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Sperber, Manès

H.A.M. 0
Manès Sperber (Pseudonyme: Taras Achim, C. L. Chauverau, C. L. Chauvraux, L. C. Chauvraux, C. A. Chauvreau, Lean Clémant, Paul Halland, A. J. Haller, P. Haller, Paul Haller, Jan Heger, N. A. Menlos
Arzt, Individualpsychologe und Schriftsteller

Geb. 12.12. 1905 in Zablótow (Galizien)/ Österreich-Ungarn
Gest. 5.2. 1984 in Paris/ Frankreich

„Eine Trauer, so grenzenlos, daß das Leben einer Generation nicht ausreicht, sie auszuschöpfen. Ja, in meinem tiefsten Innern glaube ich, daß es während zwei oder drei Generationen für Juden meiner Art unwürdig bleiben wird, sich mit den Deutschen zu identifizieren.“

(Manès Sperber, 1963)


Manès Sperber ist es, der die Psychologie mit der Soziologie und Politik verbindet und sich für die Mitverantwortung des Individuums in der Gemeinschaft einsetzt. In seinen Romanen schrieb er, so sein Biograf Rudolf Isler, „gegen das Vergessen und für das Erinnern, gegen Bewusstlosigkeit und für historisches Bewusstsein,…er wollte erinnern“.

Der Sohn einer wohlhabenden Rabbinerfamilie wächst in der Tradition des ostjüdischen Chassidismus in einem Städtchen am Rande der damaligen K.u.K.-Monarchie auf. „Die dreitausend Einwohner waren zu neunzig Prozent Juden: Handwerker, viel mehr als man je brauchen konnte, Händler mehr als Käufer – Händler ohne Kapital, welche die Waren, die sie anboten, zumeist selbst noch nicht bezahlt hatten“ erinnert er sich später. 1916 flüchtet die Familie vor den Kriegswirren nach Wien, wo sich Sperber bald der kommunistischen Jugendbewegung anschliesst. Hier lernt er auch in den frühen Zwanziger Jahren Alfred Adler, den Begründer der Individualpsychologie, kennen und wird dessen Schüler und Mitarbeiter. Zionismus, Marxismus und Individualpsychologie sind es, die Sperbers Jugendjahre prägen werden.


„Als Adler mich im Winter 1921 in den engen Kreis seiner Mitarbeiter und Anhänger einführte, war ich gerade dem Knabenalter entwachsen. Die wöchentlichen Zusammenkünste fanden in der Tabakspfeife, einem Kellerlokal nahe dem Stephansplatz in Wien, statt. Die Teilnehmer, höchstens vierzig an der Zahl, debattierten über die Referate, die jede Sitzung einleiteten…


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© Ulrike Müller


1927 zieht Manès Sperber auf Anraten Adlers in die Berliner Künstlerkolonie und schließt sich der Kommunistischen Partei an. Von 1927 bis 1933 arbeitet der Individualpsychologe als Therapeut und Ausbilder für die Stadt Berlin und hält Vorträge in der Berliner Gesellschaft für Individualpsychologie. Anfang der dreißiger Jahre kommt es jedoch infolge von Meinungsverschiedenheiten über die Verbindung von Individualpsychologie und Marxismus zum Bruch mit seinem Lehrer Alfred Adler.


Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wird der Herausgeber der Zeitschrift Sachlichkeit am 15. März 1933 verhaftet, als österreichischer Staatsbürger jedoch bald wieder auf freien Fuß gesetzt. Sperber kehrt zunächst nach Wien zurück und emigriert kurz darauf über Jugoslawien – wo er bis Mai 1934 in Zagbreb für die verbotene jugoslawische kommunistische Partei arbeitet – nach Frankreich.

