Traugott Fuchs
Philologe, Maler, Lyriker, und Schriftsteller
Geb. 23. 11. 1906 in Lohr/Elsass
Gest. 21. 6. 1997 in Beyoglu (Istanbul)/Türkei
„Male, Traugott, male !
Der Leib – er ist nur Schale
Du musst aus dieser Schale
gesprungenem, spröden Kleid
herausschälen die strahlende
Blume der Geistigkeit.“
(Traugott Fuchs, um 1970)
Die Kindheit im elsässischen Dorf Lohr war für den Viertgeborenen der Pfarrersfamilie von Carl und Adelheid Fuchs das Paradies. Die erste Schulzeit und den Beginn des 1. Weltkriegs erlebte Traugott in Karlsruhe, dann lebte die Familie in einer Pfarrei in Metz/Lothringen. Die Berührung mit französischer Kultur – auch in der mütterlichen, urelsässischen Familie schon lange vollzogen – wurde vom streng preußisch gesinnten Vater abgelehnt, vom Sohn umso mehr gesucht. Nach dem Kriegsende votierte der Vater für Deutschland, die Familie musste das inzwischen französische Metz verlassen und zog in die Lutherstadt Schmalkalden im Thüringer Wald. Das wurde von den Kindern zunächst als Exil empfunden, wurde dann jedoch dauernde und eigentliche Heimat der Familie.
Traugott Fuchs absolvierte dort die Oberschule naturwissenschaftlicher Prägung, bei der Studienwahl setzte sich jedoch die frühe Neigung durch: Romanistik, dazu auch Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte.
Er studierte 1925 bis 1930 in Berlin, Heidelberg (u. a. bei Gundolf, Jaspers) und Marburg, wo er in den engeren Kreis um den Romanisten Leo Spitzer aufgenommen wurde. Als dieser einem Ruf nach Köln folgte, ging Fuchs mit ihm und wurde dort sein Assistent. Nach einem Jahr als Deutsch-Lektor an der Universität von Caen/Frankreich fand er bei der Rückkehr 1933 Deutschland und auch die Universität Köln in der Hand des NS-Regimes. Sein verehrter Lehrer Spitzer wurde, da jüdisch, aus der Universität gedrängt. Fuchs initiierte unter den Studenten eine Protestresolution und -Versammlung, wurde von der SA attackiert und verlor seine Assistentenstelle. Sogar der Versuch, einfach (bei E. R. Curtius) weiterzustudieren, scheiterte.
Inzwischen hatte Spitzer Deutschland verlassen: die junge Republik Türkei suchte damals für die von Atatürk betriebene Modernisierung ihrer Universitäten dringend westliche Akademiker und bot einer erheblichen Anzahl der von NS-Deutschland verschmähten, exzellenten Philologen, Soziologen, Verwaltungsfachleuten, Naturwissenschaftlern, Medizinern, Architekten und Künstlern Arbeits- und Lebensmöglichkeiten. Spitzer fand seine Aufgabe an der Universität Istanbul und holte Fuchs, der perspektivlos in Schmalkalden hing, nach (ebenso wie andere politisch verfolgte Assistenten: Hans Marchand, Heinz Anstock, Rosemarie Burkhard, Eva Buck und Herbert und Lieselotte Dieckmann). So traf Fuchs Februar 1934 „mit zwei Koffern“ in Istanbul ein.
