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Walden, Herwarth

H.A.M. 0

Herwarth Walden (eigtl. Georg Levin)
Komponist, Schriftsteller und Verleger


Geb.: 6. 9. 1878 in Berlin
Gest.: 31. 10 1941 im Gulag Satarow/ UdSSR


Herwarth Walden, der Herausgeber des STURM, war mit großer Wahrscheinlichkeit der erste Komponist, der Lieder für Else geschrieben hat – Vertonungen der Lyrik von Else Lasker-Schüler. Aber er saß auch neben der Quelle der Gedichte, war er doch zuerst Geliebter und ab 1903 Ehemann der Dichterin. Doch der Erste muß nicht der Beste sein, auch wenn er nicht der Erstbeste war. Indes, die Zehn Gesänge zu Dichtungen der Else Lasker-Schüler für eine Singstimme und Klavier waren sein Opus 1, verlegt 1909 bei Paul Reinicke Berlin, gedruckt in der Notendruckerei Paris & Co Berlin. Jedes Lied kostete in Noten 1,20 Mark. Zusatz: „Der Dichterin in Verehrung“.


Opus 1,1 war Dann. Das Gedicht beginnt mit vier Punkten. Diese vier Gedankenpunkte wollen sagen, da war doch etwas zuvor, sind knappe vier Takte Klavier Vorspiel in einem Andante animato. Animiert führt es hin zu Dann: „Dann kam die Nacht mit Deinem Traum/ Im stillen Sternebrennen/ Und der Tag zog lächelnd an mir vorbei/ Und die wilden Rosen atmeten kaum“, singt die Singstimme, unterlegt mit einem dolce piano des Pianos. Und einem Pianissimo „Nun sehn ich mich nach Trau – mes Mai nach Dei-nem Lie-be-of-fen-baren“ folgt als Crescendo „möch-te an Dei-nem Mun-de bren-nen (Achtelpause in der Stimme) ei-ne Traum-zeit von tau-send Jahren“, wobei eine Fermate in der linken Klavierhand die tausend Jahre auskostet, dann nachdrücklich singend wiederholt: „Möchte an Deinem Munde brennen, eine Traumzeit von tausend Jahren.“ Vier Takte Piano allein folgen bis ppp zwei Takte lang ein Akkord bis in die Ewigkeit hinein nachklingt.


Das kurze achtzeilige Dann entstammt dem Gedichtband Styx der Else Lasker-Schüler, erschienen Ende 1901. Walden, der da noch Georg Levin hieß, hatte die Dichterin zwei Jahre zuvor kennengelernt, vermutlich in der Neuen Gemeinschaft, jener Künstlergruppe, die von Peter Hille animiert wurde. In diesem Jahr 1899 hatte sie, die seit fünf Jahren in Berlin lebte, in der Revue Die Gesellschaft ihre ersten vier Gedichte veröffentlicht.

Sie war da 30 Jahre alt, Georg Levin neun Jahre jünger, aber sie hatte ihr Geburtsdatum korrigiert, sich um neun Jahre jünger gemacht. Um gleichalt mit ihrem Geliebten zu sein?

Er, 1878 in Berlin geboren, hatte gegen erheblichen Widerstand der Eltern einen künstlerischen Weg eingeschlagen, war Pianist geworden, Schüler von Conrad Ansorge, einem damals bedeutenden Pianisten, erhielt ein Stipendium der Weimarer Franz-Liszt-Siftung für Florenz. Von dort in Berlin zurück suchte er Künstlerkreise, fand die Neue Gemeinschaft, fand auch sie, die Bohémienne, umschwärmte sie. Sie hatte sich von ihrem Mann, dem Arzt Dr. Berthold Lasker getrennt, hatte gerade im Jahr der frühen Liebe mit Levin, ihren Sohn Paul geboren, der Vater ein Geheimnis. Levin verdiente seinen Lebensunterhalt mit Klavierunterricht und komponierte sein Opus 1, dessen Nr. 2 ihr Gedicht Vergeltung ist. Allegro ma non troppo, con gran espressione, beginnend im Forte, sich steigernd zum Fortissimo in höchsten Höhen zu einem Luftholen hin. Sodann setzt die Stimme ein: „Hab hinter Deinem trüben Grimm geschmachtet / Und der Tod hat in meiner Seele genachtet/ Und fraß meine Lenze“. Ein Takt Pause der Stimme und über einem Piano dolce des Pianos, ruhig, fast auf einem Ton: „Und da kam ein Augenblick“, so dann heiter in einem Crescendo sempre: „ein spie-lender, jauch-zender Au-gen-blick.“ Achtelpause: „Und tanz-te mit mir ins Le-ben zu-rück“, heftiges Crescendo bis zum Höhepunkt: „Bis zur Grenze“. Doch ein pianissimo dolce dolente folgt: „Aber das Netz vor meiner Augen zerriß/ vom plötzlichen Lichterglanz.“ Schmerzhafte Frage, wie Glück einfangen, wie glücklich sein ? „Der Tod hat sich fest an mein Leben gehangen/ Ich fühle immer stilleres Vergessen…“ Zwei Takte lang vergisst die Stimme weiterzusingen, bis von einem Pianissimo a tempo hinüber zu einem Mezzoforte die düstere Vision auftaucht: „Himmelzeichen künden Unheil an im Westen.“ Voll drohender Kraft endet das Klavier mit drei Basstönen in einem Fortissimo. Vergeltung.


