )“Im September meldeten deutsche Zeitungen schließlich, Berendsohn, dessen humanistische Ideale in Deutschland nunmehr offensichtlich unterlegen seien, habe sich das Leben genommen. Der Totgesagte stellte diese Falschmeldung richtig, verlor im dänischen Exil jedoch 1936 seine Staatsbürgerschaft. Zudem wurde ihm von der Universität Kiel seine Promotion aberkannt.


Die Hoffnung, an der Kopenhagener Universität seine Lehr- und Forschungstätigkeit wieder aufnehmen zu können, wurde nicht erfüllt. Berendsohn, der sich von den schwierigen Umständen des Exils nicht entmutigen ließ, entfaltete rege Vortrags- und Publikationsaktivitäten. Dabei war er bemüht, auch im Exil seine wissenschaftlichen Interessen weiter zu verfolgen. Zudem warnte er vor den Nationalsozialisten, redete und schrieb gegen deren menschenverachtendes Gedankengut an. Am 25. September 1943 floh Berendsohn in nächtlicher Ruderbootfahrt über den Öresund nach Schweden. Wie schon bei seiner ersten Flucht vor den Nazis führte er auch dieses Mal wieder Studien zu einem Buch – nunmehr über August Strindberg – mit sich. Das Typoskript seines zum Druck im Züricher Europa Verlag Emil Oprechts bestimmten Buches „Die humanistische Front. Einführung in die deutsche Emigranten-Literatur. 1. Teil: Von 1933 bis zum Kriegsausbruch 1939“ musste er in Dänemark zurücklassen. Tatsächlich erschien es erst 1946.


Die Beschäftigung mit August Strindberg konnte Berendsohn in Stockholm als Archivarbeiter des Strindberg-Archivs der Königlichen Bibliothek fortsetzen. Zugleich war er maßgeblich an der Gründung des „Freien Deutschen Kulturbundes“ in Schweden beteiligt und bestrebt, die weltanschaulich heterogenen Emigranten auf dem gemeinsamen Boden der Kultur zusammenzubringen.


Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hoffte Berendsohn auf eine Rückkehr nach Hamburg. Doch an der Philosophischen Fakultät der Universität bestand kein Interesse daran, ihr ehemaliges und vertriebenes Mitglied zurückzuholen. In der NS-Zeit hatte der Germanist Hans Pyritz eine Professur in Berlin erlangt, für die er im demokratischen Nachkriegsdeutschland als untragbar galt. In Hamburg hingegen wurde Pyritz erneut mit einer Professur bedacht. Die Bemühungen Berendsohns, der auch Gastvorträge und ein Gastsemester an seiner Alma mater in Betracht gezogen hatte, hintertrieb Pyritz und scheute dabei nicht vor Diffamierungen, die Berendsohns wissenschaftliche Reputation in Zweifel zogen, zurück. Auch dass seine Promotion von den Nationalsozialisten aberkannt worden war, wurde gegen Berendsohn vorgebracht. Dessen Ansprüche an die Universität Hamburg betrafen seit 1952 die Anerkennung seiner außerplanmäßigen Professur vor 1933 und die zu erwartende Berufung auf einen ordentlichen Lehrstuhl sowie die hiermit verbundenen Bezüge als Emeritus. 1954 wurde ihm die venia legendi schließlich mit dem Hinweis wieder erteilt, von einer Ausübung dieser Lehrbefugnis möge er absehen.


An der Universität Stockholm konnte Berendsohn hingegen seit 1952 unterrichten, da ihm der schwedische Germanist Gustav Korlén eine Dozentur angeboten hatte. Mit Unterstützung Korléns initiierte Berendsohn das in Stockholm 1969 veranstaltete Symposium über „Deutsche Literatur der Flüchtlinge aus dem Dritten Reich“. Mit seiner Forderung nach einer „Grundforschung“, die zunächst im Exil entstandene Werke zusammentragen, sammeln und archivieren sollte, formulierte er die programmatische Ausrichtung dieser ersten Periode der Exilforschung. Zur wissenschaftlichen Vernetzung wurde in Stockholm eine „Koordinationsstelle“ eingerichtet, die mit regelmäßigen Berichten über Aktuelles aus der Exilliteraturforschung informierte.


Darüber hinaus betätigte sich Berendsohn als Förderer von Nelly Sachs, die ebenfalls nach Schweden geflohen war. Zur Unterstützung der materiell unter schwierigen Bedingungen lebenden Dichterin organisierte er etwa die Subskription des Bandes „Eli, ein Mysterium vom Leiden Israles“. Als Vorschlagsberechtigter gelang es Berendsohn 1966, die Schwedische Akademie davon zu überzeugen, den Literaturnobelpreis Nelly Sachs zuzuerkennen. Auch an der Friedensnobelpreiskampagne für Willy Brandt 1971 hatte er maßgeblichen Anteil.


Für seine Leistungen verlieh ihm die Universität Stockholm 1974 die Ehrendoktorwürde. Ausstellungen in Frankfurt am Main, Worms und Dortmund waren ihm im selben Jahr gewidmet. Hochbetagt im Alter von 98 Jahren gestand die Universität Hamburg dem Vertriebenen 1982 schließlich zu, an ihm gefehlt zu haben und zeichnete ihn mit dem Ehrendoktorat aus. Am 30. Januar 1984 starb Berendsohn in Stockholm. Die Umbenennung der 1970 an der Universität Hamburg eingerichteten Arbeitsstelle für deutsche Exilliteratur in „Walter A. Berendsohn Forschungsstelle für deutsche Exilliteratur“ im Jahr 2000 wie auch die Eröffnung des „Walter A. Berendsohn Dokumentationszentrums“ an der Hebräischen Universität Jerusalem im darauffolgenden Jahr würdigen den Nestor der Exilforschung posthum im akademischen Kontext.


Quellen:

Teilnachlass Walter A. Berendsohn im P. Walter Jacob Archiv der Walter A. Berendsohn Forschungsstelle für deutsche Exilliteratur

http://www1.slm.uni-hamburg.de/de/forschen/arbstzentren/exilforschung/02_archiv/01_bestaende.html


Literatur:

  • Doerte Bischoff, Die jüdische Emigration und der Beginn einer (trans-)nationalen Exilforschung: Walter A. Berendsohn. In: Auch an der Universität. Über den Beginn von Entrechtung und Vertreibung vor 80 Jahren. Reden der Zentralen Gedenkveranstaltung der Universität Hamburg im Rahmen der Reihe „Hamburg erinnert sich 2013“ am 8. April 2013, hrsg. von Rainer Nicolaysen (Hamburger Universitätsreden N.F., Bd. 19). Hamburg 2014, S. 53-76.
  • Claudia von Mickwitz, Walter Arthur Berendsohn – Vom Emigranten zum Exilforscher. Germanistisches Wirken unter den spezifischen Bedingungen des schwedischen Exils. Frankfurt/Main 2010.
  • Walter A. Berendsohn. Chronik und Dokumentation. Zusammenstellung von Arie Goral. Hamburg 1984.
  • Zweifache Vertreibung. Erinnerungen an Walter A. Berendsohn, Nestor der Exil-Forschung, Förderer von Nelly Sachs. In Verbindung mit Jakob Hessing und Helmut Müssener hrsg. von Hermann Zabel. Essen 2000. 

Autor:

Andreas Marquet


Links (deutsch):

http://www.dasjuedischehamburg.de/inhalt/berendsohn-walter-arthur

Die Kommentare sind deaktiviert.