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Schwaen, Kurt

H.A.M. 0

Kurt Schwaen
Komponist (D)

Geb. 21. Juni 1909 in Kattowitz
Gest. 9. Oktober 2007 in Berlin


„Was du nicht mit drei Tönen sagst, das sagst du auch nicht mit hundert. Was du mit drei Tönen sagst, das sollst du mit hundert nicht widerrufen.“

(Kurt Schwaen)


Verständlichkeit, Klarheit und Kürze prägen das Schaffen des deutschen Komponisten Kurt Schwaen. Er hinterlässt über 600 Werke – darunter Chor-, Film-, Klavier- und Kammermusik, Sololieder, Musik für Kinder, Orchesterwerke, Konzerte, Opern und Ballette. Als Komponist bleibt er zeitlebens Autodidakt, er lernt aus dem Studium von Partituren und später aus der Praxis.


Am 21. Juni 1909 beginnt für Kurt Schwaen in Kattowitz ein langes und arbeitsreiches Leben. In  der oberschlesischen Bergbaustadt treffen deutsche und slawische Mentalitäten aufeinander. Das zeigt sich auch in der Musik. Zehn Jahre ist der Junge, als er 1919 seinen ersten Musikunterricht nimmt. 1921 findet in Oberschlesien eine Volksabstimmung statt. Darauf folgt die Teilung Oberschlesiens. Kattowitz kommt zu Polen, Schwaens Eltern werden polnische Staatsbürger.  


Bis 1928 unterrichtet Fritz Lubrich, ein Schüler des Komponisten Max Reger, den jungen Kurt Schwaen. Lubrich lehrt ihn Klavier- und Orgelspiel sowie Harmonielehre als Grundlage für das Komponieren. 1929 verlässt Schwaen die Heimat. In Breslau und Berlin studiert er Musikwissenschaft, Germanistik, Kunstgeschichte und Philosophie. Doch die Zeiten ändern sich – der Faschismus zieht in die Universitäten ein. Schwaen tritt 1931 in die Rote Studentengruppe ein. 1932 wird er KPD-Mitglied. In Berlin besucht er die „MASCH“ (Marxistische Arbeiterschule), bricht 1933 sein Studium ab und arbeitet illegal für die Kommunisten. 1935 verhaftet ihn die Gestapo und bringt ihn ins Untersuchungsgefängnis nach Moabit. 1936 verurteilen die Nazis ihn wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ zu drei Jahren Zuchthaus. Er wird zunächst in Luckau, später in Zwickau inhaftiert.


Nach seiner Freilassung verdient er als Pianist und Komponist im Berliner Studio für künstlerischen Ausdruckstanz der Gertrud Wienecke sein Geld. Erstmals wird hier Musik von ihm verlangt. Um 1940 entstehen die „Fünf Tanzbilder“ für Klavier. „Im Studio trifft er Oda Schottmüller und arbeitet mit ihr. Die Bildhauerin und Tänzerin wird als  Widerstandskämpferin verhaftet und 1943 von den Nazis hingerichtet“, erzählt Schwaens zweite Ehefrau Ina Iske Schwaen im Interview mit der Exil-Redaktion.


1942 heiratet Kurt Schwaen zunächst die Tänzerin Hedwig Stumpp. Ihr Vater ist der Maler, Grafiker und Pressezeichner Emil Stumpp, der 1940 im Gefängnis stirbt. Schwaen und seine Frau gründen das Emil-Stumpp-Archiv und retten es durch die Nazizeit. (Auch Emil Stumpp ist mit einer Biografie im Exil-Archiv vertreten.)


Schwaen bleibt das schlimme Schicksal von Stumpp und anderen NS-Opfern erspart: 1943 wird er für „wehrwürdig“ erklärt und in die Strafdivision 999 eingezogen. In dieser Spezial-Einheit kämpfen Kommunisten, Sozialdemokraten und religiös Verfolgte Seite an Seite mit Kriminellen an hoch-gefährlichen Kriegsschauplätzen. Die Männer dieses Himmelfahrtskommandos werden quer durch Europa und sogar nach Afrika geschickt. Schwaen muss nach Griechenland (Larissa, Insel Lemnos), Frankreich (Ile de Groix) und in die Tschechoslowakei. Kurz vor Kriegsende kommt er auf abenteuerliche Weise nach Berlin und taucht bis zur Befreiung am 2. Mai 1945 unter.
Nach dem Krieg findet Schwaen vielfältige Aufgaben: Endlich kann er sich künstlerisch entfalten. In seiner kompositorischen „Stunde Null“ ist er voller Pläne und Unternehmungsgeist. Ab 1947 hilft er in Berlin beim Aufbau der Volksmusikschulen, 1948 wird er Musikreferent der „Deutschen Volksbühne.“ Die Menschen hungern nicht nur nach Brot, sie sie gieren auch nach Kunst. Kurt Schwaen organisiert Wochenendkurse für Laienchöre und -orchester und komponiert für sie. Er verfasst Artikel und Bücher, wie 1952 das Werk „Über Volksmusik und Laienmusik“. Es entstehen Kantaten z. B. „Unsere schöne Heimat“, „Blüh, Vaterland, im Frieden“ oder „Karl und Rosa“ – Lieder, die ins DDR-Volksgut eingehen. So auch das lyrische Kinderlied „Wer möchte nicht im Leben bleiben“.