Zunächst unterrichtete er Französisch an der Fremdsprachenschule der Universität, dann begründete er in Spitzers Auftrag, anstelle eines noch fehlenden Germanistik-Professors, die Germanistische Abteilung der Universität Istanbul. Hieraus entsteht seine Haupttätigkeit, die Lehre der Deutschen Sprach- und Literaturgeschichte, die er bis 1983, also fast 50 Jahre, ausübte, seit 1943 auch am amerikanischen Robert College, das 1971 in die staatliche Bosporus-Universität umgewandelt wurde. Während die meisten der Emigranten die Türkei schon 1945 oder bald danach verlassen, ist Fuchs dort bis an sein Lebensende geblieben. Spitzer hat das Land 1936 für einen Ruf in die USA verlassen, sein Nachfolger wurde der ebenfalls NS-verfolgte Erich Auerbach aus Marburg. Um die beiden bildete sich ein Kreis junger deutscher und türkischer Philologen, in dem sich das Erblühen akademischen Lebens in der erneuerten Türkei auf belebende Weise zeigte. Fuchs widmete sich wieder seiner Doktorarbeit, diese wurde von Spitzer akzeptiert, vor der Promotion wurde sie jedoch bei einem der (in der Türkei damals noch häufigen) Wohnungsbrände vernichtet – ein herber Rückschlag.
Nachdem die Türkei 1944 in die Kriegsallianz gegen NS-Deutschland eintrat, internierte sie alle deutschen Staatsangehörigen, Emigranten wie NS-Anhänger. Fuchs war so in Corum mitten in Anatolien für 13 Monate interniert. Fern seiner Universität, malte er intensiv unter schwierigen Bedingungen. Seine „Corum-Bilder“ geben heute lebendiges Zeugnis von Land und Menschen und Leben in Mittelanatolien vor 1950.
Zurück in Istanbul Ende 1945, nahm er die Lehrtätigkeit wieder auf. Sein Lebensmittelpunkt war nun der Campus des Robert College (Bosporus-Universität). Er war verwurzelt im Milieu der Emigranten, und nach dem Weggang der meisten von ihnen blieb er dank einer extensiven wie intensiven Korrespondenz innerhalb eines weltumspannenden Netzwerks früherer Kollegen und Freunde. Bestimmend war die Freundschaft mit dem Orientalisten Hellmut Ritter, der auch nach dem Kriege noch viele Jahre am Bosporus lebte, und ab 1953 der Briefwechsel mit Hermann Hesse. Vor allem malte er weiter mit Leidenschaft in sich entwickelnden Stilen, und wurde in Istanbul mit drei Einzelausstellungen (1955, 1986, 1997) präsentiert. Die Frage einer Rückkehr nach Deutschland stellte sich wohl, doch war Fuchs inzwischen am Bosporus zu sehr gebunden, verstrickt:
„Ich stieg ins ……Schiff, vollkommen verzaubert in all der Bosporusschönheit verfangen, bis zur Brücke, wissend, dass sie meine Schicksalslandschaft geworden ist, herbstlich herb und süß, voll Entsagen und bittersüßem Weh – aber die Fülle und – im persönlich beseelenden Sinn….“
(Traugott Fuchs, Tagebuch 1959)
Im Vergleich zu den Professoren der ersten Stunde waren die Assistenten und andere nachgeordnete Mitarbeiter keineswegs privilegiert und so den Unsicherheiten und Entbehrungen des Lebens in einem armen Land ausgesetzt. Fuchs ertrug diese Schwierigkeiten dank seiner ungewöhnlich bescheidenen Lebensführung, der Kampf um materielle und akademische Vorteile war seiner Bildung fremd. In hohem Alter war er so, schlecht geschützt, den äußeren Widrigkeiten unterlegen: sein gieriger Vermieter klagte ihn in mehreren Anläufen schließlich aus seiner jahrzehntelang bewohnten Wohnung heraus. Da war er 85 Jahre alt und bekam auch noch einen Schlaganfall. Zwar konnte er sich halbwegs erholen, verbrachte aber – geistig lebendig – weitere fünf Jahre im Österreichischen St.-Georgskrankenhaus in Beyoglu, bis am 21. Juni 1997 dort das Leben dieses beispielhaften Emigranten endete.
„Da steht sie schon, hochaufgerichtet, ernsten
Haupts
inmitten leuchtendgrünen sommerlichen Laubs,
damit wir eignen, andrer Tod doch nicht
vergessen:
dunkel und schwarz die mahnendste der
Zypressen.