„Vergeltung“, und „Verdammnis“ dann, Nr. 3. Alle Lieder von Else und für Else des Opus 1 entstammen ihrem Gedichtband Styx, Todesfluß, Lethe, Fluß des Vergessens.
„Und ich weine zu den Höllen“, ein Takt gibt Hoffnung: „Schenke mir Deine Arme eine Nacht.“ Und dann: „Zu den Himmeln fleh’ ich jede Nacht“. Nur noch ein Dreivierteltakt Pause: „Doch der Satan hetzt die Teufel auf mein Beten“, und im donnernden Fortissimo endet das Lied.
Bald sollte auch das Komponistenleben des Georg Levin enden, dem Else das Künstlerpseudonym Herwarth Walden für alle Zeit aufgedrückt hat.


Dem Opus 1 folgen nicht viele weitere. Er vertont noch Gedichte von Johann Wolfgang Goethe, Richard Dehmel, Arno Holz, der expressionistischen Lyriker August Stramm und Alfred Mombert, komponiert eine Oper Die Nachtwächter nach Theodor Körner und eine musikalische Pantomime Die vier Toten der Fiametta, die in Dresden aufgeführt wird. Die Verehrung für Else hat ihn zum Komponisten gemacht. Sie setzt sich für seine Musik ein, mit wenig Erfolg. Das Komponistenleben Herwarth Waldens endet, der musikalische Strom in ihm versiegt, er wechselt die Seiten, verfasst Opernführer und Monographien zu anderen Komponisten, so zu Richard Strauß.

Schließlich findet er seine Rolle in der Berliner Kunstbohème. 1904 gründete er den Verein für Kunst und begann mit der Förderung junger Autoren, die heute zur Weltliteratur zählen, wie Thomas und Heinrich Mann, Alfred Döblin und Gottfried Benn. Mit seinen Schriften (Expressionismus. Die Kunstwende, 1918) und vor allem als Herausgeber der Avantgardezeitschrift Der Sturm (1910-32) wurde er zu einem Vorkämpfer des Expressionismus, Futurismus und Kubismus in Deutschland.


Walden gründet eine Galerie und eine Bühne gleichen Namens wie die Zeitschrift Der Sturm, an der massgeblich auch Karl Kraus mitwirkte. 1910 ziehen Herwarth Walden und der Maler Oskar Kokoschka mit Else auf Werbetour für den Sturm durch Deutschland, kommen aber nur bis Elberfeld an der Wupper. Kokoschka hat Walden gezeichnet, den Komponisten, der es irgendwann aufgegeben hat, zu komponieren, der zum bedeutenden Vermittler moderner Kunst und Literatur werden sollte, bis er Deutschland verlässt, schon 1932, sich sicher glaubt in der Sowjetunion, wo er als Sprachlehrer sein Geld verdient. 1941 wird er in Moskau verhaftet. Sein Ende im Straflager Saratow an der Wolga kennen wir nicht. Aber wir wissen: Der Komponist, Galerist, Kunsthändler und Verleger Walden war der erste, der Lieder für Else geschrieben hat.


Autor:

Jörg Aufenanger (unter weitgehender Verwendung seines Textes Lieder für Else aus dem ELS-Almanach Manchmal habe ich Sehnsucht nach Prag, Peter Hammer Verlag, Wuppertal, 2005, ISBN 3-7795-0044-2, S. 375ff.


Links (deutsch):

http://de.wikipedia.org/wiki/Herwarth_Walden

http://www.perlentaucher.de/buch/12174.html

http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=6348&ausgabe=200309

http://www.kurt-schwitters.org/n,550022,2300060,1.html


International:

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