In Paris ist er im Auftrag der Komintern amInstitut zum Studium des Faschismus (INFA) tätig und engagiert sich im von der Jugend-Komintern finanziertem Komitee für eine Weltbewegung der Jugend gegen Krieg und Faschismus. Unter dem Eindruck der Moskauer Schauprozesse bricht Manès Sperber 1937 mit der Kommunistischen Partei und widmet sich fortan seiner theoretischen Auseinandersetzung mit totalitären Ideologien. Von 1938 bis 1940 gehört er zum Mitarbeiterstab der Pariser Zeitschrift Die Zukunft. 1939 erscheint Sperbers Abhandlung Zur Analyse der Tyrannis. Im selben Jahr noch meldet er sich als Kriegsfreiwilliger bei der französischen Armee. Deutsche Truppen marschieren im Mai 1940 in Frankreich ein, Sperber flieht in die Nähe von Nizza, wo er sich halblegal in Hauts-de-Cagnes mit Deutschstunden durchschlägt. Sein Versuch, in die USA zu emigrieren schlägt fehl, da ihm das US-Visum aufgrund seiner früheren kommunistischen Betätigungen verweigert wird. Manès Sperber kann in die Schweiz entkommen und läßt sich in Zürich nieder. 1943 wird er in der Schweiz interniert.


Nach Kriegsende lebt Manès Sperber wieder in Paris, wo er in den Jahren 1945/46 als Lektor beim Verlag Calmann-Lévy, für deutschsprachige Sendungen des französischen Rundfunks und daneben auch als kulturpolitischer Berater der französischen Regierung tätig ist.

1949 erscheint Der verbrannte Dornbusch, gefolgt von Tiefer als der Abgrund (1950) und Die verlorne Bucht (1953), die zusammen die biographisch-politsche Romantrilogie Wie eine Träne im Ozean bilden und in der Sperber das dramatische Schicksal europäischer Intellektueller von den Zwanziger Jahren bis in die Nachrkeigszeit schildert. 1961 erscheint das wohl bekannteste Werk Sperbers erstmals auf Deutsch.

1962 hält sich Manès Sperber erstmals wieder zu Lesungen in Österreich auf. Der vielfach Ausgezeichnete (für die einen ein militanter Moralist (Marcel Reich-Ranicki), für die anderen ein kalter Krieger und Kommunistenfresser) erhält u. a. 1975 den Büchner-Preis und 1983 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. 1984 stiftet die Republik Österreich zu seinen Ehren den Manès-Sperber-Preis für hervorragende deutsch- sprachige Werke und Übersetzungen ins Deutsche.


„Das Grundproblem aller Psychologie ist des Menschen Dasein als ein stetes Bezogen-Sein. Es ist das unentrinnbare Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft. Im Sinne einer modernen Psychologie gilt es immer wieder zu definieren, was das Individuum ist. Das haben viele getan, vor Adler, mit ihm und nach ihm…“


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© Ulrike Müller


„Seiner Distanz zu allen Ideologien blieb er treu, auch 1968. Mit seiner Kritik an den totalitären Tendenzen der Studentenbewegung setzte er sich in Widerspruch zum Zeitgeist. Als er 1983 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt, meldete er sich ein letztes Mal zu Wort. In der Preisrede sprach er sich für ein starkes, antisowjetisches Europa aus und forderte die Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen in Deutschland – dies mitten in der Friedensbewegung. Eine heftige Kontroverse blieb nicht aus. Die Pflicht des Intellektuellen zur Kritik – das ist Sperbers Erbe.“

© DIE ZEIT 15.12.2005 Nr.51
Quelle: http://www.zeit.de/2005/51/L-Sperber


Literatur:

Rudolf Isler: Manès Sperber. Zeuge des 20. Jahrhunderts – eine Lebensgeschichte. Mit einem Vorwort von Daniel Cohn-Bendit
Verlag Sauerländer, 2. Auflage Februar 2004, ISBN 3-0345-0122-6

Mirjana Stancic: Manes Sperber. Leben und Werk
Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3861091631


Links (deutsch):

http://www.manessperber.com

http://www.literaturepochen.at/exil/a5641.html

http://www.comlink.de/cl-hh/m.blumentritt/agr250.htm

http://www.perlentaucher.de/autoren/16643.html

http://www.perlentaucher.de/buch/14307.html

http://www.hagalil.com/galluth/au3.htm

http://www.dasrotewien.at/online/page.php?P=11970

http://www.kuenstlerkolonie-berlin.de/bewohner/sperber.htm

http://dispatch.opac.ddb.de/DB=4.1/REL?PPN=118616145

http://www.sauerlaender.ch/downloads/isler.htm


International:

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