O Welt, steh still: O Zeit, bleib stehn!
Ich möchte so gern die sommerlichen Früchte
länger sehn,
wie sie so sonndurchwaltet siegreich groß und
rund im tiefen Schatten leuchten
und unversehens mir die alten Augen feuchten.“
(Traugott Fuchs, aus dem Gedicht „Blick von meinem Platz aus hinaus in den Garten“, Nr. 13 des Zyklus „Vom heutigen Tage“, Bosporus-Universität, 10. IX. 1973)
Beim Wohnungsverlust waren Fuchs‘ schriftliche und gemalte Werke akut von der Vernichtung bedroht. Sie wurden gerettet durch den selbstlosen Einsatz zweier Nachbarn, Freunde und Kollegen: Frau Prof. Dr. Marion Leith (Maryland University Istanbul) und vor allem Frau Prof. Dr. Süheyla Artemel (Bosporus-Universität), unter deren Ägide jetzt nahezu der gesamte Nachlass Raum bei der Bosporus-Universität, Istanbul-Rumelihisar, gefunden hat. Durch ein Projekt des Historical Department der Universität wurde er in das Traugott Fuchs Cultural and Historical Heritage Archive überführt und steht seit Januar 2008 für künstlerische und wissenschaftliche Arbeiten daran, etwa zur Geschichte der Deutschen Türkei-Emigration 1933-45 zur Verfügung. Der Nachlass umfasst die Bilder und Zeichnungen, die Schriften einschließlich einer Reihe seiner Briefe, die von ihm empfangenen Briefe (etwa zehntausend), Photographien, seine Bibliothek Die Briefe von Traugott Fuchs an Hellmut Ritter befinden sich im Hessischen Staatsarchiv Marburg, die an Hermann Hesse im Deutschen Literaturarchiv Marbach oder im Schweizerischen Literaturarchiv Bern.
Der sichtbarere Teil von Fuchs Werk sind die Gemälde (ca 200) und Tausende von Zeichnungen. Gegenstände sind Menschen, Landschaften, städtische Veduten von Istanbul und Anatolien, Bosporus und Mittelmeer, der Malstil sehr variabel. „Was alle Bilder …. verbindet, ist die bedingungslose Hingabe an das Sujet, das Gemalte und an das Malen. ….Zugleich zeugen sie von Fuchs‘ bedingungsloser Liebe zu dem Land, …. das ihm wohl doch ein‚ süßlich-trauriges‘ Arkadien bot und war“ (A. Bonnet, in „Bilder der Sehnsucht“). Nach den obengenannten drei Ausstellungen in Istanbul wurde eine Auswahl seiner Gemälde und Zeichnungen unter dem Titel „Bilder der Sehnsucht“ mehrfach in Deutschland gezeigt (Köln 2001, Heidelberg 2001, 2003 Trier, Karlsruhe 2004, Schmalkalden 2008).
Fuchs‘ schon erwähnte Bescheidenheit brachte es mit sich, dass er trotz immenser schriftliche Betätigung fast gar nicht publizierte. In seinem Nachlass lagern so – unveröffentlicht – rund 400 Gedichte, Erzählungen, die Abhandlung Der Mensch – Lebenswichtige Etymologien“, ausführliche Vorlesungsskripten, Übersetzungen aus dem Alt-Türkischen (die Mevlid“-Legende), dem Neu-Türkischen und Französischen (Flauberts Legende vom Heiligen Julian, diese erschien in bibliophiler Ausstattung mit Holzschnitten der Graphikerin Herrad Fuchs). Wichtig ist auch Fuchs immense Briefkorrespondenz, nicht nur für die Geschichte der Türkei-Emigration im 3. Reich – seine eigenen Briefe stellen zumeist dank ihrer sorgfältigen Gestaltung und hochdifferenzierten Sprache kleine Kunstwerke dar, z. B. die an Hermann Hesse. Einer geeigneten (soziologischen?) Würdigung harren noch Fuchs‘ über Jahrzehnte geführte „Günaydin-Tagebücher, in denen er zu aktuellen Photographien oder Karikaturen aus dem Massenblatt ironische Kommentare – meist in Reimform – schrieb.