1949 trifft Schwaen auf Bertolt Brecht – eine fruchtbare Begegnung. Der Dichter bittet ihn um Melodien. Schnell findet der Komponist die passenden Töne. Brecht gefallen dessen Klänge: „Es wird wenig Leute geben, welche die lustige und wahrhaft edle Musik Schwaens nicht schön finden.“ (Schriften zum Theater, Bd. 3 Aufbau Verlag Berlin/Weimar 1964, S.359).  Mit der Vertonung von Brechts Lehrstück die „Horatier und die Kuriatier“ eröffnet sich dem Künstler ein neues Arbeitsfeld – das Musiktheater. Die Arbeit mit Brecht wirkt sich auf alle Bühnenwerke Schwaens aus, gerade auf die für Kinder. „Pinocchios Abenteuer“ wird mit über 800 Aufführungen zur erfolgreichsten Kinder-Oper in der DDR.


Schwaen musiziert später selbst mit Kindern: 1973 gründet er in Leipzig die Arbeitsgemeinschaft „Kindermusiktheater“. Er leitet sie bis 1980 gemeinsam mit der Musikpädagogin Ina Iske. Nach der szenischen Kantate „König Midas“ (1958), die zum beliebten Stoff im DDR-Musikunterricht wird, entstehen neun weitere Stücke, die Kinder aufführen können. Seine Erfahrungen legt Schwaen in der Schrift „Kindermusiktheater in der Schule. Erfahrungen und Anregungen“ nieder.


Seit 1953 ist Schwaen freischaffender Komponist. Er geht gern auf Wünsche und Anregungen ein, reagiert prompt, wenn etwas gebraucht wird. Seine produktive Ungeduld treibt ihn zu immer neuen Ufern. Die Liebe zu folkloristischen Themen lässt ihn fröhliche Werke für Akkordeon oder Zupforchester ebenso komponieren wie Lieder und Chöre nach Volksdichtungen. Vieles davon gilt als „Gebrauchsmusik“, was er durchaus positiv sieht.  Schwaen beschäftigt sich mit fast allen Gattungen und Instrumentengruppen – stets in einer durchsichtigen Schreibweise. Schnörkellos und knapp. Vorbilder sind ihm Bach, Mozart, Béla Bartók, Igor Strawinsky und Paul Hindemith.


Schwaens Lebenswerk umfasst auch Filmmusiken, etwa für den DEFA-Film „Sie nannten ihn Amigo“ und „Der Fall Gleiwitz“, in dem der Überfall Nazideutschlands auf den polnischen Sender dokumentiert wird. Als Künstler war er immer engagiert und davon überzeugt, dass Musik eine Funktion hat. Nach dem Tod seiner ersten Frau heiratet er 71-jährig die Musikpädagogin Ina Iske. Sie betreut bis heute mit Sachkenntnis und Engagement das Kurt-Schwaen-Archiv und die Homepage des Komponisten (www.kurtschwaen.de).


Für sein Schaffen erfährt Schwaen zahlreiche Ehrungen: 1961 wird er Mitglied der Deutschen Akademie der Künste in Berlin. Von 1962 bis 1978 ist er Präsident des Nationalkomitees Volksmusik der DDR. Der zweifache Nationalpreisträger der DDR und Träger des Karl-Marx-Ordens erhält nach der Wende das Bundesverdienstkreuz. 1983 wird Schwaen Ehrendoktor der Karl-Marx-Universität Leipzig. Bis zu seinem Tod am 9. Oktober 2007 ist er überzeugter, jedoch undogmatischer Kommunist, der seine Meinung offen vertritt und Kritik nicht scheut. Bei all seinen künstlerischen Erfolgen ist er stets bescheiden geblieben.


Autorin:

Asgard Dierichs

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