Wenngleich nicht gegenständlich fassbar, war sein Engagement in der Lehre und seine Begabung, seine Schüler und Mitmenschen zu begeistern, ein wesentliche Element von Fuchs‘ Wirksamkeit. Generationen von Studenten sind durch seine Schule gegangen, und die außerordentliche Wirkung seines Unterrichts und seiner Persönlichkeit für die Verbreitung von deutscher Sprache und Literatur, ja Kultur insgesamt, wird von zahlreichen Zeugnissen festgehalten (s. unter Literatur). Seine an Leo Spitzer und Erich Auerbach geschulte Literatur-Interpretation ist aus den umfangreichen erhaltenen Vorlesungsnotizen zu erschließen.
Literatur:
Zur Emigration deutscher Akademiker in die Türkei 1933 – 1945:
Fritz Neumark, Zuflucht am Bosporus: Deutsche Gelehrte, Politiker und Künstler in der Emigration 1933 – 1953, Verlag Josef Knecht, Frankfurt a. M. 1980 (Erwähnung Traugott Fuchs S. 92).
Anne Dietrich, Deutschsein in Istanbul, Leske + Budrich, Opladen 1998, Schriftenreihe des Zentrums für Türkeistudien Bd. 13 (12 Erwähnungen von Traugott Fuchs S. 258 – 394)
Regine Erichsen, Die Türkei als Zufluchtsort, Emigration deutscher Forscher 33 – 45, in: Forschung, Mitteilungen der DFG 2-3 1995, s. 33-35
Zu Traugott Fuchs, seiner Biographie und Exilsituation:
Traugott Fuchs, A Short Story of my Life, in: „Corum and Anatolian Pictures“, Bogazici Üniversitesi, Cultural Heritage Museum Publications I, 1986, S. 7 – 14.
Georg Stauth, Faruk Birtek (Hrsg.), Istanbul. Gesitige Wanderungen aus der „Welt in Scherben“, Transcript, Bielefeld 2007 (vor allem über Traugott Fuchs und Hellmut Ritter). Ab S. 280 Verzeichnisse weiterer Publikationen von (6 Titel) und zu Traugott Fuchs (27 Titel). Im Band vor allem:
Martin Vialon, Traugott Fuchs zwischen Exil und Wahlheimat am Bosporus. Meditationen zu klassischen Bild und Textmotiven, S. 53 – 130, und
Yasemin Özbek, Heimat im Exil. Lebensalltag am Bosporus in den Briefen von Traugott Fuchs an Rosemarie Heyd-Burkhard, S. 159 – 190
Gerald Wiemers, Suzan Kalayci, Bonds of Exile, in : Süheyla Artemel, Lale Babaoglu (Hrsg.), Bonds of Exile, Bosporus University, Dez. 2007
Anne Bonnet, Et in Arcadia Ego?, in: Hermann Fuchs (Hrsg.), Bilder der Sehnsucht (Broschüre zur Ausstellung, Deutsche Welle, Köln, 2001), S. 16 – 23
Süheyla Artemel, Nedret Kuran Burcoglu, Suat Karantay (Hrsg.), Traugott Fuchs – Ein in der Türkei verbrachtes Leben, CECA Publications, Istanbul 1995. (Katalog zur Ausstellung, Kunstgalerie im Marine-Museum). S. insbesondere die Beiträge von: Süheyla Artemel und Natascha Masanowitsch, von Nedret Kuran Burcoglu, von Walter B. Denny, von Özer Kabas, und von Sara Sayin.
Autoren:
Hermann Fuchs, Suzan Meryem Rosita Kalayci
Links (deutsch):
http://de.wikipedia.org/wiki/Traugott_Fuchs
International:
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